Jacky Durand ist französischer Journalist und Gastrokritiker (u.a. in der „Libération“) und hat mit „Die Rezepte meines Vaters“ jetzt seinen ersten Roman vorgelegt, mit dem er – um im Bild zu bleiben – meinen Geschmack in jeder Hinsicht perfekt getroffen hat. Dieses kleine, aber feine Buch ist liebevoll, warmherzig und eine wunderbare Liebeserklärung an Väter und Söhne, Köche, Küchen, Gastronomie und gutes Essen. Magnifique!
„Du hast mir kein einziges Rezept erklärt. Zumindest nicht so, wie man es in der Schule lernt. Es gab keine Notizen, keine Mengenangaben, keine Anweisungen, ich musste mir alles mit Augen und Ohren aneignen.“
(S.15)
Zu Beginn des Romans liegt Koch Henri im Sterben und sein Sohn Julien steht ihm am Sterbebett bei. In den letzten Tagen und Stunden versucht er, während er die Hand des Vaters hält, noch dessen kulinarische Tipps, Tricks und Küchengeheimnisse in Erfahrung zu bringen – gleichsam das kulinarische Vermächtnis zu sichern, solange dies noch möglich ist. Doch dies scheinen nicht die einzigen Familiengeheimnisse zu sein, welche noch ans Licht gelangen.
Henri führt gemeinsam mit seinem Freund Lucien (kurz: Lulu) ein florierendes Bistro im Osten Frankreichs. Die beiden haben sich während des Algerienkriegs kenngelernt, sind seither unzertrennlich und ein eingespieltes Team. Für Julien, den kleinen Sohn Henri’s gibt es nichts Schöneres oder Faszinierenderes als seine Zeit in der regen Betriebsamkeit, Hitze und Hektik der Restaurantküche zwischen den beiden Männern, den Zutaten und den Kochtöpfen zu verbringen. Schon früh packt ihn die Faszination für gutes Essen, die Liebe zu guten, frischen Lebensmitteln, ehrlichen Ausgangsprodukten und die Leidenschaft für das Handwerk des Kochens.
Die Mutter ist Lehrerin und schon bald zeigt sich, dass die Gräben und Unterschiede zwischen der feingeistigen Akademikerin und dem rund um die Uhr arbeitenden Koch Henri immer tiefer werden. Die Ehe zerbricht und der kleine Julien bleibt beim Vater, als sich die Eltern trennen. Der Kontakt zur Mutter bricht ab.
„Für mich bist du der Feuermeister, ein Zauberer, der die Brioche zum Aufblähen bringt. Ein Tresorknacker, der die Austern öffnet. Ein Magier, der die Sahne schlägt und für mich Bitterschokolade zum Schmelzen bringt.“
(S.30)
So wächst der Junge im Bistro des Vaters auf und verbringt seine Freizeit am liebsten als Helfer in der Küche. Schon bald äußert er den Wunsch, selbst Koch werden zu wollen und in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Dieser reagiert entsetzt, denn er wünscht sich für seinen Sohn eine andere, eine bessere Zukunft: er soll lernen, studieren und einen weniger anstrengenden, sauberen Beruf mit geregelten Arbeitszeiten und ohne körperliche Anstrengungen ergreifen, statt Tag und Nacht in der Küche am heißen Herd stehen zu müssen. Die unterschiedlichen Ansichten über Julien’s Zukunft führen immer häufiger zu Spannungen zwischen Vater und Sohn. Bezeichnend ist eine Szene, als Julien aus einem Ferienlager zurückkommt, in welches ihn der Vater geschickt hatte, obwohl der Junge viel lieber bei ihm im Restaurant geblieben wäre. Stolz berichtet der Sohn, dass er der Held seiner Kameraden war, weil er als Einziger kochen konnte und sie fürstlich bewirtet hatte – für den Jungen ein großes Erfolgserlebnis, für den Vater ein Ärgernis.
„Ich erzähle nicht weiter von meiner Bolognese und meinem Hühnchen. Ich hatte mir vorgestellt, dass du stolz auf mich bist. Mitnichten. Für dich habe ich meine Ferien damit verbracht, hinter deinem Rücken zu kochen. Das ist schlimmer, als hätte ich mich danebenbenommen.“
(S.89)
Julien geht seinen Weg und erfüllt zumindest in Teilen den Wunsch seines Vaters. Er beendet die Schule, geht in einer anderen Stadt studieren – und doch jobbt er nebenbei als Koch in der Gastronomie (ohne dass der Vater davon weiß), bildet sich weiter, lernt stets dazu. Diese Leidenschaft verlässt ihn nie und wird ihn sein Leben lang weiter begleiten.
Die Liebe zum Kochen und die Magie einer guten Mahlzeit sprüht aus jeder Zeile des Romans und die Faszination ist für den Leser zu jeder Zeit erfahrbar und spürbar. Man merkt dem Autor an, dass dies auch sein Leben ist und vermutlich einiges an persönlicher Erfahrung und Leidenschaft in diesen Erstling eingeflossen ist.
Abgerundet wird das Buch mit einigen Rezepten aus Henri’s Bistro-Küche, wie z.B. Frühlingsomelette, Kartoffelgratin der Franche-Comté , Fleischeintopf (Pot-au-feu), Zwetschgentarte und einige mehr. Wem da nicht das Wasser im Mund zusammenläuft…
Das Buch liest sich wie im Flug und ich war tatsächlich ein wenig traurig und wehmütig, als es nach den knapp 200 Seiten bereits zu Ende war. Fast wie bei einem guten Essen, das nach einer langen Zubereitungszeit und viel Zeit in der Küche letzten Endes in wenigen Minuten verspeist ist. Ein kurzer Genuss.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es jedoch auch Menschen für sich einnehmen könnte, die vielleicht seltener zu Büchern greifen, aber selbst gerne kochen oder gut essen. Vielleicht also eine Geschenkidee für das nahende Weihnachtsfest, um kulinarisch-interessierte Wenigleser und Küchenfreaks auch mal zum Lesen zu verführen.
Mein Herz hat Jacky Durand im Sturm erobert. Er hat mich begeistert und ich bin völlig hin und weg von diesem wunderbaren Roman, den ich im wahrsten Sinne des Wortes regelrecht verschlungen habe. Für mich als Genussmensch war dies genau das richtige Rezept mit einer ausgewogenen Mischung aus Gefühl, Humor und Kulinarik in einer schönen, poetischen Sprache, die es für mich zum großen Lesevergnügen haben werden lassen. Ein wunderbares Buch und mein heimlicher Liebling des Lesemonats November – herzerwärmend wie das Feuer in Henri’s Ofen!

Buchinformation:
Jacky Durand, Die Rezepte meines Vaters
Aus dem Französischen von Ina Kronenberger
Kindler
ISBN: 978-3-463-00008-4
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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Die Rezepte meines Vaters“:
Für den Gaumen:
Bei der Lektüre diese Romans ist der Appetit ein stetiger Begleiter und es bleibt selbstverständlich nicht aus, dass man Lust darauf bekommt, sich selbst etwas Gutes zuzubereiten. Da ist es um so schöner, dass am Ende des Buches auch noch einige Rezepte aufgeführt sind. Auf meinem Plan steht jetzt vor allem das Kartoffelgratin der Franche-Comté ganz weit oben. Das könnte jetzt im Winter genau das richtige Soulfood sein.
Zum Weiterklicken:
Durch das Bloggen werde ich auch immer wieder auf schöne Foodblogs aufmerksam und koche oder backe das eine oder andere Rezept auch tatsächlich nach. Die gebotene Vielfalt im Netz ist unglaublich und faszinierend. So fällt die Auswahl hier schwer, aber ich nehme jetzt exemplarisch zwei deren Rezepte ich bereits selbst ausprobiert habe: So kann ich z.B. das Chicken Tikka Masala von Arcimboldi’s World, aber auch den Apfel-Streusel-Kuchen von Ein Nudelsieb bloggt sehr empfehlen. Viel Spaß beim Stöbern, Nachkochen und bon appétit!
Zum Weiterlesen:
Vor vielen Jahren habe ich Anna Gavalda’s Bestseller „Zusammen ist man weniger allein“ gelesen. Ebenfalls ein französischer Roman und auch hier geht es um einen Koch und große Gefühle. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die wunderbare Übersetzerin Ina Kronenberger, die beiden Romanen genau den richtigen Tonfall geschenkt hat in einer Sprache, die ebenfalls einen Genuss darstellt.
Anna Gavalda, Zusammen ist man weniger allein
Übersetzt von: Ina Kronenberger
Fischer
ISBN: 978-3-596-17303-7
Das Buch hört sich, vor allem für einen Food-Blogger, interessant an. Besonders wenn es dann als Belohnung auch noch Rezepte gibt.😉
Ganz lieben Dank für die Erwähnung und Verlinkung und schön, dass der Apfel-Streusel-Kuchen geschmeckt hat.
Liebe Grüße aus Graz
Günter
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Lieber Günter, sehr gerne. Ich stöbere gerne auf Deinem Blog und sende ganz herzliche Grüße nach Österreich! Barbara
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Du bringst mich um…wieder eins mehr auf der Liste…
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Es ist ja bald Weihnachten! 🙂
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