Sommerregen mal anders

Über mangelnden Regen konnten wir uns im Mai wohl nicht beklagen und da bot es sich an, wieder einmal einen „Regalschlummerer“ zu befreien, der sich aufgrund des Titels geradezu aufdrängte: „Sommerregen der Liebe – Goethe und Frau von Stein“ von Sigrid Damm.

In den Jahren 1776 bis 1786 schrieb der junge Goethe über 1700 Briefe und „Zettelgen“ an die Hofdame Charlotte von Stein. Viele davon gehören – auch nach gängiger Meinung – zu den schönsten Liebesbriefen und -bekundungen der Literatur. Sigrid Damm hat für ihr Buch 231 davon ausgewählt, die einen umfassenden und bewegenden Einblick in diese komplizierte Liebesgeschichte geben.

„Als einen Lebens- und Liebesroman, als Tagebuch einer zehnjährigen Beziehung lese ich diese Briefe. Sehe den Schreiber vor mir, stehend an seinem Pult, sitzend am Tisch, in Weimar im Gartenhaus, am Frauenplan, auf Reisen, in Ilmenau, auf dem Gothaer Schloß, in Rom.“

(S.49)

Neben den abgedruckten Originalbriefen erzählt Sigrid Damm in einem ausführlichen Vorspann und dem begleitenden Hauptteil nach den Briefen die Geschichte der beiden. Sie schafft den Rahmen und ordnet ein, erläutert dem Leser die historischen Zusammenhänge und lässt diese Weimarer Zeit nachvollziehbar und lebendig werden. Als Goethe nach Weimar kommt, lernt er bereits kurz darauf die Hofdame und Ehefrau des höfischen Stallmeisters Charlotte von Stein kennen. Sie ist kultiviert, gut aussehend, gebildet und für Goethe unerreichbar. Und dennoch beginnt der leidenschaftliche 26-Jährige sie in unzähligen Briefen und kurzen Botschaften heftig zu umwerben. Er sucht und genießt ihre Gesellschaft, sie wird zu einer wichtigen, wenn nicht zur wichtigsten Bezugsperson. Ihr vertraut er sich an, ihr schüttet er sein Herz aus – ihre Meinung bedeutet ihm viel.

„Die Gegenwart ists allein die würckt, tröstet und erbaut! – Wenn sie auch wohl manchmal plagt – und das plagen ist der Sommerregen der Liebe.“

schreibt Goethe am 22. Juni 1776 (S.72)

Und doch quält ihn auch die Tatsache, dass seine Liebe keine Erfüllung finden kann. Nach zehn Jahren kommt es zum Bruch in der Beziehung, als Goethe heimlich zu seiner Italienreise aufbricht ohne seine Angebetete zuvor darüber zu informieren. Ein Vertrauensbruch, der nicht ohne Folgen bleibt.
Charlotte von Stein forderte ihre Briefe an Goethe zurück und vernichtete sie, so dass wir heute ihre Erwiderungen auf Goethes Korrespondenz leider nicht mehr lesen können.

„Ich habe nur zwey Götter dich und den Schlaf. Ihr heilet alles an mir was zu heilen ist und seyd die wechselsweisen Mittel gegen die böse Geister.“

schreibt Goethe am 15. März 1785 (S.161)

Sigrid Damm gelingt es in ihrem hervorragend recherchierten Buch, diese Zeit und die komplizierte Beziehung zwischen Goethe und Frau von Stein verständlich werden zu lassen. Für diese Frau schrieb Goethe wunderschöne Liebesgedichte, wie zum Beispiel „Warum gabst du uns die Tiefen Blicke“, doch auch in folgendem Auszug aus diesen Zeilen wird bereits der Schmerz über die unglückliche Beziehung spürbar:

Nur uns Armen liebevollen beyden
Ist das wechselseitge Glück versagt
Uns zu lieben ohn uns zu verstehen,
In dem Andern sehn was er nie war“

(Auszug aus „Warum gabst du uns die Tiefen Blicke“ – schreibt Goethe am 14. April 1776; S.67)

Die Zeit dieser Briefe fällt in die Regentschaft von Herzogin Anna Amalia, die den Weimarer Musenhof schuf und sich gern mit Dichtern und Philosophen umgab. Auch diese Aspekte – die Theateraufführungen und Gesellschaften in Schloss Tiefurt – klingen in Damm’s Buch an. Ebenso beschreibt sie sehr gut, wie Geheimrat Goethe immer mehr mit seinen administrativen Aufgaben haderte, sich in all seinen Funktionen mehr und mehr aufrieb und ihm zunehmend bewusst wurde, dass er sich wieder mehr der Kunst widmen wollte. Letztlich führte dies zu seinem Ausbrechen aus den dienstlichen Pflichten und gipfelte in seiner heimlichen Abreise nach Italien.

Das Buch ist kein trockenes Sachbuch, vielmehr strotzt es voller Leben und ist die spannende Geschichte einer leidenschaftlichen, wenn auch letztlich unglücklichen Liebesbeziehung voller Gefühl und Schmerz.

Wer nach Weimar reist oder sich näher mit Johann Wolfgang von Goethe beschäftigen möchte, wird unweigerlich auf diese so wichtige Frau und diese zehn Jahre seines Lebens stoßen, die ihn geprägt haben. Sigrid Damm bietet in verständlicher und sehr angenehm zu lesender Sprache die passende Lektüre und beschreibt mit Respekt und ohne jegliche Spekulation oder Effekthascherei ihre durch Quellen, Fakten und Recherche fundierte Sicht auf diese besondere Beziehung.

Nicht umsonst und völlig zu Recht wurde die Autorin, die 1940 in Gotha geboren wurde, für ihr umfangreiches Werk zu Goethe und seinen Zeitgenossen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. So erhielt sie unter anderem den Feuchtwanger-, den Mörike- und den Thüringer Literaturpreis, um nur einige zu nennen.

Ich habe dieses Buch mit großem Interesse gelesen – eine kurzweilige und bereichernde Lektüre, die unterhält und bildet zugleich. Und so war dieser „Sommerregen“ – während draußen der richtige prasselte – für mich ein echter Gewinn.

Buchinformation (in meinem Fall als Hardcover):
Sigrid Damm, Sommerregen der Liebe – Goethe und Frau von Stein
Insel
ISBN: 978-3-458-17644-2

oder als Taschenbuchausgabe:

Sigrid Damm, Sommerregen der Liebe – Goethe und Frau von Stein
Insel Taschenbuch 4580
ISBN: 978-3-458-36280-7

©Insel Verlag

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Sommerregen der Liebe“:

Für den Gaumen:
Goethe ließ Frau von Stein auch immer wieder Leckereien aus seinem Garten zukommen, in dem er unter anderem auch Spargel selbst anbaute. So schrieb er am 19. Mai 1776 an sie:

„Da sind Spargel, erst iezt gestochen, lassen Sie sie nicht unter die Anderen kommen, essen Sie sie allein, da Sie doch einmal das glückliche Vorurtheil dafür haben; wie mir’s eben am besten schmeckt, wenn ich sie mit Ihnen esse.“

(S.70)

Zum Weiterschauen:
Auf der Website der Klassik Stiftung Weimar kann man einen Eindruck erhalten, wie solche „Zettelgen“ und Briefe ausgesehen haben – man sieht die Originalhandschrift Goethe’s und auch Zeichnungen, die er an Charlotte von Stein schickte.

Zum Weiterlesen:
Ich mochte bereits Sigrid Damm’s Buch über Goethe’s Ehefrau Christiane Vulpius sehr gern. Eine besondere Beziehung zwischen den beiden – dem Geheimrat und der einfachen, jungen Frau aus dem Volk – die in Weimar zunächst sehr kritisch beäugt wurde. Sigrid Damm hat die Gabe, hervorragend recherchierte Sachbücher so zu schreiben, dass sie sich trotz aller Detailgenauigkeit sehr flüssig lesen und Goethe und seine Zeit lebendig werden lassen:

Sigrid Damm, Christiane und Goethe – Eine Recherche
Insel Taschenbuch
ISBN: 978-3-458-36080-3

11 Kommentare zu „Sommerregen mal anders

    1. Weimar ist meiner Meinung nach immer eine Reise wert – natürlich sieht bei Sonnenschein alles freundlicher und einladender aus. Beim Beitragsbild von Goethe’s Haus am Frauenplan musste ich ein wenig improvisieren – ehrlicherweise war das ein „Herbstregen“ und kein Sommerregen.

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      1. Muss mal in meinen Weimar-Fotos kramen, aber ich glaube, ich habe wirklich keines von Weimar im Regen, weil wir bei schlechtem Wetter tatsächlich abgehauen sind. Der Gipfel ist Regen am Montag (alle Museen geschlossen).

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      2. Ich habe trotz zeitweisem Regen das Beste daraus gemacht und Weimar hat ja kulturell wirklich unendlich viel zu bieten. Man schafft ohnehin nur einen Bruchteil dessen, was einen interessieren würde…

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  1. Liebe Barbara,
    in den neunziger Jahren besuchte ich Weimar regelmäßig, das sich damals auf das Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt 1999 vorbereitete zum 250. Geburtstag von Goethe. Zu diesem Jubiläum war Sigrid Damms „Christiane und Goethe“ mit die beste Lektüre – nebst den Gedichten, Prosawerken und wissenschaftlichen Schriften seiner selbst.
    So freut mich, wie Du nun ihr Buch über Goethe und Frau von Stein vermittelst, mit feinen Zitaten wie dem Sommerregen und dem passenden Beitragsfoto beim Haus am Frauenplan.
    Rückfrage zur Quellenlage. Du erwähnst, dass Charlotte ihre Briefe an Goethe zurück verlangt und vernichtet hatte. Wie ist denn zu deuten, dass sie(?) Goethes Briefe aufgehoben hat? Was meint Sigrid Damm? Was denkst Du?
    Guten Appetit in der Spargelzeit
    und schöne Grüße
    Bernd

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    1. Lieber Bernd,
      wie Frau Damm im Buch beschreibt, hat Goethe wohl zeit seines Lebens so manche Korrespondenz zurückgefordert, um sie für autobiographische Zwecke zu verwenden. Aber er hat auch vieles selbst verbrannt und vernichtet. Es ist wohl nicht ganz geklärt, ob Frau von Stein wirklich ihre eigenen Briefe selbst vernichtet hat, nachdem sie sie zurückgefordert hatte. Damm schreibt: „Möglich ist, falls Frau von Stein ihre Briefe nicht zurückerhalten und nicht selbst verbrannt hat, daß Goethe sie 1797 vernichtet.“ (S.42) Weiter führt sie aus, dass Goethe, die von ihm geschriebenen Briefe in diesem Fall nicht zurück verlangte: „(…) er äußert offenbar nie den Wunsch, Einsicht in diese frühen Zeugnisse zu nehmen. Möglich wäre es gewesen, Frau von Stein hätte es ihm gewiß nicht verweigert, vielleicht hätte es sie sogar beglückt. Nach ihrem Tod verwahrt ihr Sohn Fritz die Briefe. Goethe hat nie danach verlangt.“ (S.45)
      Was ich meine? Vielleicht ist es einfacher, eigene Spuren und das eigene Werk zu vernichten als das eines (geliebten) Menschen. Vielleicht hängt mehr Emotion an Briefen, die man erhalten hat, als an denen, die man selbst geschrieben hat.
      Einen schönen Sonntag und herzliche Grüße! Barbara

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  2. Diese unerfüllte Liebe voller Sehnen ist ja das Non-Plus-Ultra der Romantiker, wenn auch Goethe sich dagegen wehrte, als solcher betrachtet zu werden.
    Danke für diese Rezension, die uns Laune machte, dieses Buch zu bestellen.
    Mit freundlichem Gruß vom kleinen Dorf am großen Meer
    The Fab Four of Cley
    🙂 🙂 🙂 🙂

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    1. Danke, Klausbernd. Es freut mich, wenn diese Art von Sommerregen auch in Cley gut angekommen ist. Allerdings bin ich jetzt doch auch froh, dass sich im Juni hier in Bayern auch mal ein paar Sonnentage zeigen, so dass ein bisschen mehr Sommergefühl aufkommen kann. Herzliche Grüße in den Norden! Barbara

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  3. Hallo Barbara,
    eine schöne Seite hast du! Ich habe sie gerade erst entdeckt.
    Da ich ein paar Jahre in Weimar gelebt habe (lang, lang ists her), kann ich nur bestätigen: Ja, Weimar ist eine Reise wert. 🙂
    Und wer sich etwas intensiver mit Goethe (und Schiller) beschäftigen will, findet dort genügend bekannte und nicht so bekannte Orte zu besichtigen, zu studieren und zu entdecken. Dabei sollte man unbedingt einen Abend im Nationaltheater nicht vergessen. Dafür hatte ich damals sogar ein Abo.
    Liebe Grüße, Sibylle von miteigenenhaenden

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    1. Hallo Sibylle, danke für das Kompliment und schön, dass Du den Weg auf meine Bowle gefunden hast. Ich freue mich immer über neue Gäste. Ja, Weimar hat viel zu bieten. Und das Nationaltheater habe ich – als großer Theaterfan – natürlich auch besucht. Ich durfte dort eine schöne Aufführung von Mozart’s „Don Giovanni“ genießen. Herzliche Grüße! Barbara

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