In die Welt hinaus

„Würzburg liest ein Buch“ – diese Aktion steht aktuell ganz im Zeichen von Max Mohr’s (1891 – 1937) Roman „Frau ohne Reue“. Zahlreiche Veranstaltungen und Lesungen sollen den in Würzburg geborenen Autor, den sein Weg später nach Berlin, an den Tegernsee und die letzten Jahre seines Lebens ins Exil nach Shanghai geführt hat, wo er in seinem ursprünglichen Beruf als Arzt praktizierte, wieder ins Bewusstsein der Menschen bringen. Für mich war dies auch als Nicht-Würzburgerin ein schöner Anreiz, einen Autor zu entdecken, den ich bisher nicht kannte.

Viele Jahre waren seine Werke – in den Zwanziger Jahren verfasste er vor allem sehr erfolgreiche Theaterstücke und später Romane – in Vergessenheit geraten. „Frau ohne Reue“, das 1933 erschien, thematisiert – wie häufig in seinem Schaffen – das Unbehaustsein, die innere Unruhe, das Umherirren auf der Suche nach einem Ort, an dem man sich aufgehoben, geschützt, zu Hause und geborgen fühlen kann. Ein Gefühl, das auch Max Mohr’s eigenes Leben stark prägte und bestimmte. Obwohl er seinen jüdischen Glauben kaum lebte, konnte er nicht in Deutschland bleiben und seinen Beruf als Schriftsteller weiter ausüben – er starb 1937 im Exil in Shanghai – seine Bücher wurden im selben Jahr in Deutschland verboten.

Alles beginnt in Berlin, der pulsierenden Stadt mit verqualmten Kneipen, verruchten Bars und einem regen Nachtleben, aber auch mit Lebenskünstlern, die sich mit Gelegenheitsjobs und kleinen Aufträgen mehr schlecht als recht über Wasser halten. Fenn hat eine tolle Anstellung in Aussicht, doch als er bei seinem potenziellen neuen Arbeitgeber vorstellig wird, verliebt er sich Hals über Kopf in dessen Ehefrau und brennt mit ihr und ihrem Kind durch. Treibende Kraft dahinter ist Lina, die aus ihrem bisherigen Leben und ihrer Ehe ausbrechen möchte und ein alternatives, freieres Lebenskonzept sucht.

„Einer Frau muß man sagen: Laß die Männer für dich handeln, wie sie wollen, und bereue nichts, laß die Männer es bereuen.“

(S.47)

Mit Fenn und ihrer Tochter Jane sucht sie Zuflucht auf einem abgelegenen Hof in den Tiroler Bergen. Sie verstecken sich vor den Detektiven und Spähern, welche der Vater des Kindes beauftragt hat, um die Kleine zu finden und zurück zu holen.
Sie führen ein einfaches, hartes Leben in Abgeschiedenheit ohne Komfort und Luxus.

„Zum erstenmal in ihrem Leben war sie von Grund auf froh, eine Frau zu sein, stolz vor allen Männern. Tun lassen. Die Männer tun lassen, was sie tun wollten, sie reden lassen, was sie reden wollten, es ihnen glücken oder mißglücken lassen, wie’s kam.“

(S.48)

Doch auch dort suchen Lina weitere Schicksalsschläge heim und es gelingt ihr nicht, so richtig heimisch und auf Dauer glücklich zu werden. Erneut krempelt sie ihr Leben um und bleibt die Suchende, Rastlose, die trotz alledem nichts bereut.

„Schrecklich, was die Menschen im letzten Jahrhundert vergessen hatten vor lauter Geschäftigkeit, alles vergessen vor lauter technischer, wirtschaftlicher, politischer Geschäftigkeit!“

(S.77)

In vielen Aspekten ist „Frau ohne Reue“ ein zeitloses Werk – auch heute suchen viele Menschen nach dem richtigen Partner, der richtigen Art zu leben, der richtigen Balance zwischen Leben und Beruf oder treffen Entscheidungen für ein Leben auf dem Land oder in der Stadt. Lina trifft mutige, radikale Entscheidungen und scheut sich auch nicht, diese erneut zu revidieren. Glücklich wird sie leider dennoch nicht.

Das Buch wühlt auf und macht es dem Leser nicht immer einfach. Es ist kritisch und unbequem. Viele Gedankengänge Mohr’s muten nahezu prophetisch an und sind heute – gerade im Licht der aktuellen Ereignisse – aktueller denn je.

„Noch gab es damals die Weltstadt. Die Menschen brauchten den Betrieb. Viele brauchten ihn nötiger als Brot und wären gestorben, wenn durch eine technische Katastrophe oder eine himmlische Fügung ihr Betrieb von der Erde weggewischt worden wäre.“

(S.131)

„Frau ohne Reue“ handelt vom Suchen und vom Verlieren, überzeugt durch intensive, kammerspielartige Szenen und stimmige Dialoge – hier spiegelt sich der Dramatiker Max Mohr auch in seinem Roman.

Ein Autor, der die Aufmerksamkeit und die Wiederentdeckung verdient, auch wenn oder gerade weil er den Lesern 1933 bereits die Düsternis und Ausweglosigkeit der damaligen Zeit vermittelte. Es ist wünschenswert, dass sein Name von Würzburg aus wieder ins Gedächtnis gerufen und in die Welt hinausgetragen wird.

Auf der Website „Würzburg liest“ erhält man einen Überblick der Veranstaltungen, die vorwiegend in der Zeit vom 15. bis zum 25. Juli 2021 stattfinden, aber teilweise auch noch in den August hineinreichen. Zudem erfährt man mehr über Max Mohr und sein Werk.

Weitere Besprechungen von „Frau ohne Reue“ findet man beim Hotlistblog und Birgit Böllinger.

Buchinformation:
Max Mohr, Frau ohne Reue
Weidle
ISBN: 978-3-938803-95-0

© Weidle Verlag

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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Max Mohr’s „Frau ohne Reue“:

Für den Gaumen:
Im Refugium in den Bergen:

„Es gab Bier, Schnittlauch, Ziegenkäse. Das Brot, das sie seit dem Herbst selber buken, geriet immer besser.“

(S.87)

Brot selbst backen – etwas, das fasziniert, sobald man es einmal selbst versucht hat und vor allem auch schmeckt.
Zu der Vielfalt von Brotrezepten, die man auf den schönen Blogs wie „Meggie’s Kochstudio“, „Fische im Teigmantel“ oder auch bei „Ein Nudelsieb bloggt“ (um nur ein paar zu nennen) findet, habe ich es noch nicht geschafft, aber zu einem selbstgebackenen Sauerteigbrot schon.

Zum Weiterhören:
Max Mohr bedient sich unter anderem Vergleichen aus Wagner’s Opern, so sieht sich Else – die Freundin Fenns „wie Brangäne, die den unheilbaren Liebestrank verwaltete“ (S.34). Wer Tristan und Isolde kennt, kann hier bereits erahnen, ob den Liebenden ein glückliches Ende beschieden sein wird.

Zum Weiterlesen:
Vor einigen Monaten habe ich die eindringliche Novelle „Der Zwang“ von Stefan Zweig aus dem Jahr 1920 gelesen. Diese kann man ebenfalls als pazifistischen Aufschrei eines zunehmend Heimatlosen und späteren Exilanten lesen und auch Zweig lässt eine starke Frau in der Erzählung auftreten.

Stefan Zweig, Der Zwang
Büchergilde Gutenberg
ISBN: 9783763271535

3 Kommentare zu „In die Welt hinaus

  1. Beim Blick ins Veranstaltungsprogramm habe ich entdeckt, dass die Buchhandlung Dreizehneinhalb auch vertreten ist. Bei jedem Würzburg-Besuch (der letzte ist schon wieder viel zu lang her) muss ich dort unbedingt vorbeischauen — so ein schöner Laden!

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    1. Ja, Würzburg ist eine wunderbare Stadt, die mir auch sehr gut gefällt. Auch mein letzter Besuch ist leider schon eine Weile her (das war noch vor Corona). Beim nächsten Mal steht dann sicher auch ein Besuch in der von Dir empfohlenen Buchhandlung an. Danke für den Tip, herzliche Grüße und schönen Abend!

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