Wenn ein Weltstar wie Bariton Christian Gerhaher in Begleitung seines kongenialen Partners am Klavier Gerold Huber in meine Heimatstadt kommt, dann möchte ich das natürlich gerne miterleben. Und ich hatte Glück, eine der begehrten Eintrittskarten für den Liederabend Anfang August zu ergattern. Der Rathausprunksaal in Landshut wird gerne auch als die „gute Stube“ der Stadt bezeichnet und da die Wetterprognosen äußerst durchwachsen und unplanbar waren, wurde das ursprünglich als Freiluftaufführung im Innenhof des ehemaligen Franziskanerklosters geplante Konzert vorsichtshalber in den nicht weniger ehrwürdigen Rahmen dieses Saals verlegt. Für die Akustik und den Hörgenuss war dies sicherlich eine gute und richtige Entscheidung und so konnte ich das mehrfach preisgekrönte Duo, das sich seit langer Zeit dem Liedgesang widmet, aus nächster Nähe und im festlichen Saal genießen.
Das Programm des Abends war durchaus anspruchsvoll und gerade wenn man bisher nicht so häufig Liederabende besucht und sich mit dem Genre noch nicht so beschäftigt hat, erforderten die Stücke konzentriertes Hören und eine gewisse Offenheit gegenüber neuen, aufs erste Lauschen vielleicht ungewohnten Harmonien und Klängen.
Den Auftakt bildete die „Elegie op.36“ von Othmar Schoeck (1886 – 1957) – einem Schweizer Komponisten, der auch mir bisher weitgehend unbekannt war und der sich vor allem dem Lied verschrieben hatte.
In seiner Elegie vertonte er Gedichte von Joseph von Eichendorff und Nikolaus Lenau. Letzterer gilt als Vertreter des „Weltschmerz“ – seine Gedichte und auch Schoecks Musik behandeln die Trauer über die Vergänglichkeit – melancholisch, schwermütig und traurig. Nur selten blitzt ein Fünkchen Hoffnung auf – und doch gibt es sehr schöne Melodien und musikalische Lautmalereien zu entdecken – so gefielen mir zum Beispiel das neunte Lied „An den Wind“ und Lied Nr.12 „Herbstklage“ besonders gut.
Nach der Pause ging es weiter mit Werken von Robert Schumann:
„Sechs Gesänge op.107“, „Vier Husarenlieder op.117“ und „Sechs Gesänge op.89“. Gerhaher bezeichnet sich selbst als Schumannianer, so dass dieser Komponist an diesem Abend natürlich auch nicht fehlen durfte.
Er wählte drei kürzere Zyklen aus der zweiten großen Schaffensperiode Schumann’s im Bezug auf die Liedkomposition – den Jahren 1849-1852 – aus. Und wie meinte der Bariton in seiner kurzen, augenzwinkernden Anmoderation selbst, er „mutet den Landshutern einiges zu“, denn auch der zweite Teil blieb in der musikalischen Grundstimmung vorwiegend düster.
Das Publikum war dennoch vollkommen begeistert und erarbeitete sich mit tobendem und lange anhaltendem Applaus noch einige Zugaben, unter anderem Schumann’s „Nr.2 – An den Mond“ aus „Drei Gesänge op.95“.
Ein paar Worte möchte ich auch noch zu Landshut’s „guter Stube“ verlieren, welche diesen Liederabend beheimatet hat:
Der neugotisch gestaltete Rathausprunksaal in Landshut ist vor allem bekannt für seine Wandgemälde, welche Szenen der Landshuter Fürstenhochzeit 1475 darstellen. Dieses wichtige Ereignis in der Stadtgeschichte wird (wenn keine Pandemie dazwischen kommt) alle vier Jahre mit großem Aufwand und möglichst originalgetreu nachgespielt. Die nächste Aufführung ist (um zwei Jahre verschoben) nun für das Jahr 2023 geplant.
Auf dem folgenden Gemälde sieht man das Brautpaar:

Im Wagen sitzt die Braut Jadwiga bzw. Hedwig – die Tochter des polnischen Königs Kasimir IV., die den neben der Kutsche auf dem Rappen reitenden in braun gewandeten Bräutigam Herzog Georg den Reichen von Bayern-Landshut 1475 heiratete.
Der Saal mit den umlaufenden Gemälden, den eindrucksvollen Bronzelüstern und den Kachelkaminen spielt im Leben der Landshuter Bürger stets eine Rolle: als Konzertsaal, als Ort feierlicher Preisverleihungen und als Schauplatz der Aufführungen des Fest- und Tanzspiels der Landshuter Hochzeit.
Ein schöner und würdiger Ort also für dieses Konzert, der zwar ausverkauft aber natürlich aufgrund der Hygieneregeln luftig besetzt war.
Die Intimität eines Liederabends ist etwas Besonderes, denn man erlebt den Solisten häufig deutlich intensiver und in viel mehr stimmlichen Klangfarben und Facetten, als dies bei einer Oper der Fall sein kann. Zudem lenkt kein Bühnenbild, kein Kostüm und keine Handlung vom Wesentlichen ab und so kann man sich ganz auf den musikalischen Genuss, die Stimme, den Klang des Klaviers und den Text, die Worte bzw. die vertonten Gedichte konzentrieren.
Das mag nicht jedermanns Sache sein, aber wenn man sich darauf einlässt und man das Glück hat, einen der derzeit Besten bzw. die besten Interpreten dieses Genres auf der Bühne erleben zu dürfen, dann ist es eine ganz besondere Erfahrung.
Es war faszinierend, die Dynamik, das Stimmvolumen und die unterschiedlichen Klangfarben von Christian Gerhaher’s Bariton so intensiv genießen zu dürfen. Da sitzt jeder Ton, jede Nuance und Gerhaher’s Stimme hat eine Wärme, die mich immer wieder begeistert. Es war eine wahre Freude diese beiden Musiker, die sich blind zu verstehen scheinen und perfekt harmonieren, zu hören und zu sehen – Musik in seiner reinsten Form und ein puristisches, intensives Konzerterlebnis, das ich nicht vergessen werde.
Gesehen am 06. August 2021 im Rathausprunksaal Landshut
Abendlied
Es ist so still geworden,
Verrauscht des Abends Weh’n,
Nun hört man aller Orten
Der Engel Füße geh’n.
Rings in die Tiefe senket
sich Finsternis mit Macht;
Wirf ab, Herz, was dich kränket,
Und was dir bange macht!
Nun steh’n im Himmelskreise
Die Stern‘ in Majestät;
In gleichem, festem Gleise
Der goldne Wagen geht.
Und gleich den Sternen lenket
Er deinen Weg durch Nacht;
Wirf ab, Herz, was dich kränket,
Und was die bange macht!
Gottfried Kinkel; Liedtext aus Robert Schumann „Sechs Gesänge op. 107“ – Nr.6 Abendlied
***
Wozu inspirierte mich bzw. woran erinnerte mich der Liederabend:
Zum Weiterschauen und Weiterhören:
Christian Gerhaher und Gerold Huber haben über die Jahre bereits eine Vielzahl von Liedern gemeinsam aufgenommen und so einem breiten Publikum zugänglich gemacht. So haben sie zum Beispiel unter anderem eine Gesamtaufnahme aller Schumann Lieder realisiert, die in Kürze erscheinen soll.
Einen interessanten Beitrag hierzu gibt es aktuell auf der Website von BR Klassik zu sehen und zu hören – wer also eine Eindruck in die Arbeit von Christian Gerhaher und Gerold Huber bekommen möchte, hat hier eine gute Gelegenheit.
Zum Weiterlesen:
In Frank Tallis’ Krimis um den Psychoanalytiker Max Liebermann, die im Wien des frühen 20. Jahrhunderts spielen, ist der Liedgesang ein Hobby, das die beiden Hauptfiguren verbindet: Inspektor Reinhardt und Liebermann treffen sich neben den gemeinsamen Ermittlungen auch regelmäßig, um zusammen zu musizieren. Wer historische Krimis und die Stadt Wien mag, dem kann ich die Reihe sehr empfehlen und es macht Sinn, mit dem ersten Band „Die Liebermann-Papiere“ zu beginnen.
Frank Tallis, Die Liebermann-Papiere
Aus dem Englischen von Holger Wolandt, Lotta Rüegger
btb
ISBN: 978-3-442-73463-4





Schöne Konzert-Eindrücke und danke für das Abendlied!
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Danke, Bernd! Es war auch wirklich ein wunderbares Erlebnis. Eine schöne restliche Woche und Grüße nach Nürnberg!
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Was für ein Abend in einer majestätischen Kulisse. Ich beneide Dich…vielmehr…ich wär gern mit Dir dort gewesen. Ich habe gestern die Bestätigungen für diverse Konzert, Oper und Ballettkarten erhalten in der Düsseldorfer Oper. Nicht ganz so schön, aber die Freude ist groß.
Danke für’s teilen Barbara!
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Oh, da freue ich mich mit Dir und halte die Daumen, dass das Kulturleben im Herbst (trotz vermutlich steigender Zahlen) weiterlaufen kann… ich hoffe, Du berichtest, was es dann alles in Düsseldorf zu erleben und sehen gab, wenn es soweit ist. Das wird bestimmt auch schön… herzliche Grüße! Barbara
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aber auf alle Fälle!
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Der Blog ist eine irre Fundgrube. Samstag, wenn sich der Mehlstaub bei uns aus der Backstube gelegt hat, werde ich den Artikel lesen. Die Bilder sind schön. War die Tage in Ingolstadt. Leider hat die Zeit für Landshut nicht mehr gereicht. Aber nun werd ich da demnächst mal hinfahren. Schöne Grüße
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So soll’s sein 🙂 Schön, wenn Dir meine Mischung gefällt und Du fündig wirst… in einer Bowle darf es ja auch ruhig bunt und ein bisschen „irre“ zugehen. Landshut ist einen Ausflug wert: Burg Trausnitz, die Stadtresidenz, die Martinskirche und der Rathausprunksaal, die schöne Altstadt… da kann man sich schon eine Weile aufhalten und beschäftigen… viel Spaß beim Erkunden! Herzliche Grüße aus Landshut!
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Vor einigen Jahren hatten wir hier in Frankfurt eine starke Inszenierung der Oper Penthesilea von Othmar Schoeck (die gleiche Inszenierung wie in Basel, glaube ich).
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Für mich war Schoeck eine Neuentdeckung – eine Oper habe ich bisher noch nicht von ihm gehört oder gesehen, aber ich werde mal die Augen offenhalten… „Penthesilea“ von Heinrich von Kleist war bei mir Schullektüre – die ist für mich also keine Unbekannte – die Oper von Schoeck dagegen schon.
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