Dezemberbowle 2022 – Winterschlaf und Krimigelüste

Es gab im Dezember ein paar weiße Tage mit Schneepracht und etwas Winterzauber, der während des Advents schon Weihnachtsstimmung aufkommen ließ – auch wenn die Weihnachtstage selbst dann schon wieder alles weggetaut war und jetzt gegen Monatsende schon geradezu frühlingshafte Temperaturen eingesetzt haben. Ein großes Ruhebedürfnis und die Sehnsucht nach stimmungsvollen, besinnlichen und fröhlichen Momenten während der „staden Zeit“ wurde unter anderem durch viele schöne Kulturerlebnisse und kuschlige Lesestunden erfüllt.

Machte zu Beginn des Monats noch der Livestream der Bayerischen Staatsoper der Neuinszenierung des „Lohengrin“ mit einem herausragenden Klaus-Florian Vogt den Auftakt (dieser ist als Video-On-Demand übrigens noch bis zum 06.01.23 über Staatsoper TV abrufbar), folgten dann viele schöne adventliche und weihnachtliche kulturelle Erlebnisse:

Eine zauberhafte Theateraufführung von Charles Dickens’ Klassiker „Oliver Twist“ auf der Landshuter Burg Trausnitz, über die ich (hier) schon ausführlich berichtet habe und im Landestheater Niederbayern endlich – nach der Absage in der letzten Spielzeit – jetzt auch die fröhliche Christmas-Pantomime „Dick Whittington“ im britischen Stil – mit ausgelassener Stimmung im Publikum und auf der Bühne.

Besinnlich und eine schöne Einstimmung auf das Weihnachtsfest war die Krippenausstellung im Landshuter Kloster Seligenthal, welches für die Besucher die Klosterpforten an einigen Adventswochenenden öffnete. Dort konnte eine Vielzahl unterschiedlichster Krippen bestaunt werden.

Ein sehr unterhaltsamer und liebenswürdig aus der Zeit gefallener TATORT mit dem bayerischen Ermittlerduo Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec alias Leitmayr und Batic ist auch noch erwähnens- und sehenswert: „Mord unter Misteln“. Die beiden ermitteln im Rahmen eines Krimidinners bei Assistent Kalli gleichsam in Rückblenden in einem englischen Herrenhaus der 1920er Jahre – Agatha Christie lässt grüßen – schöne Kostüme, witzige Szenen und herrliche britisch-bayerische Kriminostalgie (noch bis zum 26.06.23 in der ARD Mediathek).

Gewisse Krimigelüste durchzogen unter anderem auch meine Dezember-Lektüre – aber keine Angst auch hier nicht die der düster, blutrünstigen Sorte:
Zur sehnsüchtig erwarteten Pflichtlektüre zählt mittlerweile stets kurz nach dem Erscheinen jeder neue Band aus Volker Kutschers Gereon Rath-Reihe, so dass natürlich auch der neueste (neunte) Fall „Transatlantik“ gleich verschlungen werden wollte. Spätestens seit des großen Erfolgs der Serie „Babylon Berlin“ muss man vermutlich nicht mehr viel dazu erzählen und doch lohnt sich die Lektüre der Reihe ganz unabhängig davon sehr. Ausführliche Besprechungen zu „Transatlantik“ gibt es unter anderem bereits beim Kaffeehaussitzer und auf Literaturreich.

In eine völlig andere Zeit entführte mich Sylvia Franks Roman „Nur einmal mit den Vögeln ziehn“, der das Leben von fünf Jugendlichen in der DDR zwischen 1977 und 1990 beschreibt. Packend erzählt fängt das Autorenduo, das sich hinter dem Pseudonym verbirgt, die Atmosphäre vor und während der Wende und die große Sehnsucht nach Freiheit gekonnt ein. Große Emotionen und deutsch-deutsche Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven.

Für meine „22 für 2022“ hatte ich noch einen letzten Punkt zu erfüllen: Das Buch eines bayerischen Autors oder einer bayerischen Autorin zu lesen und vorzustellen. Meine Wahl fiel auf Oskar Maria Grafs „Das Leben meiner Mutter“, das ich mit großem Interesse und Genuss gelesen habe – ein zeitloser Klassiker, den es sich (wieder) zu entdecken lohnt.

Passend dazu habe ich 33 Tage lang jeden Tag in Christian Feldmanns Buch über „Bayerische Charakterköpfe“ gelesen – einer davon war auch Oskar Maria Graf. Die 33 Kurzportraits spannen den weiten Bogen von Tassilo III. bis Ruth Drexel – mit so namhaften Bayerinnen und Bayern wie Lena Christ, Karl Valentin, Therese Giehse oder Hans und Sophie Scholl – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ein weiterer im Bunde – der Schriftsteller Ludwig Thoma – wird Euch am Ende meines Beitrags nochmal begegnen. Viele Persönlichkeiten kannte ich natürlich und doch ist es interessant, mehr über die Geschichten hinter den Namen zu erfahren.

Was wäre Advent und Weihnachten jedoch ohne Weihnachtsbücher und da mich dieses Jahr Kommissar Maigret schon durch das Jahr begleitet hat, fiel meine Wahl heuer auf Georges SimenonsWeihnachten bei den Maigrets“ und „Weihnachten in Paris“ – zwei melancholische Weihnachtskriminalgeschichten aus der französischen Hauptstadt.

Kriminell ging es auch bei Gianna Milanis „Commissario Tasso stochert im Nebel“ zu – doch dieses Mal im vermeintlich verschneit-idyllischen Südtirol der Sechziger Jahre – Schneezauber und Kriminostalgie mit Südtiroler Lokalkolorit und geschichtlichen Hintergründen, den man wunderbar zwischendurch einfach mal so wegschmökern kann. Den ersten Band der Reihe „Commissario Tasso auf dünnem Eis“ hatte ich bereits im Frühjahr gelesen – beide Bände sind gemütliche Cosy Crime-Lektüre für einen Winter- oder Skiurlaub.

Ermittelnde Pfarrer oder Pastoren haben ja bereits seit „Father Brown“ eine gewisse Tradition und mit Canon Clement aus Richard Coles „Murder before Evensong“ und Pfarrer Samuel Williams aus Marianne Cedervalls „Schwedische Familienbande“ betreten nun zwei weitere Geistliche das Krimiparkett. Auch hier wurden meine Krimigelüste auf unterhaltsame und kurzweilige Weise befriedigt und ich werde in Kürze wohl noch ausführlicher berichten.

Und da dachte ich das Lesejahr ist schon so gut wie gelaufen und dann halte ich kurz vor Schluss doch auf einmal noch einen richtigen Lesehöhepunkt in den Händen: Leïla Slimanis „Der Duft der Blumen bei Nacht“ hat meinen Nerv getroffen, mir einen wunderschönen Sonntagnachmittag geschenkt und mich wirklich berührt – eine ausführliche Besprechung wird im neuen Jahr folgen – versprochen.

Schon lange auf meiner Leseliste standen die Kindheitserinnerungen der ehemaligen Chefredakteurin und Mitherausgeberin der ZEIT Marion Gräfin Dönhoff: „Kindheit in Ostpreußen“. Jetzt in dieser Zeit zwischen den Jahren hatte ich endlich die Ruhe und Muße dafür und wurde mit einem feinen, klugen und sehr interessanten Einblick in das Leben auf einem ostpreußischen Gutshof und somit eine lange untergegangene Welt belohnt.

Das Jahresende bietet sich ja auch für Momente der Stille und des Innehaltens an, so dass ich mit John von Düffels Stundenbuch „Das Wenige und das Wesentliche“ (eine ausführliche Besprechung gibt es bei Buchbube) und Epiktets „Handbüchlein der Moral“ mir noch die Zeit für zwei philosophische, nachdenklich-meditative Lektüreerlebnisse gegönnt habe. Zeitlose Gedanken, feine und kluge Formulierungen und Sätze, über die es sich – nicht nur am Jahreswechsel – unbedingt nachzudenken lohnt:

„An einen Neuanfang glaubt der Asket der Zukunft
So wenig wie an gute Vorsätze fürs neue Jahr
Er verwechselt nicht den Willen
Sich zu ändern, mit der Sehnsucht
Ein anderer zu sein

Niemand kann sich neu erfinden
Ohne sich zu verleugnen“

(aus John von Düffel „Das Wenige und das Wesentliche“, S.40)

Bleibt mir nur noch, allen einen schönen Silvester- oder Altjahresabend zu wünschen. Zudem wünsche ich von Herzen allen, die meine Kulturbowle lesen und verfolgen, einen guten Rutsch sowie ein gesundes, gutes, glückliches und friedliches neues Jahr 2023!

Die ausführlichen Rezensionen sind jeweils auf den farbig hinterlegten Titeln verlinkt und ein Klick führt direkt zum jeweiligen Beitrag, wo dann auch die entsprechenden bibliographischen Angaben zu finden sind.

Gaumen-Highlight Dezember:
Eins meiner kulinarischen Highlights habe ich – zum Zeitpunkt, als ich diesen Beitrag schreibe – noch vor mir: als Silvesterdessert gibt es Caledonian Cream – die Sahne-Frischkäse-Creme mit der Mischung schottischer Aromen, d.h. aus Orangenmarmelade und Whisky, ist so gehaltvoll wie unwiderstehlich.

Musikalisches im Dezember:
Musikalisch begeistert hat mich diesen Monat unter anderem der Livestream des Bayerischen Rundfunks vom Konzert „Johann Sebastian Bach – Eine musikalische Biografie“ mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks und Udo Wachtveitl als Sprecher aus dem Münchner Prinzregententheater – Orchesterstücke, Kammermusikalisches, aber auch große Chöre wie „Jauchzet, frohlocket!“ aus dem Weihnachtsoratorium oder „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ und ein sehr schönes Sopransolo von Heidi Baumgartner mit „Bist du bei mir, geh’ ich in Freuden“.

Silvesternacht

Und nun, wenn alle Uhren schlagen,
So haben wir uns was zu sagen,
Was feierlich und hoffnungsvoll
Die ernste Stunde weihen soll.

Zuerst ein Prosit in der Runde!
Ein helles, und aus frohem Munde!
Ward nicht erreicht ein jedes Ziel,
Wir leben doch, und das ist viel.

Noch einen Blick dem alten Jahre,
dann legt es auf die Totenbahre!
Ein neues grünt im vollen Saft!
Ihm gelte unsre ganze Kraft!

Wir fragen nicht: Was wird es bringen?
Viel lieber wollen wir es zwingen,
Dass es mit uns nach vorne treibt,
Nicht rückwärts geht, nicht stehen bleibt.

Nicht schwächlich, was sie bringt, zu tragen,
Die Zeit zu lenken, lasst uns wagen!
Dann hat es weiter nicht Gefahr.
In diesem Sinne: Prost Neujahr!

Ludwig Thoma (1867-1921)

16 Kommentare zu „Dezemberbowle 2022 – Winterschlaf und Krimigelüste

    1. Lieber Adrian! Vielen lieben Dank, ich wünsche Dir ebenfalls einen guten Rutsch in ein gesundes, gutes, glückliches und friedvolles Jahr 2023 mit guten Büchern, schönen Musik- und Opernerlebnissen (die ich bei Dir stets mit großer Neugier verfolge) und genussvollen kulinarischen Momenten! Herzliche Grüße nach Zürich! Barbara

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    1. Danke, Alexander. Ich wünsche Dir auch einen guten Start ins neue Jahr mit Gesundheit, Glück und den besten Wünschen! Ich freue mich jetzt schon auf ein Wiederlesen auf Deinem und meinem Blog im neuen Jahr! Herzliche Grüße, Barbara

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  1. Hallo Barbara,
    was für ein schöner Jahresabschluss. Du bist – leider muss ich das so direkt sagen – allerdings wieder mal schuld an einer Neuerwerbung. Ich musste mir jetzt unbedingt „Das Leben meiner Mutter“ von Graf holen 🙂 Auch wenn anscheinend ganz anders, hat es mich an „Dieses Buch gehört meiner Mutter“ von Erich Hackl erinnert, das mich damals sehr beeindruckt hatte.
    Zufällig habe ich heute meinen ersten Anlauf „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher genommen. Nun fand ich die ersten Seiten durchaus schon brutal und so gar nicht cosy-crime-mäßig. Wie empfindest du die Reihe?
    Und ich bin schon sehr gespannt auf deine Besprechung von Slimani. Mit „Der Duft der Blumen bei Nacht“ konnte ich leider, so sympathisch das auch geschrieben war, gar nichts anfangen.
    Und so wird uns wohl auch im neuen Jahr der Lesestoff nicht ausgehen. Dir einen entspannten Jahresbeginn!
    Bis zum Wiederlesen. Anna

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    1. Liebe Anna,
      Mit der Schuld bezüglich der Neuerwerbung werde ich wohl leben müssen. 😉
      Ich setze da einfach mal darauf, dass Du mir hoffentlich spätestens nach der Lektüre verzeihst.
      Der Hackl sagt mir bisher nichts, da muss ich mich mal schlaumachen.
      Nein, die Kutscher-Reihe hat überhaupt nichts mit Cosy Crime zu tun, die Lektüre der ersten Bände liegt bei mir schon einige Jahre zurück, vielleicht braucht man da auch ein wenig um reinzukommen, aber ich schätze die Reihe vor allem aufgrund der großartig geschilderten geschichtlichen Hintergründe, des Zeitgeists und der plastischen (und sympathischen) Figuren mit Ecken und Kanten wegen. Aber brutal sind die Krimis sie stellenweise schon auch.
      Über Slimani werde ich berichten, aber bei manchen Büchern kommt es vielleicht auch einfach auf den richtigen Zeitpunkt und die Stimmung an, wann man sie liest. Mich hat es begeistert.
      Ganz herzliche Grüße und Dir von Herzen ein gesundes, gutes, glückliches und friedvolles neues Jahr 2023! Ich freu mich schon aufs nächste Wiederlesen, Barbara

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      1. Danke Barbara,
        dass Kutscher keinesfalls zur Cosy-Crime-Fraktion gehört, hatte ich, nach dem wenigen, was ich bisher darüber wusste, schon auch vermutet, war aber kurz über deine Zeilen gestolpert, in denen ich fälschlicherweise einen Zusammenhang las zwischen „auch hier nicht die der düster, blutrünstigen Sorte: Zur sehnsüchtig erwarteten Pflichtlektüre zählt … jeder neue Band aus Volker Kutschers Gereon Rath-Reihe“, deswegen meine Rückfrage. 🙂 Auch dir nun ein frohes neues Jahr! LG Anna

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      2. Da hast Du vollkommen recht, Anna. Das war vielleicht ein wenig irreführend von meiner Seite und hat sich eher auf die anderen Krimis in diesem Monat von Milani, Coles und Cedervall bezogen. Herzliche Neujahrsgrüße! Barbara

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  2. Liebe Barbara, für einige Anregungen, die ich durch Deinen Blog bekommen habe, danke ich Dir herzlich. Besonders denke ich an das Buch mit Gedichten von Hannah Ahrendt! Alles Gute für 2023 und einen angenehmen Jahreswechsel wünsche ich Dir.
    Herzliche Grüße, Bettina

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    1. Liebe Bettina, Dankeschön und gern geschehen. Es freut mich sehr, wenn ich mit den Arendt-Gedichten, die wirklich etwas sehr Besonderes sind, bei Dir richtig gelegen habe. Ich würde mich freuen, wenn ich auch im neuen Jahr vielleicht wieder mal einen wertvollen Tipp mit meiner Bowle für Dich beisteuern kann – ich werde mir Mühe geben.
      Dir auch von Herzen alle guten Wünsche für das neue Jahr! Viele Grüße, Barbara

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    1. Lieber Bernd,
      Vielen herzlichen Dank, dass Du quasi mit meiner Bowle ins neue Jahr herübergerutscht bist. Ich hoffe, Du bist gut rübergekommen und ich wünsche Dir nochmal herzlich ein gesundes, gutes, glückliches und friedliches neues Jahr 2023! Prosit Neujahr und viele Grüße aus Landshut nach Nürnberg! Barbara

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