Mikado macht Lust auf mehr

Nicht nur gefühlt, sondern auch tatsächlich ist es schon viel zu lange her, dass ich hier auf dem Blog von einem Theaterbesuch berichtet habe. Nicht, dass ich nicht im Theater gewesen wäre, aber die Zeit zum Schreiben fehlte oder die Bücher waren einfach vordringlicher. Also höchste Eisenbahn, schließlich ist das hier ja eine KULTURbowle und zudem habe ich wieder einmal so richtig Grund zum Schwärmen.

Denn im Landestheater Niederbayern wurden wieder einmal alle Register gezogen: ein Stück, das in Deutschland eher selten auf der Bühne zu sehen ist, grandiose Kostüme, tolle Musik, großartige Sängerinnen und Sänger, aufwändiges Bühnenbild und vor allem Tempo, Schwung und ganz viel Humor! Die Operette „Der Mikado“ von William Schwenck Gilbert und Arthur Sullivan in einer Inszenierung von Simon Butteriss und unter der musikalischen Leitung von GMD Basil H. E. Coleman ist ein unvergessliches Erlebnis – ein echtes Theaterereignis, das glücklich macht und mir als perfekter Theatergenuss in Erinnerung bleiben wird.

In Großbritannien ist „Der Mikado“ von Gilbert & Sullivan den meisten Menschen ein Begriff und hat eine große Tradition. In Deutschland ist das Stück und die englische Operette generell eher selten auf den Spielplänen zu finden – schade eigentlich. Denn dieses Werk, das 1885 im Londoner Savoy Theatre uraufgeführt wurde, hat es wirklich in sich – vorausgesetzt es wird so herrlich frisch, frech, schwung- und humorvoll präsentiert wie in Landshut bzw. Passau.

Die beiden Briten Simon Butteriss (ein echter Gilbert&Sullivan- bzw. Mikado-Kenner, der unzählige Male selbst auch als Sänger, u.a. als Ko-Ko auf der Bühne stand) und Basil H. E. Coleman haben hier im Zusammenspiel aus Inszenierung und musikalischer Leitung wirklich den Zauber des Stücks aus ihrer Heimat auch in Niederbayern zum Leuchten gebracht und das Ensemble perfekt in Szene gesetzt. Da stimmt das Tempo, da sitzen die Pointen, der britische Humor kommt ideal zur Geltung und der Funke und Witz springt von bestens gelaunten Sängerinnen, Sängern und dem Orchester auf das Publikum über!

Also auf nach Titipu! Denn das Stück ist von Anfang an in einem Fantasieland namens Titipu angesiedelt, in dem Engländer sich als Japaner verkleiden. In den 1880er Jahren war alles Japanische – auch aufgrund einer sehr erfolgreichen Ausstellung – in London groß in Mode. Ein willkommener Anlass für den Textdichter und Librettisten William Schwenck Gilbert (1836 – 1911) diesen Trend seiner Landsleute satirisch aufs Korn zu nehmen.

Bei gelungenen Operetteninszenierungen wird der Inhalt ja schnell zur Nebensache, daher nur kurz: Nanki-Poo ist schwer verliebt in Yum-Yum, die jedoch ihrem Vormund Ko-Ko – seines Zeichens Oberhofscharfrichter von Titipu – zur Ehe versprochen ist. In Titipu steht auf Flirten die Todesstrafe und der Scharfrichter muss dringend ein Opfer finden, um seines Amtes zu walten…
Und Nanki-Poo ist tatsächlich auch noch der heimliche Sohn des Mikado, gibt sich – um der vereinbarten Ehe mit der älteren Hofdame Katisha zu entfliehen – als fahrender Sänger und zweiter Posaunist aus…

Ein Heimspiel war die Rolle des Nanki-Poo für den Briten Edward Leach, der als Idealbesetzung den Sohn des Mikado mit herausragender, klarer Stimme, großartiger Textverständlichkeit und jugendlichem Charme perfekt sang und verkörperte.

In der Rolle des Ko-Ko konnte und durfte Peter Tilch sowohl stimmlich als auch mit seinem komödiantischen Talent aus dem Vollen schöpfen. Ein Höhepunkt des Abends ging mit der Arie „I’ve got a little list“, in welcher der Oberhofscharfrichter eine Liste seiner potenziellen Opfer anführt, die wohl niemand vermissen würde, sicher auf sein Konto. Denn es ist üblich, dieses Stück textlich satirisch ans aktuelle Zeitgeschehen und die besonderen lokalen Gegebenheiten anzupassen, was dann ausnahmsweise auch auf deutsch geschah: Famos gelungen, wenn der Scharfrichter zum Beispiel diejenigen auf seine Liste setzt, die immer noch den Klimawandel leugnen oder gegen einen Theaterneubau in Landshut sind… – großer Szenenapplaus!

„As some day it may happen that a victim must be found
I’ve got a little list — I’ve got a little list
Of society offenders who might well be underground
And who never would be missed — who never would be missed!“

(Lyrics from William Schwenck Gilbert „The Mikado“ –
„I’ve got a little list“ sung by Ko-Ko)

Die weibliche Hauptrolle der Yum-Yum hatte in der Aufführung, die ich gesehen habe, ausnahmsweise Claudia Bauer übernommen, der es mühelos gelang von ihrer eigentlichen Rolle der Schwester Peep-Bo umzuschalten und sich von ihrem Nanki-Poo als Braut umgarnen zu lassen.

Sehr ausdrucksstark und darstellerisch überzeugend war auch Sabine Noack als verschmähte, düstere Hofdame Katisha, die als ehemalige Verlobte Nanki-Poos und „daughter-in-law-elect“ ihr Recht auf Eheschließung mit ihm einfordert. Die Altistin nuanciert schauspielerisch und stimmlich fein den Wechsel zwischen Komik und Trauer.

„Hearts do not break!
They sting and ache
For old love’s sake
But do not die
Though with each breath
They long for death
As witnesseth
The living I!
The living I!“

(Lyrics from William Schwenck Gilbert „The Mikado“ –
„Alone and yet alive“ sung by Katisha)

Mit einer gelungenen Mischung aus Würde und Komik überzeugt auch Kyung Chun Kim als Mikado, trefflich besetzt sind auch Matthias Bein als Pooh-Bah und Albin Ahl als Pish-Tush. Lebendig über die Bühne wirbelnd vervollständigen die Schwestern Pitti-Sing alias Sarah-Lena Winterberg und Anna Reiter als Peep-Bo das großartige Ensemble – und natürlich auch der Chor des Landestheater Niederbayerns, der gesanglich und tänzerisch gerade die großen Ensemblestücke zum Klingen und Schwingen brachte.

Auch die Kostümabteilung des Landestheaters hat wieder einmal Großes geleistet. Chor und Ensemble tanzt in traumhaft schönen Stoffen, japanischen Roben und Kimonos über die Bühne – ein bunter und fröhlicher Augenschmaus, der auch mit dem zauberhaft asiatisch anmutenden Bühnenbild – man merkt dass Bühne und Kostüme dank der erfahrenen Experten Charles Cusick Smith und Philip Ronald Daniels wieder einmal aus einem Guss sind – und dem Lichtkonzept perfekt harmoniert.

Ein besonderes Kompliment gilt hier auch Swantje Schmidt-Bandschuh für die gelungene, lebendige und frische deutsche Übersetzung des Stücks – denn nur die Musikstücke wurden im englischen Originaltext gesungen.
Und sogar an die Übertitelung der englischen Liedtexte wurde gedacht, so dass das Publikum auch hier die Feinheiten des britischen Humors und die geschliffenen Formulierungen bei Bedarf problemlos auf deutsch mitverfolgen konnte.

Selbst in der Kulturszene herrscht Uneinigkeit, wie die Stücke von Gilbert & Sullivan heute zu klassifizieren sind. Aber egal ob Comic opera (wie die Stücke in England bezeichnet) oder Operette, wie sie im deutschsprachigen Raum genannt werden – dieser Mikado ist einfach ein Riesenspaß! Oder frei nach Janosch: Oh, wie schön ist Titipu!

Ein Theaterabend wie er sein soll: witzig, spritzig, mit toller Musik und guten Stimmen. Etwas zu lachen, etwas fürs Herz, mit großer Spielfreude präsentiert, so dass das Publikum nach einem tobenden Applaus gut gelaunt und begeistert das Theater verlässt und definitiv Lust auf mehr bekommen hat!

BR Klassik hat die tolle Inszenierung zudem verdientermaßen mit dem „Operetten-Frosch 2023/2024“ ausgezeichnet – mit welcher Begründung kann man hier auf der Website von BR Klassik nachlesen. Gratulation an das Team des Landestheaters Niederbayern!

Gesehen am 26. Mai 2024 im Landestheater Niederbayern (Theaterzelt Landshut)

Der Mikado“ ist in dieser Spielzeit leider nur noch am 01.06. und 02.06.2024 in Passau zu sehen. Genaue Daten und weitere Details findet man auf der Homepage des Landestheater Niederbayern. Zudem findet ihr dort auch schöne Fotos und einen feinen, kurzen Videotrailer der Aufführung, wenn Ihr Euch ein Bild machen wollt.

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Wozu inspirierte mich bzw. woran erinnerte mich „Der Mikado“:

Zum Weiterhören:
Musikalisch ist das Stück spritzig, schwungvoll und doch auch mit einigen getragenen Stücken herrlich vielseitig – hört und schaut doch gerne mal rein – ich habe auf YouTube Videos aus verschiedenen Inszenierungen ausgewählt und verlinkt..
Nanki-Poo hat unter anderem mit der Arie A Wand’ring Minstrel I’ einen großen Auftritt, der Oberhofscharfrichter von Titipu Ko-Ko hingegen mit Behold the Lord High Executioner!“ (Fun fact am Rande: im hier verlinkten Video spielte Simon Butteriss – der Regisseur der aktuellen Inszenierung des Landestheaters Niederbayern – 2012 in einer Produktion der National Gilbert&Sullivan Opera Company selbst den Ko-Ko).
Yum-Yum – die weibliche Hauptrolle – darf in der ArieThe sun and Imit Sonne und Mond um die Wette glänzen.
Und Ko-Ko becirct auf charmante Weise mit Tit willow“ die eifersüchtige Hofdame Katisha, die sich in Alone and yet alive von ihrer gefühlvollen, empfindsamen Seite zeigen darf.
Das sind nur ein paar wenige Beispiele – aber das Stück ist wirklich im Ganzen absolut sehens- und hörenswert.

Zum Weiterspielen:
Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr erinnern, wann ich zuletzt Mikado gespielt habe. Das ist wohl viele, viele Jahre her. Aber der Mikado ist eben nicht nur der veraltete Titel des japanischen Kaisers, sondern auch das blau gestreifte Stäbchen mit dem höchsten Wert im bekannten Spiel mit den Holzstäbchen, das eine ruhige Hand und ein gewisses Geschick erfordert. Denn schließlich darf nichts wackeln…

Zum Weiterlesen:
In Bonnie Garmus’ Roman Eine Frage der Chemiebesucht Elizabeth gemeinsam mit ihrem zukünftigen Mann eine Aufführung von „Der Mikado“ – doch der Abend endet in ihrem Fall leider etwas anders als geplant und sie konnte die Operette wohl nicht so genießen wie ich…

Bonnie Garmus, Eine Frage der Chemie
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Zimmermann
Piper
ISBN: 978-3-492-07109-3

4 Kommentare zu „Mikado macht Lust auf mehr

    1. Lieber Bernd, Dankeschön! Ja, das ist wirklich sehr schön gemacht und ich fand es spannend, dieses für mich neue Stück – auch mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund und der großen Tradition in England – kennenzulernen. Herzliche Grüße aus dem heute verregneten Landshut! Barbara

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