Ein Lufthauch von Page

Bei Maria Peteanis „Der Page vom Dalmasse Hotel“ gab es gleich mehrere gute Gründe und Anreize, warum ich das Buch sofort lesen wollte. Zunächst habe ich nicht nur ein großes Interesse an Literatur der Zwanziger und Dreißiger Jahre – vor allem auch aus der Feder weiblicher Autorinnen – sondern auch ein ausgeprägtes Faible für Hotel-Romane. Dazu noch der Schauplatz Berlin und das herrlich nostalgische Umschlagbild – schon war es um mich geschehen. Ein Buch wie für mich geschaffen und so war es dann auch ein echtes Lesevergnügen.

„So ein kleiner Page ist wie ein Lufthauch, er ist immer da und niemand bemerkt ihn.“

(S.84)

Es sind die Zwanziger Jahre. Friedel Bornemann ist allein auf dieser Welt und arbeitslos. Auf der Suche nach einer neuen Stelle kehrt sie zurück nach Berlin. Doch es sind schwierige Zeiten für junge Frauen, denn die wenigen Jobs sind meist schon weg, bevor man die Annonce in der Zeitung überhaupt lesen konnte. Die Ersparnisse sind bald aufgebraucht, auch wenn die freundliche Pensionswirtin Petersen manchmal ein Auge zudrückt.

Als Friedel im Schrank ihres Pensionszimmers die Kleidung ihres Vormieters findet, der bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen ist, hat sie einen Geistesblitz. Männer haben es deutlich leichter am Arbeitsmarkt. Der Anzug passt bei ihrer schlanken, knabenhaften Figur wie angegossen und im vornehmen Dalmasse Hotel wird ein Page gesucht. Ihre Fremdsprachenkenntnisse sind bestens und so sticht sie – als Junge verkleidet – beim Vorstellungsgespräch die Konkurrenz aus.

Die Mulmigkeit, dass ihre Scharade auffliegen könnte, verflüchtigt sich nach anfänglichen Zweifeln schnell und schon bald steigt sie in der Hotel-Hierarchie aufgrund ihrer fleißigen, zupackenden und freundlichen Art auf zum ersten Pagen.
Die Gäste mögen sie, es gibt ordentliches Trinkgeld und Friedel fühlt sich – abgesehen von wenigen brenzligen Situationen – zunehmend wohl in ihrer Hosenrolle.

Doch als man von Juwelendiebstählen in anderen großen Hotels zu hören bekommt, zwei reiche Amerikanerinnen ins Hotel ziehen, die sich auffallend verhalten und sie sich plötzlich zu einem Gast ganz besonders hingezogen fühlt, wird es turbulent und die Ereignisse überschlagen sich…

„Das tut Ihnen ausgezeichnet, mein lieber Freund“, pflegte Baron Potten des Morgens beim Frühstück zu versichern. „Sie waren viel zu gesetzt für Ihr Alter. Man muss hie und da ein paar kleine Dummheiten machen, glauben Sie mir. Vielleicht ist die leichtsinnige Seite des Lebens auch vom philosophischen Standpunkt aus das Klügste.“

(S.78)

Die Autorin schrieb mit großer Liebe zu ihren Figuren und schuf sympathische Charaktere. Ich mochte die atmosphärischen Beschreibungen des quirligen Lebens im Hotel und die positive Grundstimmung des Romans. Trotz aller Widrigkeiten wird nicht gejammert – bestes Beispiel die zupackende Friedel, die ihr Leben selbst in den Griff nimmt und selbst nach langen Schichten und mit schmerzenden Füßen stets freundlich und optimistisch bleibt.

„Die Wünsche, die der Mensch an das Schicksal stellt, sind meist kleinlicher Natur und verflattern im Weltenraum.“

(S.84)

Peteanis Stil ist keck und erfrischend zu lesen mit spitzen, süffisanten Bemerkungen und lebendigen Dialogen. Spielerisch und frei von der Leber weg schrieb sie über das Leben und die Liebe, aber auch über Armut und soziale Unterschiede und traf damit den Nerv der damaligen Zeit.

„Aber der Mensch ist ein Augenblicksgeschöpf.“

(S.101/102)

Interessant ist auch die Vita der Autorin Maria Peteani (1888 – 1960), die in Prag geboren wurde, mit ihrer Familie früh nach Linz übersiedelte und die Nichte des berühmten Komponisten Johann Strauß Sohn war. Sie heiratete einen Operntenor, der jedoch früh verstarb, arbeitete als Zeichnerin, begann ab 1920 zu schreiben, verfasste Hörspiele und Zeitungsartikel, unter anderem auch für das Wiener Tagblatt. Da sie jedoch keinen Ariernachweis erbringen konnte, wurde ihr die schriftstellerische Arbeit ab 1940 untersagt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ihre Romane wieder neu aufgelegt.

„Der Page vom Dalmasse Hotel“ liest sich auch heute noch schwungvoll, frech und frisch. Die fast hundert Jahre seit Erscheinen (laut Klappentext 1927) merkt man ihm nicht an. Da gibt es einen Hauch von Krimi, einen Hauch von Liebesgeschichte, doch bei aller Leichtigkeit schwingt auch immer etwas Sozialkritik mit. Die Zwischenkriegszeit bzw. die Zwanziger Jahre waren eben keinesfalls für alle golden.

Ein kleines, feines Buch wie ein Lufthauch – es bläst den Kopf frei, ist unterhaltsam, herzerfrischend und witzig. Ein entspannender und freundlicher Roman wie der Page stets mit einem Lächeln und Augenzwinkern für den Gast bzw. die Leserschaft. Erfreulich, dass das Werk jetzt in einer schön gestalteten Neuauflage mit Lesebändchen und grafisch-nostalgischer Aufmachung wieder für das Lesepublikum erhältlich ist. Eine menschenfreundliche, lebensbejahende und lesenswerte Wiederentdeckung!

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Milena Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Maria Peteani, Der Page vom Dalmasse Hotel
Milena
ISBN: 978-3-903460-24-9

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Maria Peteanis „Der Page vom Dalmasse Hotel“:

Für den Gaumen:
Friedel hat den Hunger kennengelernt. Bei ihrer Ankunft in Berlin kann sie trotz klammem Geldbeutel einer Versuchung nicht widerstehen:

„An einer Straßenecke steht ein Würstelmann mit weißer Schürze. Aus dem Nickelkessel quillt Dampf. Ah – welch ein Duft! ein Märchenduft! (…) Knusprige Knüppelchen liegen in dem Korb. Sie haben braune Wangen, manche sind salzbestreut…“

(S.5/6)

Zum Weiterhören (I):
Dahlen besucht die Berliner Staatsoper und sieht dort Puccinis letzte Oper, die er vor seinem Tod 1924 nicht mehr fertigstellen konnte und die erst 1926 in Mailand uraufgeführt worden war: „Turandot“. In den Zwanzigern also noch ein brandneues Werk:

„Man saß in einer großen Loge des ersten Ranges und sah die Szenenbilder der Prinzessin Turandot im magischen Licht hieratischer Pracht an sich vorüberziehen.“

(S.79)

Zum Weiterhören (II):
Im Berliner Nachtleben geht es lebhafter zu, dort wird zu der Zeit Charleston (S.58) gespielt und getanzt. Da heißt es, die Füße fliegen lassen…

Zum Weiterschauen:
Es gibt eine Verfilmung des Romans aus dem Jahr 1933 mit Dolly Haas in der Titelrolle – kein Wunder, denn der Stoff schien auch wie für eine Verfilmung gemacht.

Zum Weiterlesen:
Auch Lektürevorlieben können verräterisch sein, so zieht Dahlen an einer Stelle im Roman seine Schlüsse:

„Ich langweile mich nicht im Mindesten“, sagt sie, „aber freilich, Bücher habe ich, seit ich im Dalmasse-Hotel bin, keine mehr gelesen. Ehe ich nach Berlin kam, hatte ich eines angefangen, das mir besonders gefiel.“
„Wie hieß es denn?“
„ ‚Das Exemplar‘ von Anette Kolb.“
Dahlen bleibt stehen. „Das hat Ihnen gefallen?“, fragt er misstrauisch.
Ist doch ein Mädel, denkt er.“

(S.175)

Anette Kolb, Die Romane
Das Exemplar / Daphne Herbst / Die Schaukel
Fischer Taschenbuch
ISBN: 978-3-596-90662-8

Ein Kommentar zu „Ein Lufthauch von Page

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