Aus gegebenem Anlass gibt es heute eine ganz besondere Folge meiner Herzbowle bzw. der Bücher, die mir schon lange sehr am Herzen liegen und zugleich eine Premiere: denn mit Marlene Reidels „Jadwiga“ stelle ich zum ersten Mal ein Bilderbuch bzw. illustriertes Kinderbuch hier auf meiner Kulturbowle vor.
Denn am kommenden Freitag, dem 30. Juni 2023 beginnt in Landshut das historische Festspiel der „Landshuter Hochzeit 1475“ und meine niederbayerische Heimatstadt begibt sich für drei Wochen und vier Wochenenden lang nach 6 Jahren Pause (der normale Aufführungszyklus beträgt vier Jahre, aber aufgrund der Pandemie waren es dieses Mal zwei Jahre mehr) wieder ins Mittelalter und feiert.
Gefeiert bzw. originalgetreu nachgespielt wird die Hochzeit des Landshuter Herzogssohns Georg mit der polnischen Königstochter Jadwiga, die 1475 mit enormem Aufwand und einer großen Zahl von Gästen und dem höchsten Adel – inklusive dem damaligen deutschen Kaiser Friedrich III. und seinem Sohn, dem späteren Kaiser Maximilian I., der auch als der letzte Ritter bekannt ist – in Landshut stattfand.
Die Künstlerin Marlene Reidel (1923 – 2014) ist in Landshut und darüber hinaus vor allem bekannt für ihre illustrierten Kinderbücher, aber auch für ihre wunderschönen Darstellungen der Landshuter Hochzeit. In „Jadwiga“ verbinden sich beide Aspekte aufs Wunderbarste.
Meine ersten Begegnung mit „Jadwiga“ hatte ich bereits im Kindergarten, denn das Buch, das 1978 erschienen ist, ist eine wunderbare Art, Kinder mit der Thematik und dem geschichtlichen Hintergrund des großen Landshuter Festes und Ereignisses vertraut zu machen.
Es erzählt sowohl die Vorgeschichte der Hochzeit, d.h. zum Beispiel von den Brautwerbern, die im Namen des Wittelsbacher Herzogs in Polen um die Hand der Königstochter anhalten, die – und diese fiktionale Freiheit hat sich die Autorin erlaubt – am dortigen Hofe bei Wendelin dem Lautenspieler Musikunterricht erhält. Doch die Hochzeitsvorbereitungen nehmen ihren Lauf und Jadwiga wird auf einer langen, beschwerlichen Reise in der Kutsche in ihre neue Heimat gebracht.
Weiter geht es mit der ersten Begegnung mit ihrem zukünftigen Gatten, dem langen Brautzug durch die Stadt zur Martinskirche, der in der heutigen Zeit als großer Höhepunkt immer sonntags mit großem und lautstarkem „Hallooo“ durch die schöne Landshuter Alt- und Neustadt nachgestellt wird. All das wird mit bunten Bildern und schwarz-weiß Illustrationen im typischen Stil und der unverkennbaren zeichnerischen Handschrift der Künstlerin im Buch mit viel Liebe zum Leben erweckt.
Bis ins kleinste Detail erkennt man die fein gestalteten Figuren, die kostbaren Gewänder und Kutschen, so dass auch jeder Kenner des Festes seine Freude daran hat, Bekanntes und Liebgewonnenes oder gar sein eigenes Kostüm auf den Bildern zu entdecken.
Aber auch die Tränen der Braut, welche die Sprache ihres Bräutigams nicht verstand, vor dem Altar in der Landshuter Martinskirche, haben ebenso ihre Erwähnung im Buch gefunden wie das rauschende Fest, das Adel, Bürger und fahrendes Volk im Anschluss feierten.
„Es wurde gegessen, getrunken, gespielt und gesungen, getanzt und geliebt.“
(S.26)
Auch das ist bis heute so und selbst das Ritterturnier bzw. das Rennen über die Planken und die Reiter- und Ritterspiele wie das Ringelstechen, die Reidel ebenso im Buch dargestellt hat, werden bis heute in Landshut für die Besucher nachgespielt.
Marlene Reidel, die 1923 in Landshut geboren wurde, zunächst an der Akademie der bildenden Künste in München studierte und mit dem renommierten Bildhauer Karl Reidel verheiratet war, war selbst Mutter von sechs Kindern und hatte ein feines Gespür für die richtige Ansprache ihrer meist jungen Leserschaft.
Es gibt wohl wenige LandshuterInnen, die Marlene Reidels „Jadwiga“ nicht kennen. Gerade in den Jahren der Aufführungen rückt es immer wieder ins Bewusstsein und wird zu einem beliebten Geschenk für Kinder oder ein schönes Mitbringsel bzw. Souvenir für bibliophile Besucher.
In meiner Lesebiografie zählt es sicherlich zu einem der Bücher, die mich schon mit am längsten durch mein Leseleben begleiten – schließlich bekam ich es schon vorgelesen, als ich des Lesens selbst noch nicht mächtig war. Zudem nehme ich es auch heute noch aufgrund der schönen Erinnerungen, die ich sowohl mit dem Buch als auch mit dem Fest der Landshuter Hochzeit verbinde, und wegen der wirklich zauberhaften und wunderbaren Illustrationen immer wieder gerne zur Hand und habe es schon häufig verschenkt.
Daher verabschiede ich mich heute mit einem typischen Gruß der Landshuter Hochzeit: „Himmel Landshut – Tausend Landshut“ und wünsche allen Mitwirkenden und Besuchern eine schöne Aufführung 2023, stimmungsvolle Momente, schöne Begegnungen und eine gute Zeit in Landshut bzw. natürlich viel Freude bei der Lektüre oder beim Vorlesen von „Jadwiga“!
Wer meine Herzbowle noch nicht kennt oder neu auf meine Kulturbowle gestoßen ist: hier geht’s zur ersten Folge mit Astrid Lindgrens sommerlichem Schärenroman „Ferien auf Saltkrokan“, hier zur zweiten mit Helene Hanffs „84, Charing Cross Road“ und zur dritten und vierten mit Erich Kästners „Drei Männer im Schnee“ und „Der kleine Grenzverkehr“.

Herzbowle

Mit Marlene Reidels „Jadwiga“ habe ich zudem wieder einen weiteren Punkt meiner „23 für 2023“ erfüllt – Punkt Nummer 23) auf der Liste: Ich möchte ein Buch, das schon seit mehr als zwei Jahren in meinem Regal steht, lesen. Ursprünglich hatte ich bei diesem Punkt zwar eher ein noch ungelesenes Buch im Kopf, aber „Jadwiga“ steht definitiv schon viel, viel länger in meinem Schrank als zwei Jahre und es war schön, es wieder einmal zur Hand zu nehmen.

Buchinformation:
Marlene Reidel, Jadwiga
Sellier
ISBN: 3-87137-714-7
oder in der neuen aktuell erhältlichen Auflage:
Marlene Reidel, Jadwiga
ISBN: 3-00-016421-9
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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Marlene Reidels „Jadwiga“:
Für den Gaumen:
Legendär ist die eindrucksvolle Aufzählung, was während des großen Festes der Landshuter Fürstenhochzeit von den Gästen verspeist wurde, so dass diese natürlich auch in „Jadwiga“ nicht fehlen darf:
„Über glühender Holzkohle drehten sich während der acht Tage, die das Fest dauerte, dreihundertdreiunddreißig Ochsen, an die zweitausend Schafe und an die fünfhundert Kälber am Spieß; dazu um die zwölftausend Gänse, dreihundert Schweine, siebenhundert Spanferkel und Wildsauen, Hirschen und Fische in großer Zahl. In Strömen flossen Bier und Wein.“
(S.26)
Zum Weiterschauen oder für einen Besuch in Landshut:
Die wichtigsten Informationen zur diesjährigen Aufführung der „Landshuter Hochzeit 1475“ (30.06.2023 – 23.07.2023) findet man auf der Website des Veranstalters „Die Förderer“ e.V..
Zum Weiterschauen bzw. Weiterklicken:
Wer einen Eindruck in die künstlerische Welt und die Bildsprache Marlene Reidels erhalten möchte, der kann sich auf der Homepage „Marlene und Karl Reidel – Werk und Sammlung“ ein wenig umsehen.
Zum Weiterhören und -schauen:
Wer einen kurzen (ca. 2-minütigen) musikalischen und visuellen Eindruck der letzten Aufführung der „Landshuter Hochzeit 1475“ aus dem Jahr 2017 bekommen möchte, findet diesen unter anderem hier auf YouTube.
Zum Weiterlesen und -schauen:
Marlene Reidel hat über 100 Bücher geschrieben und illustriert. Eines der bekanntesten Werke ist wohl „Kasimirs Weltreise“, das 1958 erschienen ist und 1960 von der „New York Times“ zu den „10 besten Büchern“ gezählt wurde.
„Der Kasimir am Fenster steht und wartet, bis der Mond aufgeht. Er denkt: das ist ein Luftballon, da steig ich auf und flieg davon…“
(aus Marlene Reidels „Kasimirs Weltreise“)
Marlene Reidel, Kasimirs Weltreise
Anette Betz Verlag
ISBN: 978-3-219-11526-0
2 Kommentare zu „Herzbowle – Jadwiga“