Merry Old Weihnachtswirren

In drei Monaten ist Weihnachten – sogar schon fast wieder vorbei. Und selbst wenn es für Lebkuchen noch zu früh ist (obwohl sich ja auch da die Geister scheiden), was spricht dagegen sich schon einmal ein wenig literarisch in Stimmung zu bringen? Denn es gibt eine Wiederentdeckung aus dem Jahr 1932 von Nancy Mitford zu erleben, die nun als „Schöne Bescherung auf Compton Bobbin“ (Originaltitel: „Christmas Pudding“) zum ersten mal in deutscher Übersetzung von Eva Regul erscheint. Und da kann sich so manche Weihnachtskomödie der heutigen Zeit in Bezug auf Tempo, Witz und komödiantische Verwicklungen eine Scheibe abschneiden.

Wir befinden uns in den Cotswolds, im Südwesten Englands, genau genommen in der Grafschaft Gloucestershire. Eine Gegend, die seit 1966 (wie Wikipedia weiß) sogar eine „Area of Outstanding Natural Beauty“ ist. Hügelig, geprägt von Rinder- und Schafzucht – und für manche auch von Langeweile.
So lädt sich die legendäre und mit einem ausgeprägten Faible für Jagden versehene Lady Bobbin für die Weihnachtstage eine muntere Runde illustrer Gäste auf ihren Landsitz ein. Zumal einige davon noch (vermeintlich) ungebunden und einem Flirt oder mehr nicht abgeneigt sind, ist somit einiges an leidenschaftlichem Liebeschaos vorprogrammiert.

Bereits im Prolog werden die handelnden Personen mit spitzer Feder und scharfer Zunge vorgestellt, denn:

„Sechzehn Personen suchen einen Autor.“

(S.9)

Und eben auch ein solcher Autor ist Teil der geladenen Gäste: Paul Fotheringay. Ein unglücklicher Schriftsteller, der sich von der Leserschaft vollkommen missverstanden fühlt, zumal sein Debütroman „Kuriose Kapriolen“, der als gefühlvoll und ernsthaft-tragisch daher kommen sollte, nun vom Publikum als perfekte und hochgradig lustige Komödie gefeiert wird. So schmerzen ihn die Worte folgender Rezension natürlich besonders:

„Die launige Komödie ist durchweg humorvoll und wird sicherlich den Weg ins Bücherregal all jener Leser finden, die eine gute Schmunzellektüre zu schätzen wissen.“

(S.12)

Gleichzeitig fassen diese Zeilen aber aufs Trefflichste den Charakter von Nancy Mitfords Roman zusammen. Denn ihre Weihnachtswirren auf dem Landsitz und dem nahegelegenen Cottage, in dem sich noch weitere Weihnachtsfeiernde einfinden und zum allgemeinen Trubel beitragen, bietet alles, was die Lachmuskeln in Bewegung versetzen kann: schräge Charaktere, verschmähte Liebe, vertauschte Geschenke, einen gefährlichen Bombenalarm, alberne Geheimsprachen und so manche Kuppelaktion – mit ungewissem Ausgang.

„Jede Jahreszeit besaß ihre eigenen kleinen Merry-Old-England-Riten, aber erst zur Weihnachtszeit legten Lady Bobbin und ihre Jünger aus der Nachbarschaft so richtig los, hatten doch alle Aktivitäten der vorangegangenen Monate der nun folgenden Orgie weihnachtlicher Gemütlichkeit lediglich den Weg bereitet.“

(S.124)

Gespickt mit britischen Weihnachtsbräuchen und dem kaminfeuerknisternden Flair des festlichen Landhauses gibt dies eine herrlich amüsant-feierliche Kulisse, die ihre besondere Magie entfaltet und so vorzüglich zur „Orgie weihnachtlicher Gemütlichkeit“ beiträgt.

Trotz allem humoristischen Florett und all den Irrungen und Wirrungen, gibt es jedoch auch Stellen, die mir – gerade aufgrund ihrer Hellsichtigkeit und der vollkommenen Zeitlosigkeit – ganz besonders ins Auge gestochen sind. Beispiel gefällig?

„Ich meine nur, wenn Leute wie wir in ein paar Jahren kein Geld mehr für Luxus haben, werden wir automatisch ein einfacheres und besseres Leben führen. Mehr frische Luft, mehr Schlaf, mehr Zeit zum Nachdenken und Lesen. Keine Nachtclubs, kein Ritz, keine Luxusreisen, keine Hektik. Wir werden alle viel glücklicher sein. Meinst Du nicht auch?“

(S.136)

Nancy Mitford (1904 – 1973) war die Älteste der legendären Mitford-Schwestern. Sie verfasste zahlreiche Romane, die sich in ihrem markanten Stil meist mit der Upper Class bzw. dem Adel beschäftigten. Als ihr bekanntestes Werk gilt „Englische Liebschaften“ (Originaltitel: „The Pursuit of Love“) aus dem Jahr 1945.

„Du willst sie heiraten? Armer alter Junge, ich fürchte, das ist nicht drin. Egal, was passiert, Delphie muss eine gute Partie machen. Das machen wir Bobbins immer. Nicht, dass ich dich nicht gern als Schwager hätte, wenn die Dinge ein kleines bisschen anders liegen würden, aber – du verstehst?“

(S.155)

Fans des britischen Humors, der stellenweise auch schwarz und makaber sein darf, werden an Nancy Mitfords Weihnachtskomödie ihre Freude haben. Denn dieser wirbelige Wirrwarr im englischen Landhaus mit morbidem Charme liest sich süffig, schnell, gewitzt und natürlich very, very british.

„Es ist schon lustig: Die Leute sind jederzeit bereit zuzugeben, dass sie kein Talent zum Zeichnen oder Musizieren haben, aber sie sind alle fest davon überzeugt, das sie zu wahrer Liebe fähig sind. Dabei ist das ein Talent wie jedes andere, nur sehr viel seltener.“

(S.203)

Wer für die Advents- oder Weihnachtszeit ein passendes Geschenk für Literaturfans bzw. Menschen mit Interesse an literarischen Klassikern (aus den Dreißiger Jahren) sucht oder sich selbst schon ein wenig in vorfreudige Weihnachtsstimmung versetzen möchte, der hat hier eine schöne Möglichkeit. Allerdings ist der Roman auch ohne den expliziten Weihnachtsbezug einfach sehr kurzweilig und unterhaltsam zu lesen und man kann auch so – d.h. bereits jetzt im Herbst bzw. jederzeit – seine Freude daran haben. Eine wirklich schöne Wiederentdeckung und zudem in ästhetisch-wertiger Aufmachung des Schöffling Verlags auch ein charmanter Hingucker für den Gabentisch und das Bücherregal. Bei diesem „Christmas Pudding“ von Nancy Mitford wäre ich einem Nachschlag definitiv nicht abgeneigt.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Schöffling Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Nancy Mitford, Schöne Bescherung auf Compton Bobbin
Aus dem Englischen von Eva Regul
Schöffling
ISBN: 978-3-89561-144-5

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Nancy Mitfords „Schöne Bescherung auf Compton Bobbin“:

Für den Gaumen (I):
Philadelphia ist kein großer Fan von Londoner Lunchparties und kann weder der Unterhaltung noch der Speisenfolge viel abgewinnen:

„(…) und dann setzen sich alle zusammen an den Tisch und aßen Pastete mit Tomatensauce, Koteletts mit einer Papiermanschette um den Knochen, harte kleine Erbsen und neue Kartoffeln und danach ein hellrosa Gelee, das in kleinen Gläsern und mit einem winzigen Sahnetupfer auf jeder Portion serviert wurde.“

(S.179)

Für den Gaumen (II):
Noch weniger könnte mich allerdings folgende Mahlzeit überzeugen:

„Es gab schon wieder Hirn zum Frühstück, und allein der Anblick macht mich krank.“

(S.200)

Zum Weiterlesen:
Witzigerweise wird im Buch der Roman „Kuriose Kapriolen“ der Hauptfigur Paul Fotheringay mit folgender Rezension beschrieben:

„Er erinnerte mich hier und da an die lustigsten Szenen bei Mr Wodehouse, hier und da an die zynischsten bei Mr Evelyn Waugh und war dabei dennoch von einer verblüffenden Originalität.“

(S.13)

Als der Name Wodehouse auf Seite 13 auftauchte, hatte ich aber schon längst selbst im Hinblick auf Nancy Mitfords Roman bzw. aufgrund des Settings in der britischen Oberschicht, dem Humor und der Stilistik an die Bücher des Briten gedacht.

Auch von ihm habe ich schon Vieles mit Vergnügen gelesen und einen Band mit Butler Jeeves auch bereits hier auf der Kulturbowle vorgestellt: Auf geht’s, Jeeves!

P.G. Wodehouse, Auf geht’s, Jeeves!
Aus dem Englischen von Thomas Schlachter
Insel Taschenbuch
ISBN: 978-3-458-36386-6

4 Kommentare zu „Merry Old Weihnachtswirren

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