So ein Theater

Wer ab und zu hier auf der Kulturbowle vorbeischaut, weiß vermutlich, dass ich ein gewisses Faible für die Kombination aus Krimi und Theater habe. Und so war die Neuausgabe von Janice Halletts „Die Aufführung“ im Atrium Verlag ein willkommener Anlass, diesen Theaterkrimi (den ich vor einiger Zeit schon einmal unter dem Titel „Mord zwischen Zeilen“ gelesen und kurz besprochen hatte), erneut zur Hand zu nehmen und dieses Mal ausführlicher hier vorzustellen.

Denn Hallett, die in ihrer Heimat Großbritannien mit ihren Büchern große Erfolge feiert, versteht es, besondere Krimis mit dem gewissen Etwas zu schreiben. Oft bedient sie sich hierfür einer ungewohnten Form. Bei „Die Aufführung“ hat sie den gesamten Kriminalroman in Form von Emails und Kurznachrichten verfasst, die zwischen den Mitgliedern der Laientheatergruppe „The Fairways Players“ versendet werden.

„Ich habe eben eine sehr komische Nachricht von deiner E-Mail-Adresse bekommen, Sarah-Jane. Ist das ein Virus, oder ist dir was auf die Tastatur gekippt?“

(S.237)

Ein dickes Konvolut von Mails, Nachrichten und Briefen dient so nicht nur den Angestellten einer Anwaltskanzlei als Anhaltspunkt für die Ermittlungen, sondern auch die Leserschaft rätselt gemeinsam mit, als sich die Lage im Theaterclub immer mehr zuspitzt.

Eigentlich könnte alles so schön sein: engagierte und motivierte Menschen, die in ihrer Freizeit ihrem liebsten Hobby frönen und gemeinsam tolle Inszenierungen auf die Bühne bringen. Doch als die Enkeltochter des Regisseurs und der Charakterdarstellerin der Gruppe an einer seltenen und kaum erforschten Krankheit erkrankt, ist das gesamte Ensemble plötzlich mit der Herausforderung konfrontiert, in möglichst kurzer Zeit eine hohe Summe an Spenden zu akquirieren. Denn die einzige Hoffnung besteht in einem neuen und sehr teuren Medikament, das sich noch in der Testphase befindet.

So stellt die Gruppe, die sich in Mails und Kurznachrichten nicht nur über die nächste Theaterproduktion, die Rollenbesetzung und diversen Klatsch und Tratsch austauscht, in kürzester Zeit mehrere Spendenaktionen auf die Beine. Es gibt einen Charity Ball, einen Yogathon und eine Tombola. Und auch die Eintrittsgelder der nächsten Theaterproduktion sollen für Poppys Behandlung gespendet werden.

„Anscheinend fliegen überall Gerüchte herum und gerät alles durcheinander.“

(S.328)

Alle beteiligen sich am Fundraising und sind auch finanziell großzügig, um die kleine Poppy zu retten, doch auf einmal ist nicht nur ein Teil der Spendensumme verschwunden, sondern auch zwielichtige Großspender werden von der Aktion angezogen wie Motten vom Licht.

„Solche Kampagnen locken immer Phantasten, Träumer und Aufmerksamkeitsjunkies an, von Betrügern ganz zu schweigen.“

(S.107)

Hallett gelingt es durch die unterschiedlichen Sprachstile der hin- und herfliegenden Emails ausdrucksstarke Charaktere zu schaffen und die Gruppendynamik innerhalb des Theatervereins wird regelrecht spürbar. Wie im richtigen Leben gibt es die Zupackenden ebenso wie die verzweifelt um Aufmerksamkeit Buhlenden, es gibt die stillen, leisen Typen und auch die mit großer Klappe. Da gibt es langjährige Freundschaften und Seilschaften, aber auch alte Konflikte, die unter der Oberfläche schwelen, Mobbing und übergriffiges Verhalten.
Es menschelt in der Gruppe wie all überall und neben großem Drama auf der Bühne gibt es schließlich sogar einen Mord aufzuklären.

Doch… the show must go on…

„Es war keine leichte Produktion. Es galt, einige Hürden zu überwinden, doch heute, morgen und am Samstagabend wird es Vorstellungen geben vor einem begeisterten Publikum. Wenige flüchtige Stunden lang begeben wir uns auf dieselbe aufregende Reise, die Generationen von Schauspielern seit Jahrhunderten unternehmen, losgelöst von Zeit, Raum, Sprache und Glauben.“

(S.362)

Oder ist am Ende vielleicht doch alles ganz anders? Alles nur Theater?

Hallett hat mit „Die Aufführung“ einen außergewöhnlichen Krimi mit plastischen, lebensechten Charakteren verfasst, der vor allem die Dynamik in der Theatergruppe, menschliche Verhaltensweisen und die Macht und Geschwindigkeit von Gerüchten meisterhaft in Szene setzt. Auch durch die besondere stilistische Form sticht er aus der breiten Masse an Krimis heraus und so kommen nicht nur Theaterfans und LaienschauspielerInnen auf ihre Kosten, sondern auch Krimileser, die sich mal an ein unkonventionelleres Format wagen möchten.

Hallett, die selbst lange Jahre in einem Theaterverein aktiv war, hat mit „Die Aufführung“ aber auch eine liebevolle Hommage an das Laientheater geschrieben. Im Nachwort zum Buch bedankt sie sich explizit bei ihren TheaterweggefährtInnen im britischen Norholt und wünscht sich für ihr Buch Folgendes:

„Ich hoffe, es ist eine passende Verneigung vor allen Laienspielgruppen geworden.“

(S.527)

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Atrium Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Janice Hallett, Die Aufführung
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
Atrium
ISBN: 978-3-85535-218-0

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Janice Halletts „Die Aufführung“:

Für den Gaumen:
Das Galamenü auf dem Charity Ball für Poppy wartet mit folgenden Gängen auf: „Ziegenkäse und Feigensalat“, „Hähnchen Maryland“ und als Dessert „Toffee-Pudding“ (S.74).

Zum Weiterlesen oder für einen Theaterbesuch:
Die Fairway Players proben gerade ein anspruchsvolles Stück von Arthur Miller:
Alle meine Söhne“, das 1947 am Broadway uraufgeführt wurde und das neben „Tod eines Handlungsreisenden“ zu den bekannteren Werken des amerikanischen Dramatikers gehört.

Arthur Miller, Stücke 1
Fischer Taschenbuch
ISBN: 978-3-596-18489-7

Zum Weiterlesen:
Auch in Der Twyford Code, den ich bereits hier auf dem Blog vorgestellt habe, hat Janice Hallett eine außergewöhnliche Form gewählt, um ihren Krimi zu erzählen. In diesem Fall, der unter anderem Analphabetismus zum Thema macht, sind es nicht Mails oder Kurznachrichten, sondern vielmehr Audiodeskriptionen, welche die Handlung vorantreiben.

Janice Hallett, Der Twyford Code
Aus dem Englischen von Stefanie Kremer
Atrium
ISBN: 978-3-85535-178-7

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