Happy Life

Das glückliche Leben“ – das ist schon mal ein Titel mit einer ziemlichen Ansage (und dieses Mal wirklich eine eins zu eins Übersetzung des französischen Originaltitels „La vie heureuse“) von David Foenkinos, denn der Erfolgsautor aus Paris hat keinen Ratgeber geschrieben, sondern einen Roman.

Einen Roman über „Das glückliche Leben“? Was stellt man sich darunter vor?
Vermutlich gibt es darauf so viele unterschiedliche Antworten wie LeserInnen. Aber ein Buch, das sich zu einem nicht unwesentlichen Teil mit dem Phänomen von „Fake“-Beerdigungen bzw. einem Selbsthilfe-Ritual aus Korea beschäftigt, hätte ich persönlich wohl zunächst nicht erwartet.

Aber der Reihe nach: Éric ist erfolgreich in seinem Beruf, hat es über die Jahre in einer Firma für Sportbekleidung und -zubehör in die Führungsebene geschafft – ein echter Selfmademan aus dem Bilderbuch. Und doch merkt er, dass nicht nur sein Familienleben gelitten hat, sondern in seinem Leben etwas ins Rutschen gerät.

Als ihm dann plötzlich eine ehemalige Schulkameradin einen Job in der Politik bzw. einem Ministerium anbietet, ergreift er die Chance zu einem Neuanfang.
Doch auch die Spitzenpolitik bedeutet ein Leben mit hoher Geschwindigkeit, großer Arbeitsbelastung und verstärkter Reisetätigkeit. Und als er plötzlich auf einer gemeinsamen Dienstreise mit seiner Vorgesetzten Amélie in Korea vor einer leuchtenden Neonreklame steht, siegt die Neugier über sein Pflichtgefühl.

„Der Zufall hätte ihm tausend andere Wege weisen können, doch er hatte eben diesen gewählt; der Éric zu der Stelle brachte, die sein Leben verändern sollte. Auch wenn er aufgrund des Regens die Dinge eher verschwommen wahrnahm, entdeckte er auf der anderen Straßenseite plötzlich einen roten Neonschriftzug: Happy Life.“

(S.96)

Für ihn wird der Besuch dieser Einrichtung für Fake-Beerdigungen zum Schlüsselerlebnis, das sein Leben von Grund auf umkrempeln wird. Ein Wendepunkt, nach dem für ihn nichts mehr so sein wird wie zuvor, denn eine Rückkehr in sein altes Leben ist für ihn nicht mehr vorstellbar.
Und was Amélie angeht: man trifft sich immer zwei Mal im Leben. Manchmal sogar noch öfter…

Foenkinos beschreibt in „Das glückliche Leben“ einiges, das vielen Berufstätigen bestens bekannt vorkommen wird und hält der modernen Gesellschaft den Spiegel vor. Auch die Momente, in denen man am liebsten alles hinschmeißen und aus dem Alltagstrott ausbrechen würde, kennen wohl die meisten.

„Éric selbst erlebte die Umwälzungen fast wie etwas Magisches. Just in dem Moment, in dem er den Entschluss gefasst hatte, ein paar Gänge herunterzuschalten und das Leben mit anderen Augen zu sehen, genau in diesem Moment hielt die Welt verblüffenderweise ebenfalls inne. Hätte er zum Größenwahn geneigt, hätte er die Zeichen so gedeutet, dass er nun den Takt vorgab.“

(S.120)

Der Autor lässt seine Leserschaft ein ganz klein wenig hinter die politischen Kulissen Frankreichs blicken, thematisiert die Pandemie und ihre Auswirkungen ebenso wie die Suche nach dem Sinn des Lebens – „Das glückliche Leben“ ist eine wilde Mischung. Es geht um Liebe, ums Vatersein und um eine späte Berufung…

Und es ist bei diesem Buch ein bisschen so wie bei Forrest Gump und dem Leben:

Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen man weiß nie, was man kriegt.“

Foenkinos lässt in seinem Roman zwei Kulturen, zwei Lebenswelten und zwei Figuren aufeinanderprallen. Da ist das Frankreich und seine gehobene Bildungsbürgerschicht und da ist Korea und ein fremdes Ritual, das im europäischen Raum noch weitgehend unbekannt ist. (Ich hatte offen gestanden noch nie davon gehört oder gelesen.) Und da sind Éric und Amélie, die seit ihrer Schulzeit in der Bretagne beide bereits eine gewisse Wegstrecke des Lebens hinter sich gebracht und unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Und doch stellen sich Menschen jenseits von kulturellen Unterschieden und individuellen Vorgeschichten offenbar immer wieder ähnliche Fragen:

Was zählt am Ende? Was macht ein gelungenes und glückliches Leben aus? Worauf kommt es an? Was kann ich dafür tun?

Ob es dafür das Ritual einer Fake-Beerdigung bzw. das Durchleben der eigenen Beerdigung benötigt, kann und möchte ich nicht beantworten.
Und auch Foenkinos hat in seinem gerade mal ca. 220 Seiten starken Roman sicherlich keine Antworten auf all diese Fragen. Aber vielleicht kann er im Rahmen einer kurzweiligen Geschichte ein paar Denkanstöße geben. Untertitelt ist das Werk mit „eine Hymne auf die Neuanfänge im Leben“ – eine emotionale, gefühlsgeladene Geschichte ist es auf jeden Fall und doch bleibt es eben auch einfach ein Roman, eine Liebesgeschichte und eine Erzählung über Veränderungen.

Denn „Das glückliche Leben“ ist gerade kein Ratgeber, will dies auch gar nicht sein und hat auch kein Patentrezept im Köcher. Das Leben ist eben nicht immer nur glücklich, sondern manchmal auch kompliziert.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
David Foenkinos, Das glückliche Leben
Aus dem Französischen von Christian Kolb
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-00792-3

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich David Foenkinos „Das glückliche Leben“:

Für den Gaumen:
Seit einigen Jahren auch bei uns immer mehr im Kommen – dem Fermentierungstrend sei dank: Kimchi. Ursprünglich aus Korea – doch vermutlich ist die Rezeptur bei uns bereits „entschärft“ bzw. an europäische Gaumen angepasst.

„Bei der Zubereitung eines Kimchi wird eine rohe Chilischote in Kohl gewickelt, damit man wohl nicht ahnt, wie es gleich brennen wird.“

(S.59)

Zum Weiterhören:
Musik bzw. bekannte Klänge schicken Éric auf eine Reise in die Vergangenheit. Es handelt sich um ein Stück der französischen Sängerin France Gall, die 2018 im Alter von nur 70 Jahren verstorben ist.

„Es lief der Hit ‚Il jouait du piano debout‘ von France Gall, der damals ununterbrochen gespielt wurde.“

(S.106)

Zum Weiterschauen:
Schon beim Lesen der Szenen, die in Korea spielen hatte ich immer wieder Bilder aus einem ganz bestimmten Film im Kopf – Foenkinos scheint fast eine Hommage geschrieben zu haben – und voilà ein paar Seiten weiter, taucht der Film plötzlich direkt selbst im Text auf:

„Hast du „Lost in Translation“ von Sofia Coppola gesehen?“
„Nein, leider nicht.“
„Solltest du dir anschauen, ist ein sehr schöner Film. Bill Murray und Scarlett Johansson lernen sich in Tokio kennen. Es ist die Geschichte von zwei einsamen Menschen, die sich in einer Umgebung begegnen, deren Regeln sie nicht verstehen.“

(S.63)

Zum Weiterlesen:
Die beiden Hauptfiguren im Roman verbindet ihre gemeinsame Kindheit und Jugend in der Bretagne.

„Die Bretagne seiner Kindheit verursachte ihm ein gewisses Unbehagen, und er kehrte nur selten dorthin zurück, wo er alle Elemente einer schalen Nostalgie vorfand.“ (S.15)

Eine geheimnisvolle Seite dieses Landstrichs lässt sich auch in Claire Léosts Roman Der Sommer, in dem alles begann entdecken, den ich bereits hier auf dem Blog vorgestellt habe.

Claire Léost, Der Sommer, in dem alles begann
Aus dem Französischen von Stefanie Jacobs und Jan Schönherr
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-8392-0630-0

Ein Kommentar zu „Happy Life

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