Als großem Theaterfreund fehlen mir die Live-Erlebnisse in Theatern und Opernhäusern mittlerweile sehr und daher bin ich dankbar und freue mich, dass mittlerweile viele Häuser ein sehr umfangreiches und sehenswertes Streamingangebot auf die Beine gestellt haben.
Auch das Staatstheater am Gärtnerplatz, das bereits 1865 als „volksnahes Musiktheaterhaus“ in München eröffnet wurde, bietet seinem Publikum derzeit ein buntes und vielseitiges Programm und so konnte ich am 23. Januar in den Genuss einer Operette kommen, die ich bisher meiner Erinnerung nach noch nie live gesehen hatte: Paul Abraham’s Revueoperette „Viktoria und ihr Husar“.
Dieses Werk, das 1930 uraufgeführt wurde und in die „silberne Ära“ der Operette fällt, d.h. in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, hat alles, was es für einen schwungvollen, amüsanten und kurzweiligen Theaterabend braucht und die liebevolle und aufwändige Inszenierung des Gärtnerplatztheaters aus dem Jahr 2016, die jetzt als Wiederaufnahme zu sehen war, hat mir einen sehr vergnüglichen Abend zu Hause auf meiner Couch bereitet.
„Um Ihretwillen, erzählen Sie gut!“
(Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda / Textfassung für das Staatstheater am Gärtnerplatz von Joseph E. Köpplinger)
In einem sibirischen Gefangenenlager nach Ende des ersten Weltkriegs entsteht zu Beginn des Stücks eine Situation, die in der Münchner Inszenierung an Scheherazade aus Tausendundeiner Nacht erinnert: der inhaftierte Husarenrittmeister Koltay muss, um sein Leben und das seines Burschen Jancsi zu retten und frei zu kommen, die Geschichte seiner großen Liebe zu Viktoria erzählen.
Durch raffinierte Lichteffekte und mittels eines variablen und intelligenten Bühnenbilds, das gleich einem „Bild im Bild“ die unterschiedlichen Schauplätze der Erzählung im Gefangenenlager einbettet, beginnt nun die wilde Reise Koltay’s und Jancsi’s, um Viktoria zurückzuerobern. Viktoria, die in der Meinung ihre große Liebe Koltay sei im Krieg gefallen den amerikanischen Botschafter Cunlight geheiratet hat, ist mit diesem aktuell in Japan stationiert. So wird Japan die erste Station der Reise. Die Farbe Rot zaubert Wärme und asiatisches Flair ins Grau des Gefangenenlagers und so unterhaltsame Nummern wie „Meine Mama war aus Yokohama“ interpretiert von einer herrlich komödiantischen Julia Sturzlbaum als O Lia San reißen mit und heben mit Charlestonklängen und schwungvollen Tanzeinlagen sofort die Laune. Die Choreografie und tänzerische Leistung der Darsteller hat mich durchgängig begeistert – hohes Tempo, Tanz und Gesang – da zeigt sich erneut, dass Operette als vermeintlich „leichte Muse“ künstlerisch äußerst anspruchsvoll ist und den Sängerinnen und Sängern alles abverlangt.
Paul Abraham und seine Librettisten haben alle Sehnsuchtsorte und Klangwelten der damaligen Zeit in die Handlung eingebaut – der Wiener Walzer in „Pardon Madame“, russische Melodien, da der Weg Cunlight und seine Viktoria von Japan schließlich nach Russland führt und am Ende die ungarischen Csardasklänge, die so typisch für viele klassische Operetten sind.
Und doch merkt man dem Stück auch an, dass 1930 bereits auch schon modernere Elemente aus dem Jazz, Foxtrott und Charleston eingeflossen sind. Das ist frisch, quirlig und in Verbindung mit urkomischen Tanzeinlagen, die stellenweise fast schon Züge von Slapstick aufweisen – zum Beispiel im Duett des Buffopaars Jancsi und Riquette liefert Josef Ellers eine wahre Handtuchakrobatik ab – ganz große Unterhaltung.
„Es gibt auch Verlobungen, die gut ausgehen, aber die meisten enden doch mit einer Heirat.“ (Jancsi)
(Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda / Textfassung für das Staatstheater am Gärtnerplatz von Joseph E. Köpplinger)
Witzige Dialoge und drei stimmig besetzte Paare mit Koltay/Viktoria, Jancsi/Riquette und Ferry/O Lia San machten das Ganze zu einem rundum gelungenen Operettenabend.
Meine persönlichen Lieblinge der Besetzung waren vor allem der Grandseigneur des Gärtnerplatz’ Erwin Windegger als liebender Gentleman und verlassener Ehemann John Cunlight und die als weinselig-beschwipste Rauschkugel inszenierte O Lia San Julia Sturzlbaum, die urkomisch, frech und frisch über die Bühne wirbelt und auch bei hohem Tempo gesanglich absolut überzeugt.
Das Gärtnerplatz ist ohnehin meist ein Garant für gelungene und opulente Bühnenbilder und auch die Kostümabteilung hat für diese Inszenierung erneut wunderbare Arbeit geleistet. So entstehen eindrückliche Bilder, Musik und Optik werden harmonisch in Einklang gebracht.
Die Inszenierung vermittelt den Zauber der Exotik und die Sehnsucht der Gefangenen, sich in der Fantasie an andere Orte zu träumen – ein Stück, das gerade in der momentanen Lage unheimlich aktuell erscheint.
So wie der Husar im Gefangenenlager um sein Leben und für seine Freilassung erzählt, so spielen auch die Darsteller vor einem leeren Haus, um mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben und nicht in Vergessenheit zu geraten.
So war für mich der Abend auch ein Loblied an die Kraft des Theaters, das Menschen für einige Zeit die Sorgen vergessen lässt, aus dem Alltag heraus in andere Welten entführen und die Fantasie beflügeln kann. Bravo!
Ein sehr schöner Abend, das Streaming eine Möglichkeit dem Theater verbunden zu bleiben und dennoch sehne ich auch um so mehr den Tag herbei, an dem ich wieder live Künstler auf der Bühne erleben darf.
Gesehen am 23. Januar 2021 als Livestream aus dem Staatstheater am Gärtnerplatz
Zum Weiterschauen (I):
Das Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz bietet in der kommenden Zeit, solange noch nicht wieder vor Publikum gespielt werden kann, weitere Livestreams im Internet an:
– Am 31. Januar 2021 – 19.00 Uhr: Sinfonische Lyrik –
Don Juan oder „Der steinerne Gast“ (Musik von Christoph Willibald Gluck)
– Am 06. Februar 2021 – 18.00 Uhr:
„La Cenerentola“ – Komische Oper von Gioachino Rossini
Zum Weiterschauen (II):
Wer meine Kulturbowle schon eine Weile verfolgt, kann sich vielleicht noch erinnern, dass ich begeisterte Kritiken zu zwei Aufführungen des Landestheater Niederbayern verfasst habe, die ich im September und Oktober noch live im Theater erleben durfte. Jetzt stehen beide Inszenierungen auch in der Mediathek des Landestheater Niederbayern kostenlos (oder gegen eine freiwillige Spende) zur Verfügung:
- bereits online: Johann Wolfgang von Goethe’s „Urfaust“
- ab dem 29. Januar 2021 online: Woody Allen’s „Geliebte Aphrodite“
Liebe Barbara,
danke für Deine schöne Empfehlungen.
Bin gerade nach Landshut bzw. Panama gereist: „O wie schön ist Panama“.
Köstlich! Danke und Grüße
Bernd
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Oh, wie schön das freut mich sehr. Heute war meines Wissens nach der letzte Tag für dieses Stück und ich finde, sie haben wirklich sehr viel Mühe und Liebe in diese Produktion gesteckt. Ich habe mich auch köstlich amüsiert – und dank Mediathek kann Landshut und Panama überall sein. 🙂
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Ja Barbara,
dies war ein schöner Ausflug nach Panama und wieder nach Hause. Bin dort beim Landestheater gelandet durch Deine Empfehlung und weil es der letzte Tag war. Mein Scherflein abgeschickt. Verlängerung für weitere Interessierte wäre sehr wünschenswert.
Schöne Grüße Bernd
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