Limoncellolaune

Obwohl die Ursprünge des bekannten Zitronenlikörs nicht ganz gewiss sind, ist Capri sicherlich ein heißer Kandidat, um sich die Erfindung des Limoncello auf die Fahnen schreiben zu können. In Luca Ventura’s neuem Krimi „Bittersüße Zitronen“ spielt das Getränk eine zentrale Rolle und so ermitteln Enrico Rizzi und Antonia Cirillo in ihrem zweiten Fall zwischen Zitronenhainen und Abfüllanlagen auf der wunderschönen Insel Capri am Golf von Neapel.

„Der Saftspritzer auf seinem Handrücken schmeckte bitter und gleichzeitig süß und hatte eine Fülle und ein Aroma, in dem der ganze Sommer des Jahres steckte.“

(S.144)

Als auf Capri in einer Gewitternacht eine junge Frau mit der Ape – dem uritalienischen dreirädrigen Transportfahrzeug – von der regennassen Fahrbahn abkommt und bei dem Unfall zu Tode kommt, wird schnell klar, dass es sich nicht um ein tragisches Unglück handelt, sondern dass die Bremsen des Fahrzeugs manipuliert wurden. Doch Elisa Constantini – Erbin eines Zitronenanbaubetriebs, den sie auf Bioanbau und Crowdfarming umstellen möchte – hatte sich die Ape nur geliehen. Galt der Anschlag also gar nicht ihr, sondern der Eigentümerin, der betagten Grande Dame des capresischen Limoncello-Geschäfts, die sich über die Jahre ein wahres Zitronenimperium aufgebaut hat und auf die qualitativ hochwertigen Zitronenlieferungen der Constantinis angewiesen ist?

Enrico Rizzi – der Einheimische und gebürtige Insulaner – beginnt gemeinsam mit seiner strafversetzten, norditalienischen, zupackenden Kollegin Antonia Cirillo zu ermitteln und schnell befinden sie sich in einem wahren Gewirr an Motiven und Verdächtigen. Denn im Laufe der Zeit kommen immer mehr fragwürdige Geschäfts- und Liebesbeziehungen ans Tageslicht.

Während der Lektüre erfährt man einiges über den Zitronenanbau und das für Capri wichtige und einträgliche Geschäft mit Limoncello, Zitronenkuchen, Marmelade und Co. Neben dem Tourismus ein bedeutender Wirtschaftszweig für die Region am Golf von Neapel, den Luca Ventura in den Mittelpunkt seines zweiten Capri-Krimis stellt und somit seiner Leserschaft unter anderem auch viele Aspekte wie den ökologischen Anbau der Zitrusfrüchte, das Konzept des Crowdfarming, die Situation der Erntehelfer und die Herstellung des Limoncello näherbringt.

Zudem kommt auch der Handlungsstrang um das Privatleben der beiden Ermittler nicht zu kurz und so erfährt man, dass sich Enrico Rizzi Sorgen um den zunehmend gebrechlich werdenden Vater macht, der die Gemüsegärten der Familie kaum noch bewirtschaften kann und immer mehr auf die Hilfe seines Sohnes angewiesen ist. Und auch Antonia leidet weiterhin aufgrund der räumlichen Trennung von ihrem Sohn, der beim Vater lebt und dort ohne sie immer erwachsener und unabhängiger wird. Ventura hat mit Rizzi und Cirillo zwei interessante Ermittlerpersönlichkeiten erschaffen, deren Geschichten noch nicht auserzählt sind und sicherlich noch Stoff für weitere Fälle bieten.

Da mir der erste Band der Reihe „Mitten im August“ bereits im letzten Jahr den ersten Lockdown literarisch versüßt und verkürzt hatte, war klar, dass ich jetzt auch den zweiten Fall mit Spannung und dem entsprechenden „Italien-Urlaubs-Fernweh“ freudig erwartet habe – und ich wurde nicht enttäuscht. Ein paar Stunden Abtauchen in einen stimmungsvollen Italien-Krimi mit Sonne, dem Meer, das in verschiedensten Blauschattierungen leuchtet, mediterraner Küche und einem kurzweiligen, klassischen Krimiplot, das ist für mich Entspannung und Balsam für die Seele und das gelingt in „Bittersüße Zitronen“ wirklich perfekt.

„Wo die Sonnenstrahlen hinreichten, leuchtete das Meer, türkisfarbene Flecken in einem tiefen Petrolblau (…)“

(S.38)

Italien-Fans und Freunde von Donna Leon oder Martin Walker werden auch an Luca Ventura ihre Freude haben, denn Enrico Rizzi ist geradezu die italienische, capresische Antwort auf Bruno – er ist verwurzelt, ein Familienmensch, kocht gerne, hilft seinem Vater im Garten, kennt die Insel und die Menschen wie seine Westentasche und muss die Frau fürs Leben erst noch von sich überzeugen.

Viel Lokalkolorit, italienisches Lebensgefühl und kulinarische Inspiration, dazu ein nicht übermäßig brutaler Kriminalfall und zwei lebensnahe, sympathische Ermittlerfiguren – Leserherz, was willst Du mehr?

Ein Buch wie ein entspannender Tag am Meer: sonnendurchflutet, erfrischend, gut gelaunt, kurzweilig und viel zu schnell vorbei.

Buchinformation:
Luca Ventura, Bittersüße Zitronen
Diogenes
ISBN: 978-3-257-30082-6

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Bittersüße Zitronen“:

Für den Gaumen:
Natürlich wäre ein Gläschen Limoncello di Capri die perfekte Ergänzung zu dieser Lektüre, um die „bittersüßen Zitronen“ selbst zu schmecken.
Auf meine Merkliste der interessanten und nachkochenswerten Gerichte ist bei der Lektüre aber vor allem auch Cianfotta (teils auch Ciambotta geschrieben) gewandert: ein Sommergemüseeintopf u.a. mit Auberginen und Kartoffeln.

Zum Weiterhören:
Wer aktuell zumindest musikalisch in mediterrane Urlaubsstimmung kommen möchte, dem kann ich das Album „Mare“ von Quadro Nuevo sehr ans Herz legen. Musik, die entspannt, sofort gute Laune zaubert und einen unmittelbar das Wellenrauschen und die Meeresbrise hören und spüren lässt.

Zum Weiterlesen oder besser vorher lesen:
Obwohl man „Bittersüße Zitronen“ auch unabhängig vom ersten Teil lesen kann, kann ich auch den ersten Band der Reihe „Mitten im August“, der letztes Jahr erschienen ist, unbedingt empfehlen – hier lernt man Enrico Rizzi und Antonia Cirillo kennen und schätzen und taucht ab ins tiefblaue Meer um die Insel und die Ozeanologie. Auch hier gilt: Urlaubsstimmung inklusive.

Luca Ventura, Mitten im August
Diogenes
ISBN: 978-3-257-30076-5

6 Kommentare zu „Limoncellolaune

    1. Ja, wenn man nicht schon ohnehin Fernweh (oder in Deinem Fall Heimweh) und Sehnsucht nach Italien und dem Meer hat, bekommt man es… Herzliche Grüße und einen schönen Sonntag!

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  1. Was den Gaumen betrifft, wäre mir ein Amaretto-Krimi lieber. Als bei meinem Stammitaliener ohne Vorwarnung beim Verlangen der Rechnung nicht mehr die Frage gestellt wurde: „Sambuca oder Amaretto?“, man also auch nicht mehr die Chance hatte, sich an dem noch brennenden Getränk die Nasenspitze anzusengen, sondern fraglos (!!!) ein Gläschen Limoncello für jeden Teilnehmer der Tafelrunde kredenzt wurde, war das für mich beinahe ein Grund, meine Gastestreue aufzukündigen. – Es ist schon faszinieren, zu beobachten, dass die Regionalkrimis und solche, die Kulinarisches mit Spannung mixen derartig ins Kraut schießen. Ich fürchte, es sagt mehr über die Lese- als über die Schreibkultur, welche in den meisten Fällen ohnehin nur dem Lesergeschmack hinterherhechelt, statt geschmacksbildend zu wirken.

    Gefällt 1 Person

    1. Sollte mir mal ein Amaretto-Krimi unterkommen, gebe ich gerne Bescheid. 😉 Über Limoncello und Regio-/Kulinarik-Krimis kann man sicherlich geteilter Meinung sein – auch hier sind Geschmäcker verschieden. Bei mir persönlich ist es nicht das Lieblingsgenre, aber so ab und zu zur Entspannung (ich sehe dafür wenig fern) lese ich das mal ganz gerne (und auch nur von Autorinnen und Autoren, die das aus meiner Sicht gut machen.)

      Gefällt 1 Person

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