Songschreiber im Glück

Timon Karl Kaleyta, der bisher vorwiegend als Musiker, Songschreiber, Kolumnist und Drehbuchautor arbeitete, hat mit „Die Geschichte eines einfachen Mannes“ jetzt seinen Debütroman vorgelegt. Er erzählt satirisch-bissig von einem jungen Mann, der sich selbst, seinen Platz und seine Aufgabe im Leben sucht – eine moderne Fassung des „Hans im Glück“ über einen, der sich durchs Leben laviert und versucht, den sozialen Aufstieg über Klassenschranken hinweg zu realisieren.

„Daheim mangelte es mir an nichts, nie litt ich Hunger oder anderes Leid, nie erfuhr ich auch nur irgendein erwähnenswertes Unrecht. Nein, jeder Tag kam im Grunde einer Verbesserung und nochmaligen Verbesserung des Vortages gleich, und hätte ich wählen müssen, kein Schicksal der Welt wäre mir lieber gewesen als mein eigenes.“

(S.12)

Der Ich-Erzähler, der zu Beginn des Romans die Oberstufe eines Gymnasiums einer Ruhrgebietsvorstadt besucht, ist behütet aufgewachsen. Das Leben meint es gut mit ihm, seine Eltern – beide Fabrikarbeiter – sind stolz auf ihren begabten Sohn und die Möglichkeiten, welche ihm offen stehen. Für ihn könnte am besten alles immer so weitergehen, doch im Jahr 1998 erleidet er seine erste kleine Niederlage und seine Weltanschauung wird in den Grundfesten erschüttert: Helmut Kohl verliert die Bundestagswahl und Gerhard Schröder zieht ins Kanzleramt ein. Da half leider auch der Ansteckbutton „Ich bin für Kohl!“ auf seinem Federmäppchen nichts.

Bei der Abiturfeier wünscht sich ein Lehrer, dass er irgendwann von ihm in der Zeitung lesen wird. Doch nach und nach merkt er, dass er noch keinerlei Plan für seine Zukunft hat. Eine Ausbildung machen? Nein, das kommt nicht in Frage. Studieren? Schon eher. Aber was? Unbedarft stolpert er an die Universität und muss ernüchternd feststellen, dass sein Notendurchschnitt für ein Medizinstudium und den gesellschaftlich prestigeträchtigen Beruf des Arztes nicht reicht. Also doch Geisteswissenschaften?

„Nun, da ich verstanden hatte, wie es im Leben lief, vor allem aber, weil ich unter keinen Umständen schon jetzt anfangen wollte, richtig zu arbeiten, war klar, dass mein weiterer Weg mich an die Universität führen würde.“

(S.46)

Die Geduld der Eltern wird über die Jahre auf eine harte Probe gestellt, denn ihr Sohn laviert sich weiterhin weitestgehend ziel- und mittellos durchs Leben und sie hätten sich das Leben ihres Sohnes doch anders vorgestellt – bodenständiger, geradliniger, zielstrebiger.
Und auch wenn ihm das Glück zwar zunächst immer wieder gewogen zu sein scheint, erleidet er doch auch immer wieder finanzielle und private Niederlagen.

Durch Zufall landet er neben seiner Universitätslaufbahn auch als Songschreiber und Sänger einer Band im Musikgeschäft – hochfliegende Träume, rauschhafte Konzerte, überzogene Hoffnungen und große Erwartungen stellen sich ein. Angetrieben von der Motivation, finanziell, wirtschaftlich und gesellschaftlich aufzusteigen und sich nicht in einen festgelegten, vorgegebenen Lebenslauf zu fügen, mogelt er sich weiter durchs Leben. Sein Professor rät ihm dazu, sich lieber eine reiche Frau zu suchen und dann läuft ihm doch tatsächlich eine erfolgreiche Zahnärztin über den Weg. Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall…

Der Roman und die Stimmung des Ich-Erzählers schwankt stets zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt – eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Siege und Niederlagen wechseln sich ab und Impulse zu Veränderungen kommen tendenziell immer zufällig von außen – was unweigerlich an die Geschichte des naiven, unbedarften „Hans im Glück“ aus dem Märchen erinnert.

Die Beschreibung des Zeitgeists der späten Neunziger und frühen 2000er Jahre ist in meinen Augen die Stärke des Romans und die Charakterisierung einer Generation, die aus sicheren, wohlbehüteten und sorgenfreien Verhältnissen heraus nicht so recht weiß, was sie mit dem Leben anfangen soll, ist ebenfalls gut getroffen.

Das Buch liest sich frech, flüssig und schnell. Der letzte Funke wollte bei mir jedoch leider nicht so richtig überspringen, da es mir persönlich nicht immer gelungen ist, die satirisch-zynischen Überzeichnungen und die zunehmend unsympathisch-egozentrischen Züge der Hauptfigur auch immer wieder als solche einzuordnen und mir diese als stilistisch gewollt bewusst zu machen. Die Hauptfigur und seine „Lebenswirklichkeit“ war somit letztlich für mich schwer nachvollziehbar, bot für mich zu wenig Identifikationspotenzial und so blieb ich als Leser auf Distanz.

Ein Buch über einen Lebenskünstler und Schelm, der es faustdick hinter den Ohren hat, der gegen Klassenunterschiede rebelliert und dem das Glück zunächst zuzufliegen scheint, das ihn in ungeahnte Höhen katapultiert, um ihn dann um so tiefer fallen zu lassen. Ein Märchen unserer Zeit?

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Piper Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Timon Karl Kaleyta, Die Geschichte eines einfachen Mannes
Piper
ISBN: 978-3-492-07046-1

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Die Geschichte eines einfachen Mannes“:

Für den Gaumen:
Die Kulinarik spielt im Roman keine herausragende Rolle, aber an einer Stelle gibt es einen gut gekühlten, österreichischen Grauburgunder – das passt ja auch gut zu den hoffentlich bald nahenden sommerlicheren Temperaturen.

Zum Weiterschauen:
Eine kleine Zeitreise gefällig? Der Roman beginnt im Jahr 1998 – schaut man sich die Oscar-Prämierungen dieses Jahres an, war zweifelsohne „Titanic“ mit 11 Oscars der große Abräumer – persönlich konnte ich aber damals mit den Filmen „Ganz oder gar nicht“ (Beste Filmmusik) und „Besser geht’s nicht“ (Beste Hauptdarstellerin Helen Hunt und bester Hauptdarsteller Jack Nicholson) mehr anfangen.

Zum Weiterlesen:
Beim Lesen musste ich stellenweise an Florian Illies’ „Generation Golf“ denken – auch wenn es zeitlich nicht exakt die Generation des Romanhelden trifft – das ich persönlich, als ich es vor vielen Jahren gelesen habe, in der Schilderung des Zeitgeists der 80er und 90er Jahre wirklich sehr treffend fand und mit großem Amüsement gelesen habe.

Florian Illies, Generation Golf
Fischer Taschenbuch
ISBN: 978-3-596-15065-6

6 Kommentare zu „Songschreiber im Glück

  1. Liebe Barbara,
    was für ein „Hans im Glück“. Dass es sogar Aufkleber gegeben haben mag, „Ich bin für Kohl“, kann ich mir rückblickend auf 1998 lediglich dialektisch vorstellen – gleichwohl erschließen Bücher ja gerne auch andere Welten. Welche Songs hat denn der Protagonist geschrieben?
    Schöne Frühlingsgrüße
    Bernd

    Gefällt 1 Person

    1. Guten Morgen Bernd, im Roman ist der erste und wichtigste Song betitelt mit „Die neue Zeit“. Im richtigen Leben hat der Autor des Romans Timon Karl Kaleyta vier Studioalben mit seiner Band „Susanne Blech“ veröffentlicht – zuvor war ein Produzent aufgrund des Songs „Neuzeit“ auf ihn aufmerksam geworden – Parallelen zum Roman sind also durchaus zu erkennen. Ich muss jedoch gestehen, dass ich da selbst noch nicht wirklich bzw. nur sehr kurz reingehört habe, weil das Musikgenre (beschrieben als textlastiger Elektropop) nicht so ganz meines ist. Eine schöne Restwoche und herzliche Grüße, Barbara

      Gefällt 1 Person

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