Auch die längste Nacht des Jahres hat ein Ende – gestern haben wir die Wintersonnenwende oder Thomasnacht 2021 hinter uns gebracht. Die Tage werden wieder länger. Auch die Phasen des Winters, die Katherine May in „Überwintern – Wenn das Leben innehält“ beschreibt – Krisensituationen, Schicksalsschläge, Krankheit, Umbrüche oder Lebensveränderungen haben ihre Berechtigung, ihren Sinn und können gemeistert werden. Was diese Zeiten des Winters ausmacht und wie sie diesen begegnet, beschreibt die britische Autorin in ihrem wunderbaren, wärmenden Buch.
„Winter ist nicht Tod, ist nicht das Ende eines Lebens, sondern eine Bewährungsprobe. Wenn wir aufhören, uns ständig nach Sommer zu sehnen, kann der Winter eine ganz wunderbare Jahreszeit werden, in der die Welt von sparsamer Schönheit ist und selbst der Asphalt funkelt. Eine Zeit zum Nachdenken, zum Erholen, zum langsamen Wiederaufladen, zum Aufräumen.“
(S.25)
Katherine May musste in ihrem Leben schon mit vielen schwierigen Situationen, Diagnosen, Krankheiten und Schicksalsschlägen umgehen. All diese Situationen – ebenso wie berufliche Veränderungen oder sonstige Umbruchphasen im Leben bezeichnet oder vergleicht sie mit dem Winter. Eine notwendige und unvermeidbare Zeit des sich Zurückziehens, des Pausierens, des Kräftesammelns, der Ruhe und der Regeneration. In „Überwintern“ arbeitet sie viel mit Bildern aus der Natur – den Tieren, die Winterschlaf machen, den Bäumen, welche die Blätter verlieren, Kälte und Dunkelheit, welchen man mit verschiedenen Strategien begegnen kann.
May schreibt offen und berührend über ihre Art, solche Phasen zu nutzen und ihnen etwas Positives abzugewinnen – ihr persönlicher Werkzeugkasten, mit diesen Zeiten des Winters umzugehen und auch die Chancen oder das Schöne darin zu sehen.
Im Finnischen gibt es ein Wort dafür, sich für den Winter zu präparieren: „Talvitelat“, was in etwa so viel bedeutet, wie „für den Winter einlagern“ (S.40). Man bereitet sich vor, repariert kaputte Dinge, kocht ein, räumt die Sommerkleidung weg und holt die Winterkleidung hervor.
Natürlich hält auch Essen Leib und Seele zusammen, d.h. es geht um Seelennahrung und Speisen und Gerichte, die im Winter gut tun können. Sie gibt Einblick in ihre persönliche Winterküche und macht Lust auf Nahrhaftes und Wärmendes.
„Winter ist das Aufwärmen der Teekanne und das Zubereiten von Bechern voller Zartbitterkakao; aus Knochen gezauberte Suppe mit wolkenähnlich darin schwimmenden Klößen. Winter ist stilles Lesen und den ganzen dämmrigen Nachmittag Filme gucken. Winter sind dicke Socken und eine kuschelige Strickjacke.“
(S.90)
Sie beschreibt den Winter als die Zeit, um zur Ruhe zu kommen, viel zu schlafen, aber auch zu lesen und sich Zeit für Hobbies oder zum Aufräumen und Entrümpeln zu nehmen. Sie schildert die Faszination des Eis- oder Winterschwimmens und die belebende Wirkung.
Man lernt nordische Bräuche – wie zum Beispiel die Lucia-Legende – kennen und erfährt über die wohltuende Kraft, die eine Meditation oder auch ein Kirchen- oder Konzertbesuch entfalten kann. Gerade auch Traditionen und Routinen können einen beruhigenden und stabilisierenden Einfluss in schweren Zeiten haben.
Die britische Autorin ist auch bei ihren Reisezielen ein Fan des Nordens und der eisigen Wintertemperaturen. So nimmt sie den Leser mit auf eine Reise zum Polarkreis und den Polarlichtern, berichtet begeistert über ein Bad in Island’s blauer Lagune oder gibt einen Eindruck in die finnische Saunakultur.
Sie schreibt – ohne zu beschönigen – über schwere Lebensphasen und doch transportiert sie auch den Zauber und die Magie, die ein harter Winter ebenfalls haben kann. Ein sehr positives, lebensbejahendes Buch, das Mut macht. Für uns Menschen gehören die Phasen des Winters zum Leben und sie bieten die Möglichkeit, sich Zeit zur Erholung, zum Nachdenken und zur Neuausrichtung zu nehmen.
„Im Winter brauche ich im Schein der Leselampe eher Texte, die langsam zu lesen sind, die zum Nachdenken anregen, geistige Nahrung, Seelenfutter. Winter ist die Zeit für Bibliotheken, für die gedämpfte Stille zwischen Bücherstapeln und den Geruch nach alten Seiten und Staub.“
(S.227)
Natürlich spielen auch das Lesen und Bücher eine Rolle – der Winter ist für viele die ideale Zeit dafür: lange Abende im Wohnzimmer, die prädestiniert dafür sind, sich in ein gutes Buch zu versenken, zum Beispiel in Katherine May’s „Überwintern“.
Für mich war es ein Buch, das perfekt in die Zeit gepasst hat und das ich sicherlich irgendwann wieder zur Hand nehmen werde, weil es einfach gut tut, es zu lesen. Ein Loblied auf den Winter und die Kunst des „Überwinterns“, das wärmt, tröstet und einen durch die Lektüre zufrieden und ruhig werden lässt. Ein wunderbares Buch, das Spuren hinterlässt, inspiriert und zum Nachdenken anregt.
Weitere Besprechungen gibt es bei Klappentexterin und Deutschlandfunk Kultur.
Buchinformation:
Katherine May, Überwintern – Wenn das Leben innehält
Aus dem Englischen von Marieke Heimburger
Insel
ISBN: 978-3-458-17958-0
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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Katherine May’s „Überwintern – Wenn das Leben innehält“:
Für den Gaumen (I):
Kennt Ihr Picalilli? Ich gestehe, mir sagte dies vor der Lektüre von „Überwintern“ nichts: Picalilli wird eingekocht und ist eine spezielle englische Senfsauce, die aus eingelegtem Gemüse (Pickles), die laut Wikipedia aus „Wasser mit 10%igem Gärungsessig, Zucker, Senfmehl, Maismehl, Salz, gemahlenem Kurkuma und scharfem Gewürzpaprika“ besteht.
Einkochen gehört für Katherine May zu ihren Winterstrategien: selbst gemachte Marmeladen, Chutneys… oder eben Picalilli. Hört sich interessant an und sieht lecker aus.
Für den Gaumen (II):
May beschreibt auch das Verarbeiten von Quitten, das ja per se immer schon eine Herausforderung darstellt. Auch dieses Rezept liest sich interessant:
„(…) beschließe dann aber, sie in dulce de membrillo zu verwandeln, jene quittenbrotähnliche spanische Süßspeise, die zu Schinken und Käse ein Gedicht ist.“
(S.40)
Ein Rezept findet man unter anderem auf backenmachtgluecklich.
Zum Weiterlesen:
Eine weitere Strategie, welche ich persönlich sehr gut nachvollziehen kann, ist es, zu Büchern zu greifen, die man in der Kindheit und Jugend geliebt hat. Dieses Gefühl und Bedürfnis kenne ich aus eigener Erfahrung nur zu gut. Ob Astrid Lindgren oder Erich Kästner – für wunderbare Kinderbücher ist man schließlich nie zu alt, wie zum Beispiel:
Erich Kästner, Das fliegende Klassenzimmer
Atrium
ISBN: 978-3-855-35607-2
Das klingt ganz wunderbar, gerade jetzt in diesem Winter. Danke für den Tipp und herzliche Grüße!
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Liebe Maren! Es freut mich, wenn ich Deine Neugier wecken konnte. Mir gefiel es sehr und es ist wirklich ein perfektes Winterbuch in meinen Augen. Herzliche Grüße, schöne Weihnachtstage und ein gesundes, gutes und glückliches neues Jahr 2022! Barbara
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Danke, liebe Barbara! Auch dir frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr!
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Liebe Barbara, das klingt mal wieder inspirierend und lohnenswert. Ich sag mal vielen Dank für alle die tollen Tipps und Verführungen in 2021.
Ich wünsche Dir ein frohes Weihnachtsfest, einen entspannten Rutsch und freue mich auf nächstes Jahr mit Dir.
Alles Liebe, Nicole
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Liebe Nicole, das kann ich nur zurückgeben. Vielen herzlichen Dank! Ich wünsche Dir auch ein wunderbares Weihnachtsfest und vor allem ein gesundes, gutes und glückliches neues Jahr 2022 – bei den Tipps und Verführungen werde ich mir auch nächstes Jahr weiterhin Mühe geben. 😉 Herzliche Grüße, Barbara
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Hmm, das klingt sehr schön, ja verlockend. Aber dann frage ich mich, ob unsere Zeit, unsere Gesellschaft solche Zeiten des Rückzugs überhaupt toleriert bzw. ermöglicht. Nach Trauerfällen soll man sofort wieder „funktionieren“, die Belastungen durch Corona muss man halt irgendwie meistern etc. Mir scheint, vieles ist – besonders beruflich – so durchgetaktet, dass diese Ruhezeiten schwierig umzusetzen sind. Die Ansprüche von außen bleiben doch bestehen…
Nachdenkliche Grüße, verbunden mit dem Wunsch, dass du frohe und erholsame Weihnachten feiern und zufrieden das neue Jahr einläuten kannst.
Anna
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Liebe Anna! Da hast Du sicherlich recht, aber um so mehr – denke ich – lohnt es sich, von Zeit zu Zeit darüber nachzudenken. Vielleicht ist doch trotz aller Ansprüche von außen auch immer noch Raum für ein paar Auszeiten, wenn man diese auch selbst zulässt. Gerade jetzt in dieser Zeit, die wir ja doch auch – soweit möglich – wieder ruhig verbringen, fand ich die Lektüre sehr inspirierend. Ich wünsche Dir auch ein frohes und geruhsames Weihnachtsfest und ein gesundes, gutes und glückliches neues Jahr 2022! Herzliche Grüße, Barbara
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