Bergeinsamkeit

Winter, Schnee, Berge und ein Gasthof in einem abgelegenen Bergdorf – der perfekte Schauplatz für eine gelungene Winterlektüre – und wenn der Autor dann noch Paolo Cognetti heißt, dann ist das für mich eine absolute Herzenslektüre. „Das Glück des Wolfes“ ist der neueste Roman aus der Feder des italienischen Schriftstellers, der mich schon mit „Acht Berge“, für welchen er den Premio Strega erhielt, so begeisterte, dass ich seitdem jede seiner Neuerscheinungen schon sehnsüchtig erwarte.

Wer sich jetzt in den Wintermonaten mal für ein paar Stunden in die italienische Bergwelt – genau genommen das Monte Rosa Massiv an der Grenze zur Schweiz – träumen und von einer leisen, zärtlichen Liebesgeschichte bezaubern lassen möchte, dem sei dieser kleine, feine Roman unbedingt ans Herz gelegt.

„Ja, wonach schmeckte der Januar? Nach Ofenrauch. Nach verdorrten und gefrorenen Wiesen, die auf den Schnee warten. Nach dem nackten Körper einer jungen Frau nach langer Einsamkeit. Er schmeckte nach einem Wunder.“

(S.19)

Fausto flieht aus der Großstadt in die Berge – weg aus seinem bisherigen Leben, weg aus einer gescheiterten Beziehung, weg aus der Stadtwohnung hinauf in die italienische Bergwelt, die schon seit seiner Kindheit eine besondere Bedeutung für ihn hat und tröstlich für ihn ist. Durch Zufall landet er bei Babette, der guten Seele und Gastwirtin von Fontana Fredda, die sofort spürt, dass sie dem Entwurzelten eine Chance geben sollte. Sie bietet ihm eine Position als Koch in ihrem Berggasthof an. Eine Aufgabe, die ihn ablenkt, fordert und letztlich erfüllt, ihm Freude und neuen Lebensmut gibt. Und obwohl der Vierzigjährige die Stille und Abgeschiedenheit in den Bergen genießt, sind es auch die täglichen Begegnungen mit der deutlich jüngeren Kellnerin Silvia, die ihm sehr viel bedeuten. Es entspinnt sich eine zarte, flüchtige Liebesbeziehung zwischen den beiden, die jeweils noch nach ihrem richtigen Platz im Leben suchen.

In Fontana Fredda knüpft Fausto Kontakte zu den Einheimischen, übernimmt Verantwortung, kümmert sich und wird Teil der Dorfgemeinschaft. Ist das sein Ort für ein gelungenes Leben und sind das die Wurzeln, die er schlagen möchte?

Doch bald zieht die junge Silvia weiter, will höher hinaus, für eine Saison auf einer Schutzhütte nahe des Gletschers arbeiten. Sie ist noch nicht angekommen. Sie sucht die Herausforderung und eine besondere Erfahrung: harte Arbeit, einfache, karge Verhältnisse in einer rauen, kalten Landschaft – Fausto verspricht ihr, sie dort zu besuchen. Doch hat diese Liebe eine Chance und gibt es ein gemeinsames Glück?

Cognetti beleuchtet in seinem Roman die Vielfalt zwischenmenschlicher Beziehungen und spielt mit den Nuancen zwischen Freundschaft und Liebe. Seine Charaktere, welche die großen Fragen des Lebens stellen, die sicher viele von uns umtreiben, sind fein gezeichnet und wachsen einem sofort ans Herz.

Für viele ist die Gebirgskulisse Sehnsuchtsort und so neigt so mancher dazu, diese als schneebedeckte Traumwelt und Urlaubsparadies zu verklären. Dass die Bergwelt nicht nur eine romantische Seite hat, sondern auch viele Gefahren für den Menschen birgt, macht Cognetti im Roman jedoch ebenso deutlich. Eiseskälte, Lawinengefahr, schnell wechselnde Witterungsverhältnisse, gefährliche Routen und die Gefahr abzustürzen sind stets präsent und werden leider auch immer wieder unterschätzt.

Cognetti hat erneut ein philosophisches und kluges Buch geschrieben, welches elementare Fragen behandelt und zum Nachdenken anregt, was wirklich wichtig ist im Leben, was es bedeutet, Mensch zu sein. Wonach sehnen wir uns?

„Etwas verschwindet, und etwas anderes wird an seine Stelle treten“, hatte er zu ihm gesagt. „Das ist der Lauf der Welt. Nur wir haben immer Heimweh nach dem, was vorher war.“

(S.134)

Ich mag die poetische Sprache des gebürtigen Mailänders, die auf so sinnliche Art und Weise die besondere Stimmung in den Bergen einfängt. Ich mag die Naturverbundenheit, das Erdige und Geerdete und die zugleich melodiöse Leichtigkeit von Cognetti’s Erzählstil. Ein sprachlicher Zauber, der sich schwer in Worte fassen lässt, den ich jedoch Satz für Satz genossen habe. Die Übersetzerin Christiane Burkhardt hat hier zweifelsohne wunderbare Arbeit geleistet und die Magie der Worte ins Deutsche übertragen.

Paolo Cognetti erschafft Figuren, die man mag und die man gerne selbst kennenlernen würde. Er erzählt von Menschen, mit denen man gerne selbst am bollernden, gut geheizten Ofen in der Berghütte sitzen, einen Teller Pasta essen, ein Gläschen trinken und sich einen gemütlichen Abend lang unterhalten würde.

„Das Glück des Wolfes“ ist ein Buch, welches das Herz am rechten Fleck hat, das gut tut und die Seele streichelt. Eine wohltuende, meditative Lektüre, die etwas Schwebendes und Flüchtiges hat, denn kaum hat man begonnen, sind diese 200 Seiten auch schon wieder vorbei. Wie ein Traum, den man nur kurz festhalten kann.

Eine weitere Besprechung gibt es bei Buchbube.

Buchinformation:
Paolo Cognetti, Das Glück des Wolfes
Aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt
Penguin
ISBN: 978-3-328-60203-3

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Paolo Cognetti’s „Das Glück des Wolfes“:

Für den Gaumen (I):
Natürlich spielt das Essen im Roman eine große Rolle – ist einer der Hauptschauplätze ja ein Gasthof in den Bergen: Mich hätte Fausto mit dem schnell gezauberten Mittagessen, das er für die beiden Frauen (Babette und Silvia) zubereitet, ebenso sofort um den Finger gewickelt: „Orecchiette mit frischen Tomaten, Ziegenricotta und Bergthymian“.

Für den Gaumen (II):
Der Geruch von „Grappa und Harz“ (S.16), welcher in der Luft liegt, kommt von den Zirbelkieferzapfen im Grappa – eine Südtiroler Spezialität, die ich bisher noch nicht probiert habe.

Zum Weiterlesen:
Das Lokal, in welchem Fausto als Koch zu arbeiten beginnt, heißt „Babettes Gastmahl“ – nach der Erzählung von Tania Blixen. Da trifft es sich gut, dass ich diese immer schon einmal lesen wollte und sie Ende Februar bei Manesse in einer kommentierten Neuübersetzung von Ulrich Sonnenberg erscheint.

Tania Blixen, Babettes Gastmahl
Übersetzt von Ulrich Sonnenberg
Manesse
ISBN: 9783717560012

3 Kommentare zu „Bergeinsamkeit

    1. Lieber Bernd! Dankeschön, das freut mich. Ich habe zwar schon oft von Tania Blixens Erzählung und Film gehört bzw. gelesen, aber bisher habe ich beides weder gesehen noch selbst gelesen. Das möchte ich jetzt bald nachholen – aber da ich grundsätzlich lieber zuerst das Buch lese und dann die Verfilmung anschaue, wird der Film noch etwas warten müssen. Ich werde berichten. Herzliche Feiertagsgrüße nach Nürnberg, Barbara

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