Südtirol zählt sicherlich zu den beliebtesten Urlaubsgebieten der Deutschen. Und es lohnt sich auch, sich literarisch mit diesem Landstrich zu beschäftigen: In ihrem Roman „Bergland“ hat Jarka Kubsova die Geschichte einer Bauernfamilie über drei Generationen hinweg erzählt. So gelingt ihr zugleich eine eindrucksvolle Erzählung der wechselhaften Geschichte dieser besonderen Region und man erfährt, wie sich das Leben der Menschen auf einem abgelegenen Bergbauernhof über die Jahrzehnte verändert hat.
„Man tat einem Bauernkind keinen Gefallen, wenn man es zum Seicherl erzog. Eine Mimose war keine Pflanze, die hier gut gedieh. Es war Hartholz, das sich hier hielt, anspruchslos und angepasst, die winterharten Sorten.“
(S.39/40)
Rosa ist gerade einmal 12 Jahre alt, als sie bereits die Rolle der Mutter für ihre Geschwister übernehmen muss. Mit ihrem Vater und ihren Geschwistern lebt sie auf einem hoch gelegenen Bergbauernhof in Südtirol und als die Brüder in den Krieg ziehen und nicht mehr zurückkehren, steht sie 1944 nach dem Tod des Vaters vollkommen alleine mit dem Hof da. Es sind schwere Zeiten in Südtirol – es gibt Deserteure und Kriegsversehrte, Konflikte zwischen Dableibern und Optanten – der Krieg hat Opfer gefordert und tiefe Spuren hinterlassen. Doch sie gibt nicht auf, beißt sich durch, leistet Unmenschliches und arbeitet von früh bis spät – schwere, körperliche Arbeit – um den Hof zu erhalten. Selbst ihren Sohn Sepp zieht sie alleine auf, der den Hof übernimmt und letztlich – auch gegen ihren Willen – seine eigenen Vorstellungen der Landwirtschaft auf dem Hof umsetzt.
Sepp ist das Bindeglied zur heutigen Generation – zu Rosa’s Enkel Hannes, der mittlerweile mit seiner Ehefrau Franziska den Hof betreibt und zu einem Tourismusbetrieb mit angeschlossener Landwirtschaft umgebaut hat. Die Zeiten haben sich geändert und nicht alles ist Gold was glänzt.
Kubsova räumt auf mit dem „Heile Welt“-Klischee, der Idylle von sonnenbeschienenen Almwiesen und dem dauerblauen Himmel der Urlaubsprospekte – sie zeigt, dass der Tourismus ein knallhartes und umkämpftes Geschäft ist, das nicht nur Sonnenseiten hat. Die Erwartungen der Kunden und Tourismusverbände sind hoch, es gilt eine Vielzahl von Kriterien zu erfüllen und die Konkurrenz ist groß.
„Ein altes, etwas kitschiges Bild war das, so wie es noch immer in Kinderbüchern auftauchte, mit niedlichen, frei laufenden Tieren. Ein bisschen Bullerbü, ein bisschen Landlust, ein bisschen Joghurtwerbung, ein bisschen Omas kleiner Bauernhof; übernachten im Heu, die Eier noch warm im Stall einsammeln und Rohmilch trinken. Danach sehnten sich die Menschen.“
(S.27)
Und auch das Romantisieren oder das Verklären der Vergangenheit sind nicht die Sache der Autorin. Rosas einsames und einfaches Leben auf dem Bergbauernhof und ihr täglicher Kampf gegen die kargen Böden, die widrigen Wetterverhältnisse und die Sorgen um die Versorgung und das Leben ihres Kindes – das wird schonungslos und direkt erzählt ohne zu beschönigen.
Der Roman wechselt ab zwischen den verschiedenen Perspektiven und Generationen – zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Autorin findet auch jeweils einen eigenen Klang, der gut zu der jeweiligen Zeit passt: So sind die Passagen, die Rosa’s Geschichte erzählen eher ruhig, unaufgeregt, leise und atmen eine gewisse Melancholie, während die Szenen um Franziska und ihre Probleme im Hier und Jetzt satirisch, bissig, ironisch und zynisch formuliert sind und streckenweise schon an eine journalistische Erzählweise erinnern. Fast als ob Jarka Kubsova, die vor ihrem Romandebüt „Bergland“ als Journalistin bei der Financial Times Deutschland, dem Stern und der ZEIT gearbeitet hat, eine Reportage über Franziska als moderne Landfrau und Tourismusmanagerin geschrieben hätte. Die verschiedenen Welten werden so auch durch den sprachlichen und erzählerischen Kontrast deutlich abgegrenzt und herausgearbeitet.
„Selbstgenügsamkeit war es, die die Alten immun gemacht hatte gegen das Höher, Schneller, Weiter, dem sich der Rest der Welt hingab. Aber schon in der nächsten Generation hatte es nicht mehr gewirkt. Die jagte fiebrig dem Fortschritt hinterher. Höchstleistungen, Ziele und Karrieren.“
(S.182)
Jede Zeit und jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen, andere Gegebenheiten und andere Probleme. Doch es wird auch klar, dass Wurzeln erden und helfen können, sich diesen schwierigen Situationen zu stellen und Antworten auf die jeweils drängenden Fragen finden zu können.
Kubsova hat für ihren Debütroman sieben Monate auf einem Südtiroler Bergbauernhof gelebt und recherchiert – eine Zeit, die sich zweifelsohne sehr gelohnt hat und die ihrem Roman ein fundiertes Verständnis für Land und Leute bzw. die Menschen und die Region und somit eine besondere Authentizität verleiht. So kann sie viele geschichtliche Aspekte, Traditionen, Bräuche und Lebenseinstellungen einfließen lassen.
Als ich das Buch gelesen habe, tanzten vor meinem Fenster die Schneeflocken und eine gewisse Südtirolsehnsucht war unvermeidlich. „Bergland“ ist nicht nur eine gute Wahl für den nächsten Südtirolurlaub, sondern ein kleines, wirklich feines, ernstes und ernst gemeintes Buch, das in einer sehr schönen Aufmachung nicht nur das Herz jedes bibliophilen Menschen höher schlagen lässt, sondern das vor allem entschleunigt, erdet und zur Selbstreflexion anregt.
Weitere Besprechungen gibt es unter anderem bei Günter Keil, Buchsichten und Friedelchens Bücherstube.
Buchinformation:
Jarka Kubsova, Bergland
Wunderraum
ISBN: 978-3-442-31618-2
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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Jarka Kubsova’s „Bergland“:
Für den Gaumen:
„Katharina hatte ein paar frische Strauben dabei. Rosa kochte Tee, zögerte kurz, und griff dann nach der Flasche mit dem Zirbenschnaps.“
(S.37)
Auf Jeanny’s Blog Zuckerzimtundliebe findet sich ein schönes Straubenrezept.
Zum Weiterkochen:
Die Südtiroler Küche ist herrlich vielseitig und ich kenne kaum jemanden, der sich ihrem Zauber entziehen kann. Ein umfassendes Standardwerk und der Klassiker unter den Südtirol-Kochbüchern ist „So kocht Südtirol“, das einen großartigen Überblick gibt. Wer die alpenländische Küche mag, ist hier sehr gut bedient – quasi das Rundum Sorglos-Paket unter den Südtirol-Kochbüchern:
Heinrich Gasteiger, Gerhard Wieser, Helmut Bachmann,
So kocht Südtirol: Eine kulinarische Reise von den Alpen in den Süden
Athesia Tappeiner Verlag
ISBN: 978-8868390990
Zum Weiterschauen:
„Er bepflanzte das Dach mit Hauswurz, der Blitze abhalten sollte.“
(S.15)
Die Tradition Hauswurz auf Dächer zu pflanzen, um das Haus gegen Blitzschlag zu schützen, gibt es nicht nur in Südtirol. Haltet mal die Augen offen, es lassen sich immer wieder Beispiele entdecken.
Wie hier zum Beispiel:

Zum Weiterlesen:
Eines der besten Bücher, die ich über Südtirol je gelesen habe, war aus meiner Sicht Francesca Melandri’s „Eva schläft“ aus dem Jahr 2010 – ein wirklich großartiger Roman, den ich wärmstens empfehlen kann.
Francesca Melandri, Eva schläft
Aus dem Italienischen von Bruno Genzler
Wagenbach
ISBN: 978-3-8031-2805-8
„Eva schläft“ kann ich auch sehr empfehlen, wenn man Südtirol besser verstehen will! Ein toller Roman, der nie Partei ergreift und wirklich eine Welt eröffnet.
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Danke Birgit, ja „Eva schläft“ lässt einen auch die geschichtlichen Hintergründe besser verstehen und ist zugleich wunderbare, sprachlich schöne Literatur. Ein Buch, das ich schon sehr oft auch im Freundes- und Bekanntenkreis empfohlen habe und das immer sehr gut angekommen ist. Herzliche Grüße nach Italien!
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Kommt auf meine Liste!
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Das freut mich, wenn ich Deine Neugier wecken konnte. Herzliche Grüße!
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Herzliche Grüße zurück!
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Ja wie? Kein Heidi und Peterle??? Dann möschte isch das nüscht.
Tatsächlich liebe ich die Berge, aber wer je gedacht hat, das Leben dort war oder ist ein rosarotes Idyll, der denkt das auch von der Gastronomie, der Polizei, oder der Altenpflege…alles harte Jobs. Da lobe ich mir mein Sesselpupser Dasein und freue mich an Büchern, aus denen ich auch noch lernen kann.
Dank, wie immer, für den Tipp.
LG Nicole
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Sehr gerne, Nicole.
Mit Heidi und Peterle kann ich nicht dienen. 😉 Aber bezüglich der Bücher, aus welchen man etwas lernen kann, da gebe ich mir Mühe. 🙂
Schönen Abend und morgen einen guten Start ins Wochenende! Herzliche Grüße, Barbara
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Dir auch Barbara!
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