Sunshine, Swing and Smile

Nach einem Theaterabend beglückt, beschwingt, innerlich hüpfend, tänzelnd und summend aus dem Theater schweben, das durfte ich vor kurzem im Landestheater Niederbayern erleben bei einer bezaubernden Vorstellung von „Me and my girl“ von Noel Gay. Quasi Wolke Sieben für Theaterfreunde, Musicalliebhaber und Fans der Musik bzw. des Swings der Dreißiger Jahre. Fetzige Stepptanz-Nummern, eingängige Melodien, traumhafte Kostüme und opulente Ausstattung… wie man unschwer merkt: ich war und bin immer noch hin und weg.

„Me and my girl“ hat eine äußerst ungewöhnliche Aufführungsgeschichte:
Entstanden in den Dreißiger Jahren und uraufgeführt 1937 im Victoria Palace Theatre in London, wurde es schnell zu einem der erfolgreichsten britischen Musicals der damaligen Zeit. Unglaubliche 1646 Vorstellungen – auch noch während des zweiten Weltkriegs – und teils sogar mit royalem Publikum: King George VI. besuchte mit seiner Frau Elizabeth alias Queen Mum das Stück wohl mehrfach.

Doch nach 1952 geriet das Stück in Vergessenheit und war lange nicht mehr auf den Bühnen präsent. Dies führte sogar dazu, dass das Original-Buch mit den Dialogen unwiederbringlich verschwand – es gilt bis heute als verschollen. Als in den Achtziger Jahren Richard Armitage, der Sohn Noel Gays, das Stück wieder zur Aufführung bringen wollte, musste es komplett rekonstruiert werden, was unter anderem mit Hilfe eines alten BBC-Rundfunkmitschnitts und der Erinnerungen der ersten Darstellerin der Sally gelang. Für die Zwischentexte, Gags und die Rekonstruktion des Buchs zeichnete kein geringerer als Stephen Fry verantwortlich, der vielen Lesern vielleicht unter anderem durch seine humorvollen Werke „Mythos“ oder „Helden“ bekannt ist. Und so erlebte das Musical ab 1985 seine Renaissance und wurde erneut zu einem Riesenerfolg im Londoner Westend und auch auf dem Broadway.

Doch um was geht es in dem Stück?
So mancher wird sich ein wenig an „My Fair Lady“ erinnert fühlen – doch das Musical kam erst 20 Jahre nach „Me and my girl“ auf die Bühne: Ein junger Mann aus dem Londoner Stadtteil Lambeth – einem Arbeiterviertel – wird von einem Anwalt als Erbe des Earl von Hareford ausfindig gemacht. Er spricht derbes Cockney (im britischen sogar den berühmt berüchtigten und für Aussenstehende schwer verständlichen Cockney Rhyme – die Landshuter Inszenierung wählte den guten alten Kalauer als „deutsche Entsprechung“), d.h. er kalauert nahezu non-stop vor sich hin und passt so gar nicht in die britische Adelsklasse. Da ist einiges an Erziehung seitens der Verwandtschaft – unter anderem der gestrengen Tante Maria – von Nöten, um ihn für seine zukünftige Aufgabe als Earl tauglich zu machen.

Als diese ihm aber auch noch sein geliebtes „Girl“ Sally ausreden möchte, geht ihm das Ganze zu weit. Kurz und gut: eine Komödie, die mit britischen Klassenunterschieden spielt und immer wieder zu witzigen und lustigen Begegnungen führt. Denn auch Cousin und Cousine hätten es auf das Erbe abgesehen und verfolgen ihre eigene Agenda.

Das absolute Glanzlicht ist die Musik, neben der die Handlung im Grunde fast nebensächlich wird und die einen einfach mitreißen muss, weil sie mit einer enormen Dichte an großartigen Nummern aufwartet, die allesamt sofort ins Ohr und in die Beine gehen.
Am berühmtesten ist wohl das Finale des ersten Akts geworden, der legendäre „Lambeth Walk“, bei dem Sally und Bill den anfangs steifen, noblen Gästen ihren ganz eigenen Tanzstil beibringen – „ev’rything free and easy“.

Doch auch bei den Stücken „The Sun Has Got His Hat On“, „Leaning On A Lamppost“ und „Me And My Girl“ handelt es sich um Melodien, die sich nachhaltig ins Gedächtnis einprägen und die man noch in den Tagen danach gut gelaunt vor sich hinsummt.
Eine richtige Rarität bzw. Musical-Perle, die Stefan Tilch hier ausgegraben und mit seinem Ensemble in einer aufwändigen und opulenten Inszenierung auf die Bühne gezaubert hat.

Verstärkt durch Cornelia Mooswalder als Sally Smith und Jan Bastel als Bill Snibson in den Hauptrollen, die ein spritziges und herzerfrischendes Traumpaar bilden, das gesanglich, schauspielerisch und tänzerisch perfekt harmoniert, sind sämtliche Partien hervorragend besetzt.
Reinhild Buchmayer, die sich im verführerischen Marilyn Monroe-Look als Lady Jaqueline naiv die Seele aus dem Leib flirtet, um den reichen Erben zu becircen, spielt ihre Rolle ebenso überzeugend wie Peter Tilch den zynisch-grummeligen, aber liebevollen Onkel Sir John Tremayne oder Daniel Preis den hilflos schrulligen Gerald, der an einer seltenen Metaphern-Krankheit leidet, die immer wieder mit Tropfen behandelt werden muss, damit er nicht ständig vor sich hinfaselt. Henrike Henoch gibt eine resolute Herzogin Maria und Miroslav Stričević einen komödiantischen, leichtfüßigen Familienanwalt.

Auch Chor und Statisterie sind bei den großen Ensemble-Nummern stimmlich und tänzerisch gut aufgelegt und haben sichtlich Spaß, der mit Sicherheit zu einem großen Teil auch auf die fröhliche und gewitzte Choreografie der Tanzeinlagen von Sunny Prasch zurückzuführen ist. Da wird geswingt, gesteppt und getanzt, was das Zeug hält, so dass auch das Publikum sich am liebsten gleich mitbewegen möchte.

Die musikalische Leitung ist bei GMD Basil H.E. Coleman in bewährten, souveränen Händen, der sich selbst sogar eine Einlage als Barpianist auf der Bühne gönnt und auch während und nach der Applausordnung noch mit einer musikalischen Zugabe dem begeisterten Publikum ein weiteres Zuckerl und Geschenk bereitet hat.

Eine Produktion, in der ganz viel Liebe steckt: Liebe zum Detail, Liebe zur Musik, Liebe zum Tanz – Liebe zum Publikum, dem man in schweren Zeiten einen schönen und freudigen Theaterabend schenken will.

Intendant Stefan Tilch, der das niederbayerische Publikum immer wieder aufs Neue mit unvergesslichen Musicalproduktionen begeistert und selbst Regie geführt hat, ist hier erneut ein Glücksgriff gelungen.
Interessant auch, dass er selbst das Stück in den Achtzigern Jahren als Schüler auf einer Klassenfahrt nach London – mit Emma Thompson in der Hauptrolle – kennen und lieben gelernt hat. Jetzt teilt er viele Jahre später seine Faszination für dieses Werk, das nur selten gespielt wird, auch mit seinem Publikum. Der Funke ist definitiv übergesprungen.

Grandioses Musicaltheater mit einer Prise Nostalgie, die den TheaterbesucherInnen zweieinhalb Stunden feinste Unterhaltung und wunderbare Musik schenkt, so dass man die Alltagssorgen einfach mal für kurze Zeit vergessen kann. Edelster Eskapismus, der gerade besonders wertvoll ist und einem ein breites Lächeln aufs Gesicht zaubert, das lange anhält:

„Here’s a little trick,
Whenever things get a little bit thick
Just you take it on the chin,
Put on a little grin and smile, smile!“

(aus dem Song „Take It On the Chin“; Lyrics: L.Arthur Rose und Douglas Furber)

Gesehen am 29. Mai 2022 im Landestheater Niederbayern (Landshut – Theaterzelt)

Me and my girl“ ist in dieser und als Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit noch an einigen Terminen in Landshut, Passau und Straubing zu sehen. Genaue Daten und weitere Details findet man jederzeit auf der Homepage des Landestheater Niederbayern. Zudem findet ihr dort auch schöne Fotos und einen kurzen Videotrailer der Aufführung, wenn Ihr Euch ein Bild machen wollt.

***

Wozu inspirierte mich bzw. woran erinnerte mich „Me and my girl“:

Für den Gaumen:
Die Hauptfiguren haben alle ihr Päckchen zu tragen, so leidet Gerald zum Beispiel an einer Metaphern-Diarrhö (steht so im Programmheft – ehrlich!) und sucht sich seine sprachlichen Bilder gerne im kulinarischen Milieu: und da geht es natürlich very british zu: Yorkshire Pudding, Mince pie, Shortbread bis hinzu Bio-Cranberry-Trüffel auf Ham and Eggs

Zum Weiterhören und zum Weiterklicken:
Auf YouTube gibt es unter anderem eine Aufnahme des „Lambeth Walk“ aus der 1986er Produktion mit Robert Lindsay zu sehen. Wer einfach mal reinhören und reinschauen will, kann das hier tun. Aber Achtung: Ohrwurmgefahr!

Zum Weiterschauen oder für den nächsten Theaterbesuch:
Me and my girl“ steht eher selten auf deutschen Spielplänen und ist daher wirklich ein Geheimtip: Aktuell gibt es jedoch auch noch eine weitere Inszenierung an der musikalischen Komödie in Leipzig zu sehen.

10 Kommentare zu „Sunshine, Swing and Smile

  1. vielen dank für diesen beitrag!
    sah u hörte mir eben noch den lambeth walk auf youtube an: ditt heebt, macht (mir jedenfalls) richtig laune 🤗 ist jahre her, dass ich den lambeth walk hörte, fuhr mir aber gleich wieder in die glieder, die reinste verjüngungskur 😃 ist auch toll zu sehen, wie die szene aufgebaut ist – also danke auch für den link!

    herzliche pegagrüße,
    schöne pfingsttage noch❣️

    Gefällt 3 Personen

    1. Sehr, sehr gern geschehen. 🙂 Gute Laune kann man nicht genug haben… und um so schöner, solche positiven Momente zu teilen. Mir sagte der Lambeth Walk ehrlich gesagt vorher nichts, aber wie schon geschrieben… absolute Ohrwurmgefahr! Dir wünsche ich auch wunderschöne Pfingsten! Herzliche Grüße, Barbara

      Gefällt 2 Personen

  2. Auch wenn ich dieses Musical noch nie gesehen habe, kannte ich den Lambeth Walk. Muss also für sich im Radio gespielt worden sein.
    Ich wurde dank deiner Begeisterung an eins meiner Musicalerlebnisse vor langer Zeit erinnert, in Berlin sah ich mal „42nd Street“, da hüpfte ich auf dem Heimweg auch über den Alexanderplatz. Meinem Begleiter war es peinlich, jedenfalls lud er mich nie wieder in eine ähnliche Veranstaltung ein. Ich hoffe, du hattest tolerante Gesellschaft, die das Erlebnis und seine Auswirkungen mit dir genossen hat. Frohe Pfingsttage, liebe Barbara!

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    1. Liebe Anke! 🙂 Ja, die Musik geht in die Beine und kann viel bewirken – allerdings kann ich Deine damaligen Begleiter nicht verstehen. Noch dazu, hattest Du ja eine Tanzausbildung, d.h. das „Hüpfen“ war bestimmt qualifiziert. 🙂 Das Landshuter Publikum war auf jeden Fall begeistert und die gute Laune hat sich wirklich sichtlich auf die Leute übertragen, das war schön zu beobachten, wie sie mitgegangen sind und sichtlich glücklich waren. Dir auch schöne Pfingsttage und liebe Grüße! Barbara

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      1. Oh, das macht schon beim Lesen Lust auf nehr. Ich bin ganz großer Jan-Bastel-Fan. Ihn und seine durchweg junge Compagnie erlebe ich jedes Jahr bei den Burgfestspielen in Mayen in der Eifel. Toller Tänzer-Sänger-Darsteller ind und ein ganz netter Typ.

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      2. Ja, er passt auch wirklich wunderbar in diese Rolle, die ihm hervorragend steht. Und die Harmonie mit „seiner“ Sally Cornelia Mooswalder, die übrigens schon an der Volksoper Wien und im Raimund Theater zu sehen war, ist wirklich bezaubernd anzuschauen – im kurzen Videotrailer des Landestheater kann man kurz reinschnuppern: https://www.youtube.com/watch?v=zolLBnI_tPc und die beiden zusammen erleben.
        Habe mir gerade auch mal die Homepage der Burgfestspiele Mayen angesehen, das sieht ebenfalls sehr interessant aus, wäre aber von Landshut aus schon eine etwas längere Reise… Liebe Grüße! Barbara

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