Ursula Heinrich lässt in ihrem Wien-Krimi „Mord im Astoria“ die turbulenten Irrungen und Wirrungen des Jahres 1927 in der österreichischen Hauptstadt lebendig und zur Kulisse für einen verzwickten Kriminalfall werden. Vor dem Hintergrund wahrer geschichtlicher Ereignisse schickt sie mit Teddy und Mina ein ungewöhnliches Ermittlerpärchen auf Verbrecherjagd.
Der schlitzohrige Gauner Teddy Steuber lebt gerne auf großem Fuß, meist unter falschem Namen und finanziert sich seinen luxuriösen Lebenswandel vorwiegend durch Betrugs- und Diebstahlsdelikte. Um unkonventionelle Ideen, sich fremdes Vermögen anzueignen und somit weiter über seine Verhältnisse zu leben, ist er nicht verlegen. Auch der holden Weiblichkeit – bevorzugt in mondänen Etablissements oder Luxushotels – ist er nicht abgeneigt und er scheint Schlag bei den Damen zu haben.
So verkehrt er unter anderem im legendären Hotel Astoria in der Kärntner Straße – einem der ersten Häuser im Herzen Wiens, das 1912 gegründet wurde und durch modernste Ausstattung glänzen konnte.
„Eine schöne Frau, und ich verzichte offenbar aufs Denken.“
(S.218)
Als dann jedoch ein wertvolles Collier verschwindet und die Besitzerin desselben, mit der er gerade noch eine leidenschaftliche Affäre hatte, in ihrem Zimmer tot aufgefunden wird, wird Teddy plötzlich nicht nur als Dieb und Betrüger, sondern auch als Mörder gesucht – und das ist dann selbst für ihn eine Nummer zu groß.
Doch wie kann er als aktenkundiger Verbrecher auf der Flucht den wahren Täter ermitteln und seine Unschuld beweisen? Völlig auf sich allein gestellt erhält er jedoch durch die junge und gerechtigkeitsliebende Polizeischreibkraft Mina Nowak auf einmal Hilfe von unerwarteter Seite.
Und auch die aufgeheizte und chaotische Stimmung in der Stadt sorgen für unübersichtliche Umstände auf den Straßen und in den Polizeirevieren, die es klug zu nutzen gilt.
„Die aufgebrachte Menge war bis hier drinnen zu hören. Wie der letzte Tag gezeigt hatte, wurden Polizeistationen immer wieder zum Ziel des Massenzorns. Nicht nur der Justizpalast hatte lichterloh gebrannt. Gestern war auch die Wachstube in der Lichtenfelsgasse in Brand gesetzt worden.“
(S.45)
Denn der Roman spielt im Jahr 1927 und zwar im Juli, als es in Wien zu Protesten, Demonstrationen, Unruhen, Ausschreitungen und schließlich am 15. Juli zum Justizpalastbrand kam. Laut Wikipedia waren 84 Todesopfer auf Seiten der Demonstranten und fünf tote Polizisten zu beklagen, sowie hunderte Verletzte (Quelle: Wikipedia).
„Den Justizpalast hatten sie also angezündet. Um die Akten war es nicht schade. Alles andere klang äußerst bedenklich.“
(S.35)
Ursula Heinrich, die studierte Übersetzerin ist und für das österreichische Innenministerium arbeitet, gelingt es als Autorin in ihrem zweiten Krimi (nach „Melange ohne“), gut die undurchsichtige, unklare und aufgeladene Atmosphäre der Unruhen zu beschreiben – Wien im Ausnahmezustand und die Polizei jenseits der Belastungsgrenze.
„Die Stimmung in Wien war instabil. So instabil wie die Mauern des Justizpalasts. Schon sprach man davon, dass die Brandruine wieder aufgebaut werden sollte. Aber heute Nachmittag war ein Teil der rückwärtigen Mauer auf die Straße gekracht.“
(S.106)
Interessant und amüsant ist auch die Personenkonstellation, die Heinrich mit Teddy und Mina gewählt hat. Denn es knistert nicht nur zwischen den beiden, sondern sie müssen sich gleichsam als Ermittlerduo „ohne Legitimation“ durchschlagen. Zumal weder Mina, die als einfache Schreibkraft keinerlei polizeilichen Befugnisse besitzt und nur auf zweifelhaften Wegen an Informationen kommt, noch Teddy als flüchtiger Tatverdächtiger sich auf Autorität oder Polizeimarke stützen und auf legalem Wege ermitteln können. Da gilt es kreativ zu werden und sich mehr als einmal auf halbseidene Weise durchzumogeln.
In Kombination mit dem gewissen Wiener Schmäh’, der stimmungsvollen Beschreibung der Zwanziger Jahre zwischen luxuriöser Suite im Astoria und verrauchter Veilchenbar – zwischen k.u.k-Glanz und Tanz auf dem Vulkan – hat Heinrich ein spannendes Sittengemälde erschaffen.
Ich finde es immer reizvoll, durch unterhaltsame Krimis nebenbei auch Neues über zeitgeschichtliche Ereignisse zu lernen. Sind die Geschehnisse der Zwanziger Jahre in Deutschland u.a. mit Volker Kutschers Gereon Rath-Reihe literarisch gerade sehr präsent – war es jetzt auch einmal interessant, ins Nachbarland zu schauen und mehr über den – mir bisher noch nicht so präsenten – Justizpalastbrand und die Zwanziger Jahre in Wien zu erfahren.
Kurzweilige Krimiunterhaltung für Freunde der „Roaring Twenties“ und Wien-Fans, die sich nicht nur gut als entspannende Feierabendlektüre eignet, sondern auch die Neugier weckt, noch ein wenig weiter über die geschichtlichen Ereignisse und den Hintergrund zu recherchieren.
Ich bedanke mich sehr herzlich beim Gmeiner Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.
Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Ursula Heinrich, Mord im Astoria
Gmeiner Verlag
ISBN: 978-3-8392-0492-4
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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Ursula Heinrichs „Mord im Astoria“:
Für den Gaumen:
Aus der Wiener Küche sind „Krautfleckerl“ (S.90) – Minas Leibgericht – ebenso wenig wegzudenken wie „Gulasch“:
„Das Gulasch war das Beste, das Teddy seit langem gegessen hatte. Die Soße war sämig, schmeckte angenehm nach Zwiebel und süßem Paprika, und das Fleisch war so lange gedünstet, dass es im Mund zerfiel.“
(S.107)
Zum Weiterschauen oder -hören:
Mina Nowak ist ein großer Edgar Wallace-Fan und so freut sie sich darüber, ins Theater zu einer Aufführung von „Der Hexer“ eingeladen zu werden.
Das Landshuter Theater Nikola hat vor einiger Zeit das Hörspiel „Der Hexer“ produziert, das ich hier auf der Kulturbowle besprochen habe.
Zum Weiterlesen:
Ich mag die Stadt Wien und ich mag es, durch historische Krimis auch zeitgeschichtliche Ereignisse näher zu entdecken, so zum Beispiel auch den Gründerkrach 1873 – einen mir bis zur Lektüre des folgenden Buches unbekannten Börsenkrach, den Gerhard Loibelsberger in seinem Roman „Alles Geld der Welt“ wieder hat lebendig werden lassen. Auch diesen historischen Roman habe ich bereits hier auf dem Blog vorgestellt.
Gerhard Loibelsberger, Alles Geld der Welt
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-2686-5
Das klingt nach einer interessanten Zeitreise!
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Liebe Grüße
Nina
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Das freut mich, Nina. Ich lese zwischendurch abends gerne mal Regio- und oder historische Krimis zur Entspannung.
Das ist mir oft lieber als ein Fernsehkrimi…
Und vor allem finde ich es immer umso besser, wenn ich dabei in punkto Geschichte auch noch ein bisschen was lerne. 😉
Herzliche Grüße, Barbara
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Sehr faszinierend
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Ja, vor allem zeitgeschichtlich interessant.
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