Freudetrunkener Sinnesrausch

Ich bin in aller Regel keine große Kurzgeschichtenleserin und doch hat mich gerade ein ganz zauberhafter und sehr besonderer Band mit Geschichten wirklich begeistert, und zwar Stevan Pauls Die Kichererbsen der Señora Dolores – Geschichten vom Kochen“. In dreizehn Geschichten verbindet er liebenswürdige Erzählungen mit kulinarischem Inhalt und garniert diese auch noch mit passenden Rezepten. So entsteht ein fröhliches Fest der Sinne, mit dem der Alltag für einen Moment lang wieder ein kleines bisschen besser schmeckt.

Stevan Paul, der einige Jahre als Koch gearbeitet hat und mittlerweile Journalist und sehr erfolgreicher Kochbuchautor ist, hat mit seinen kulinarischen Kurzgeschichten eine besondere literarische Gattung geschaffen, die definitv Lust auf mehr macht. Mit Augenzwinkern und viel Humor nimmt er die Leserschaft mit auf eine Reise rund um den Globus.

So erzählt er von einem Postboten, der bei seinem perfekt zubereiteten Matcha-Tee jeden Tag davon träumt, endlich nach Japan zu reisen oder er nimmt uns mit auf einen Krabbenkutter in der stürmischen Nordsee.

„Wenn die Sonne hoch brannte, trafen sich alle unter der Kühle der geflochtenen Weinlaubdecke im Innenhof, und Dolores servierte ein kräftigendes Mittagessen, das sie jeden Vormittag zubereitete. Cocido de Garbanzos oder geschmortes Kaninchen mit Orangen und Kräutern aus dem Ofen, ihre beliebten Albondigas con salsa al Jerez – Fleischbällchen in dunkler Amontillado-Sherrysauce. Freitags gab es Stockfisch mit Knoblauch oder gegrilltes Brot mit heißer Tomatensauce getränkt, mit gehobeltem Manchego-Käse und Spiegelei.“

(S.19)

Wir begegnen der wunderbaren, gastfreundlichen Señora Dolores in ihrer spanischen Bodega oder machen eine kurze, stärkende Pause an Bojans Currywurststand. Indische Gewürze verzaubern einen strengen Hygienekontrolleur und wir tauchen ab in die Berliner Gastroszene…
Zwischen der Kochbuchabteilung im Buchladen, dem Hühnerhof und dem Dampf der Großküche begegnen wir Menschen, die lieben, lachen und träumen.

Man spürt das Vergnügen, das der Autor wohl beim Verfassen dieser Geschichten hatte, in welche er viel Lebensfreude und Optimismus gesteckt hat und welche die Lust an gutem Essen und Trinken bzw. dem kulinarischen Genuss zelebrieren.
Er lässt Menschen ihr Ikigai finden und scheint es selbst gefunden zu haben.
Die kurzweiligen Erzählungen verbreiten Urlaubsstimmung, die zugleich noch in Rezepte gegossen wird, die man selbst zu Hause nachkochen kann.

Ganz nebenbei erfährt man so zum Beispiel auch, was Maritozzi sind, doch Achtung der Heißhunger bzw. Appetit ist bei der Lektüre vorprogrammiert und bei Textstellen – wie zum Beispiel der folgenden – muss einem einfach das Wasser im Munde zusammenlaufen. Kostprobe gefällig?

„Sie stellt ihm den zweifachen Espresso hin, dazu heute ein Maritozzo, ein weiches Milchbrötchen, eingeschnitten und üppig mit süßer Vanillesauce ausgestrichen, zur Hälfte getaucht in herbe Schokolade mit einem Hauch Salz, zum Schluss alles von Lisbeth mit gerösteten und gehackten Pinienkernen und Pistazien bestreut.“

(S.74)

Stevan Paul bringt dem Essen und Trinken, sowie allen, die am Gelingen eines kulinarischen Erlebnisses beteiligt sind, eine hohe Wertschätzung entgegen, bringt diese durch seine Geschichten zum Ausdruck und formuliert sie zum Beispiel ganz wundervoll wie folgt:

„Was für ein erfüllendes Kunststück das Kochen ist, die Kunst, anderen Menschen einen guten, vielleicht unvergesslich schönen Abend zu bereiten. Er geht gerne essen, und es sind nicht nur die Speisen auf den Tellern, die ihn berühren, es sind die Lichter des Abends, die unbeschwerten Stunden, das Handwerk der Winzer, das Können der Köche und Kellnerinnen, der Servicefachkräfte. Dieses ganze, große, feierliche Orchester.“

(S.177)

Worte, die aus der Seele sprechen, und spätestens jetzt sollte klar sein, warum dieses Buch geradezu perfekt zur Kulturbowle passt – Stevan Paul hat einen freudetrunkenen Sinnesrausch bzw. ein literarisches Geschmacksfeuerwerk geschaffen, das Literatur bzw. Erzählkunst und Kulinarik auf ganz wunderbare Weise verbindet. Also ganz nach meinem Geschmack: lebensbejahend, getragen von großer Menschlichkeit und Liebe zu den Figuren und Rezepten, ein durchwegs positives Leseerlebnis und Erzählungen, in welchen die Welt für eine kurze Weile in Ordnung sein darf. Stevan Paul verbreitet positive Schwingungen und aktiviert zugleich die Geschmacksknospen.

Die herzerwärmenden und appetitanregenden Geschichten sind auf jeden Fall ein schönes Geschenk für literatur- und kochbegeisterte Menschen und in der schönen Aufmachung mit Lesebändchen eine feine Alternative zur Flasche Wein oder Schachtel Pralinen als Mitbringsel bei der nächsten Einladung.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim mairisch Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Mit „Die Kichererbsen der Señora Dolores“ habe ich einen weiteren Punkt meiner 24 für 2024erfüllt – Punkt Nummer 14) auf der Liste: Ich möchte ein Buch, in dem Kulinarisches eine Rolle spielt lesen. „Geschichten vom Kochen“ inklusive passender Rezepte verfasst von einem Kochbuchautor – mehr Kulinarik geht wohl kaum…

Buchinformation:
Stevan Paul, Die Kichererbsen der Señora Dolores
mairisch Verlag
ISBN: 978-3-948722-33-3

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Stevan Pauls „Die Kichererbsen der Señora Dolores“:

Für den Gaumen (I):
Im Buch finden sich raffinierte Rezepte wie „Miso-Grünkohl mit Pfeffer-Birnen“ (S.78) ebenso wie Beispiele dafür, dass Gutes so einfach sein kann, wie zum Beispiel „Focaccia“ (S.155) zu Oliven, Käse oder einem Glas Wein…

Für den Gaumen (II):
Doch es gibt auch ein Rezept für die perfekte Sauce zur Currywurst: „Bojans Currywurst Spezial“… mit einem fruchtigen Geheimnis, das ich an dieser Stelle aber nicht verraten möchte, um nicht zu „spoilern“.

Zum Weiterschauen:
Obwohl mir der Film schon vor einer Weile herzlich empfohlen wurde, habe ich es bisher immer noch nicht geschafft ihn zu schauen: „Tampopo“ – ich sollte das wohl wirklich bald ändern (aber nur wenn die nötigen Zutaten im Haus sind)…

„Im Achtzigerjahre-Kultfilm Tampopo macht sich ein japanischer Lastwagenfahrer auf die Suche nach dem Rezept für die allerbeste Nudelsuppe und findet dabei auch die Liebe.“

(S.110)

Zum Weiterlesen:
Eines meiner Lieblingsbücher, was das Thema Kochen und Kulinarik anbelangt, ist Jacky Durands Roman Die Rezepte meines Vaters, den ich bereits hier auf der Kulturbowle besprochen habe. Ein wunderbares Buch.

Jacky Durand, Die Rezepte meines Vaters
Aus dem Französischen von Ina Kronenberger
Kindler
ISBN: 978-3-463-00008-4

11 Kommentare zu „Freudetrunkener Sinnesrausch

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