Märchenstunde für Erwachsene

Ohne lange nachzudenken würde ich sagen, es ist eine Premiere, dass hier auf der Bowle ein Märchenbuch vorgestellt wird. Allerdings nicht irgendein Märchenbuch, sondern ein grafisches Schmuckstück aus der Lieblingsbücher-Reihe der Illustratorin Kat Menschik, die sich dieses Mal ihre „Lieblingsmärchen“ von Hans Christian Andersen ausgesucht und in expressive Bilder umgesetzt hat. Und so widerlegt sie überzeugend auch zugleich das Vorurteil, dass Märchen doch nur etwas für Kinder sind.

Liest man bei Wikipedia mal kurz die Definition eines Märchens nach, kann man erfahren, dass dies „Prosatexte sind, die von wundersamen Begebenheiten erzählen“ (Zitat: Wikipedia). Kat Menschik kennt und liebt diese Texte, insbesondere die von Hans Christian Andersen (1805 – 1875) schon seit ihrer Kindheit und schöpft für „Lieblingsmärchen“ aus dem Vollen bzw. einem Schatz von 156 Märchen.

So konnte ich durch ihre Auswahl bei der Lektüre tatsächlich auch mir bislang unbekannte Märchen wie „Das Liebespaar“ oder „Die Schnecke und die Rosenhecke“ kennenlernen.

„Ich blühte in Freude, weil ich nicht anders konnte. Die Sonne schien so warm, die Luft war so erfrischend, ich trank den klaren Tau und den starken Regen; ich atmete, ich lebte! Aus der Erde stieg eine Kraft in mich hinauf, von oben her kam eine Kraft, ich empfand ein Glück, ein immer neues, wachsendes Glück, und darum musste ich immer blühen; das war mein Leben, ich konnte nicht anders!“

(S.16)

Doch es sind natürlich auch die bekanntesten Märchen Hans Christian Andersens in dem feinen, schmalen Bändchen vertreten.
Denn wer kennt sie nicht, die Geschichte vom armen Mädchen, das bitterlich friert und versucht, sich zu wärmen…

„Da ging nun das kleine Mädchen auf den bloßen kleinen Füßen, die rot und blau vor Kälte waren; in einer alten Schürze trug sie eine Menge Schwefelhölzer, und ein Bund hielt sie in der Hand. Den ganzen Tag hindurch hatte ihr niemand etwas abgekauft!“

(S.20)

Für mich persönlich ist „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, das mich als Kind überforderte, immer noch das wohl traurigste Märchen aller Zeiten. Aber natürlich auch das Markenzeichen Andersens, so dass es auch das Titelbild des Buches ziert.

Enthalten sind jedoch auch die Klassiker „Die Prinzessin auf der Erbse“ oder „Das hässliche junge Entlein“ und darüber hinaus auch ein neu entstandenes Puppenspiel von Antje König und Karl Huck, die das Märchen „Die Nachtigall“ für die Puppenbühne adaptiert haben.

Es ist immer wieder spannend zu sehen, welche Farbwahl Menschik für ihre jeweiligen Bücher trifft. Dieses Mal ist das Titelbild eine expressive Mischung aus dunklem Schwarzgrau, lichtem gelb und kontrastierendem lila und türkis geworden. Und auch der Farbschnitt ist türkis. Atmosphärisch passen diese magisch-gespenstischen Farben, die nachts sogar noch mit einem zauberhaften, schillernden Lumineszenz-Effekt aufwarten, in meinen Augen ganz wunderbar zu den melancholisch-wehmütigen Märchen des dänischen Schriftstellers.

Doch das Werk ist – auch bezüglich der grafischen Gestaltung – bunt und abwechslungsreich. Denn – im Gegensatz zu anderen Ausgaben der Reihe – sind nicht alle Werke durchgängig in der selben Farbgestaltung gehalten.
Dies liegt begründet darin, dass die gebürtige Luckenwalderin Kat Menschik für diesen Band alte und neue Bilder aus ihrem Schaffen ausgewählt hat. So enthält es Brandneues, frisch für das Buch Entstandenes sowie Illustrationen, die sie vor 20 Jahren bereits für eine andere Andersen-Ausgabe geschaffen hatte und sogar ein absolutes Frühwerk: Ein Scan eines kleinen, selbstgestalteten Buches mit dem Märchen „Das Feuerzeug“, das sie 1985 (im Alter von ca. 17 Jahren) als Geschenk für ihre Mutter angefertigt hat. Gleichsam ein sehr frühes Kunstwerk aus Menschiks Feder – mit Tinte in gestochener Schönschrift geschrieben und versehen mit kleinen Aquarellbildern. So ist in diesem Band auch eine Zeitreise und eine wunderbare Dokumentation ihrer Entwicklung als Illustratorin entstanden.

„Denn wissen Sie, was man an den alten Arbeiten auch erkennen kann? Mein Strich ist derselbe geblieben. Das ist etwas Wundervolles. Ich kann ihn nicht ändern, er ist meine Handschrift und begleitet mich durchs Leben. Wie die Märchen von Hans Christian Andersen.“

(aus Kat Menschiks Vorworts zu „Lieblingsmärchen“, S.6)

Vor vielen Jahren – inspiriert durch einen Aufenthalt in Dänemark und Hans Christian Andersens Heimatstadt Kopenhagen – hatte ich bereits im Erwachsenenalter einen Band mit seinen Märchen gelesen, allerdings unilllustriert. Jetzt ausgewählte Texte versehen mit den farbkräftigen und effektvollen Bildern nochmal auf neue Weise zu genießen, hat mir Freude gemacht.

Und die Moral von der Geschicht‘? Man ist wohl nie zu alt für Märchen. Und mit der zauberhaft illustrieren Ausgabe von Kat Menschik besteht die Möglichkeit, sich selbst eine kurzweilige und magisch-besinnliche Märchenstunde zu schenken.

Das wunderbarste Märchen ist das Leben selbst.“
(Hans Christian Andersen)

(Zitat aus dem Nachsatzpapier von Hans Christian Andersen „Lieblingsmärchen“)

Schön, dass Menschik sich dieses Jahr 2025 den 220. Geburtstag, sowie den 150. Todestag des großen, dänischen Märchenerzähler als Anlass für diese Hommage genommen hat.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag Galiani Berlin, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Hans Christian Andersen, Lieblingsmärchen
Illustrationen von Kat Menschik
Übersetzung Mathilde Mann
Galiani Berlin
ISBN: 978-3-86971-324-3

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Kat Menschiks „Lieblingsmärchen“ von Hans Christian Andersen:

Für den Gaumen:
Wenn im Puppenspiel „Die Nachtigall“ gefeiert wird, darf auch ein Festmahl nicht fehlen:

„Die Garküchen bereiten die herrlichsten Speisen für das Volk. Es gibt Reiswein und süße Früchte!“

(S.82)

Zum Weiterhören:
Von Robert Schumann gibt es Vertonungen einiger Gedichte von Hans Christian Andersen, zum Beispiel „Das Märzveilchen“ oder „Der Spielmann“ – auch wenn der März bereits vorbei ist, gibt es ersteres auf YouTube hier zum Beispiel in einer Fassung von Christian Gerhaher zu hören.

Zum Weiterlesen und Weiterschauen (I + II):
Wer schon etwas länger hier mitliest, weiß, dass ich ein Fan von Kat Menschiks Lieblingsbüchern und Illustrationen bin. Zu meinen absoluten Favoriten zählt ihr Traum in Blau und Rot bzw. der Band mit Asta Nielsens Erzählungen Im Paradies. Und zuletzt hatte ich auch ihre Zusammenarbeit mit Maxim Leo Junge aus West-Berlin, der eine bittersüße Liebesgeschichte zur Zeit des Mauerfalls erzählt, hier auf dem Blog vorgestellt.

Asta Nielsen, Im Paradies – Erzählungen
Illustriert von Kat Menschik
Übersetzt von Alan O. Hagedorff, Steffen Jacobs und Renate Seydel
Galiani Berlin
ISBN: 978-3-86971-280-2

Maxim Leo, Junge aus West-Berlin
Illustriert von Kat Menschik
Galiani Berlin
ISBN: 978-3-86971-5

7 Kommentare zu „Märchenstunde für Erwachsene

    1. Liebe Bettina! Das kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das ein interessantes Gespräch war. Ich finde die Lieblingsbücher-Reihe und ihre Illustrationen wirklich großartig. Das sind richtige Schmuckstücke im Bücherregal. „Lieblingsmärchen“ ist Band 19 der Reihe und ich hoffe, dass da noch viel Schönes kommen wird… Dir ebenfalls sehr herzliche Sonntagsgrüße, Barbara

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    1. Bücher – vor allem mit schönen Illustrationen – können ja auch ein feines Sammelobjekt sein. Vielleicht ein kleiner Trost 😉, das zauberhafte, schmale Buch findet sicherlich in jedem Regal noch sein Plätzchen… Dankeschön für die schöne Rückmeldung und ganz herzliche Grüße! Barbara

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  1. Liebe Barbara, aus der Kindheit taucht manches wieder auf – Erbse, Zündhölzer -, dazu später die Meerjungfrau und Eisjungfrau. Die schönste Märchenstunde war wohl, als mir „The little Claus and the big Claus“ auswendig erzählt wurde. Vom Zinnsoldaten hörte ich in Donovans Song „The Little Tin-Soldier“. Danke für Deine Buchvorstellung, Wiedererinnung und Anregung zum Nachschmökern. Andersens Gedanken, „Das wunderbarste Märchen ist das Leben selbst“, hast Du hinzugefügt. Schöne Grüße, Bernd

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    1. Lieber Bernd,
      Es freut mich, dass ich da ein paar Erinnerungen zum Klingen bringen konnte. Ja, vielleicht sollten wir versuchen, die guten, märchenhaften Elemente im Leben wieder stärker zu entdecken und uns bewusst zu machen. Ich wünsche Dir eine gute Karwoche und frohe, friedliche Ostertage! Herzliche Grüße, Barbara

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