Wo die Liebe hinfällt

Englische Liebschaften“ – was schießt da durch den Kopf? William und Kate? Camilla und Charles? Weit gefehlt. „Englische Liebschaften“ (Originaltitel: „The Pursuit of Love“) ist ein bekannter bzw. wohl der bekannteste Roman der englischen Schriftstellerin Nancy Mitford (1904 -1973). Eine humorvolle Liebeskomödie mit britisch-bissiger Ironie, die auch heute – 80 Jahre nach dem ursprünglichen Erscheinen 1945 – höchst amüsant zu lesen ist.

Wir befinden uns im Kreise der britischen Upper Class in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Herrlich überzeichnet erzählt Mitford von luxuriösen Adelssitzen auf dem Land, Dinnerparties, Teestunden und Jagdausflügen. Für die Mädchen des Hauses, die zu jungen Damen heranwachsen, gibt es kaum etwas Spannenderes als die große Liebe. Sei es in den sehnsüchtig verschlungenen Romanschmonzetten aus der Bibliothek oder aber beim Klatsch und Tratsch über Nachbarschaft und Verwandtschaft. Kein Wunder, dass da das Urteil über die frisch verlobte Tante unbedarft vernichtend ausfällt:

„Warum sie wohl jetzt heiraten will?“
„Verliebt haben kann sie sich nicht. Sie ist vierzig.“
Wie alle sehr jungen Leute hielten wir es für ausgemacht, dass die Liebe zu den Kinderspielen zählt.“

(S.31)

Es ist eine Zeit, in der Verlobungen noch in der Times bekanntgegeben werden und sich manche noch die Frage stellen, ob Frauenbildung nun wichtig ist oder nicht.
Und es ist noch eine Zeit, in welcher die jungen Frauen auf Bällen debütieren und die Saison in London verbringen.

„Von den vielen Elementen, aus denen die Londoner Gesellschaft besteht, ist keines so beliebt wie die junge, hübsche, aber absolut ehrbare Frau, die man ohne ihren Mann zum Dinner einladen kann, und schon bald begann die neue Umgebung Linda den Kopf zu verdrehen.“

(S.139)

Doch was geschieht, wenn man sich vor lauter Übereifer dann in den Falschen verliebt und den sogar noch heiratet? Lindas Ehe mit einem farblosen Banker, der sich viel ambitionierter um seine Karriere und den gesellschaftlichen Aufstieg kümmert als um seine Frau, verläuft unerfreulich und schnell wird klar, dass es das noch nicht gewesen sein kann. Lindas Leben bleibt turbulent.
Denn schon stürzt sie sich von einem Extrem ins Andere bzw. mit einem Kommunisten ins nächste Abenteuer und auch der drohende Krieg wirft bereits erste dunkle Schatten voraus.
Oder wartet die wahre, die ganz große Liebe vielleicht in Paris auf sie?

Temporeich und mit flotten Szenenwechseln nimmt Mitford ihre Leserschaft mit auf einen kurzweiligen Ausflug in die britische Upper Class. Zwischen glamourösen Bällen und Jagden, zwischen Sherry im Salon und der Tasse Tee im Gartenpavillon, taucht man ab in diese Welt, die zwischen den Kriegen und zwischen den Zeilen auch bei Mitford schon am Abgrund taumelt.

„Er hantierte gerade im Garten, als wir ankamen, in einer Cordhose, die so aufdringlich alt aussah, dass sie niemals neu gewesen sein konnte, in einer alten Tweedjacke von gleicher Machart, die Gartenschere in der Hand, einen melancholisch dreinblickenden Welsh Corgi an den Fersen und ein sanftes Lächeln auf dem Gesicht.“

(S.149)

Nancy Mitford (1904 – 1973) war die Älteste der legendären Mitford-Schwestern. In ihren zahlreichen Romane beschäftigte sie sich meist mit der Upper Class bzw. dem Adel. Schön, dass sie jetzt – vielleicht auch mit etwas Rückenwind durch Erfolgsserien wie „Downton Abbey“ – wieder neu entdeckt wird.

Ich mag den Humor – geschliffen und very british – und hatte meine helle Freude an der Sprache bzw. so herrlich aus der Zeit gefallenen Formulierungen – ins Deutsche übertragen von Reinhard Kaiser – wie „frackfähiges Alter“ (S.69), „kesse Hummel“ (S.131) oder „verruchte Eltern“ (S.34).

Trotz allem Witz und Amüsement, der spitzzüngigen Ironie und der kurzweiligen Unterhaltung, schwingen jedoch auch ernste und tiefgründige Töne in Mitfords Roman mit. Gerade wenn man im Kopf behält, dass der Roman 1945 im Jahr des Kriegsendes erscheint, regt folgende zu diesem Zeitpunkt bereits früh gereifte Analyse und Prognose der Zwischenkriegsgeneration schon sehr zum Nachdenken an:

„Es ist ziemlich traurig“, sagte sie eines Tages, „einer verlorenen Generation anzugehören, wie wir es tun. Ich bin überzeugt, in der Geschichtsschreibung werden die beiden Kriege später als einer gelten, wir geraten dazwischen und werden aufgerieben, und man wird vergessen, dass es uns jemals gegeben hat. Es ist, als ob wir nie gelebt hätten, ich finde das ist wirklich ein Jammer.“

(S.305/306)

Mitford erzählt voller Selbstironie von naiven Jungmädchenträumen, Ehefrauendasein und Mutterschaft und porträtiert so eine englische Frauengeneration. Persiflierend nimmt sie zudem auf schnippisch-treffende und doch liebevolle Weise die britische Oberschicht auf die Schippe. Wer P.G. Wodehouse mag, Downton Abbey nicht abgeneigt war oder einfach Freude an britischem Humor und fein gezeichneten Milieustudien hat, der wird „Englische Liebschaften“ sicherlich mit Vergnügen und einem verschmitzten Grinsen im Gesicht lesen.

Und all das in einer exquisit hochwertigen und vom Schöffling Verlag mit viel Liebe gestalteten, gebundenen Ausgabe, die das Herz von bibliophilen LeserInnen aufgehen lässt und hier daher auch ein explizites Lob verdient.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Schöffling Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Nancy Mitford, Englische Liebschaften
Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
Schöffling
ISBN: 978-3-69097-003-7

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Nancy Mitfords „Englische Liebschaften“:

Für den Gaumen:
Während der Saison in London dürfen auch die Peersgattinnen und jungen Damen einen Ausflug ins Oberhaus machen und was soll es dort in kulinarischer Hinsicht wohl geben?

„Onkel Matthew erwachte meist um die Teatime, geleitete uns dann in den Speisesaal der Peers, wo wir Tee tranken und süße Brötchen mit Butter aßen (…)“

(S.105)

Zum Weiterhören (I):
Onkel Matthew hat eine Vorliebe für die italienische Koloratursopranistin Amelia Galli-Curci und hört auf seinem Grammophon laut und gerne die „Wahnsinnsarie“ aus Lucia di Lammermoor (S.30).

Zum Weiterhören (II):
Lord Merlin ist immer auf der Höhe der Zeit und so lädt er seine Gäste zu besonderen kulturellen Genüssen ein:

„(…) wohin er die erstaunten Nachbarn zu so rätselhaften Veranstaltungen einlud wie Stücken von Cocteau, einer Oper namens Mahagonny oder den neuesten Dada-Extravaganzen aus Paris.“

(S.62)

Die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill und Bert Brecht wurde 1929 veröffentlicht.

Zum Weiterschauen:
Eine echte Entdeckung war für mich der Künstler, der für das zauberhafte Umschlagsdesign verantwortlich zeichnet bzw. von dem das verwendete Titelbild „L’Escarpolette“ (auf deutsch: die Schaukel) stammt: Georges Barbier (1882 – 1932). Seine Art déco-Illustrationen gefallen mir wirklich sehr und es macht Spaß hier ein bisschen im Netz zu stöbern.

Zum Weiterlesen:
Bekanntschaft mit Nancy Mitford und ihrer spitzzüngig-leichtfüßigen Stilistik durfte ich bereits letztes Jahr mit ihrem WeihnachtsromanSchöne Bescherung auf Compton Bobbin machen, den ich hier auf dem Blog vorgestellt habe.

Nancy Mitford, Schöne Bescherung auf Compton Bobbin
Aus dem Englischen von Eva Regul
Schöffling
ISBN: 978-3-89561-144-5

5 Kommentare zu „Wo die Liebe hinfällt

    1. Liebe Sabine,
      schön, das freut mich.
      Und ich kenne das – sehr gut sogar. Manchmal braucht es eine Erinnerung bzw. ein kleines Anstupsen und plötzlich betrachtet man die ungelesenen Schätze in den Regalen (oder Stapeln) wieder mit neuen Augen. Und sortiert bzw. priorisiert wieder mal um 😉
      Herzliche Grüße und eine gute Woche!
      Barbara

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