Freilufttheaterseligkeit

Die kulturelle Durststrecke und Live-Theaterabstinenz war lang – sehr lang. Um so schöner, stimmungsvoller und beseelender war jetzt der erste Theaterbesuch nach langer Zeit. Ein grandioses Freilufttheatererlebnis an einem perfekten, lauen Sommerabend vor der traumhaften Kulisse des Landshuter Prantlgartens. Mit „Der Watzmann ruft!“ hat sich das Landshuter Schauspielensemble des Landestheater Niederbayern eindrucksvoll zurückgemeldet und präsentiert dem Publikum eine unterhaltsame, stimmige und schwungvolle Inszenierung des Kult-Alpen-Rustical’s von Wolfgang Ambros, Manfred Tauchen und Joesi Prokopetz. Rockige Musik der Siebziger, ein Ensemble voller Spielfreude und mit hoher gesanglicher Qualität, eine Regie von Marcus Everding, welche dem Stück einen intelligenten Rahmen gibt, welcher zum Nachdenken anregt und den Zuschauern einen Theaterabend beschert, der glücklich macht. Theaterherz, was willst Du mehr?

Die Handlung ist schnell erzählt und nimmt auch im Programmheft nur wenige Zeilen ein. In meinen eigenen, kurzen Worten:
Ein kleiner Bauernhof am Fuße des Watzmannmassivs – der Hof wird patriarchalisch vom Bauern geführt, der zwar keine Frau mehr hat, aber einen Sohn – den Bua – der das kleine Anwesen irgendwann übernehmen und erben soll. Das Personal ist übersichtlich – zwei Knechte und zwei Mägde, die das Arbeiten nicht immer erfunden haben. Über allem thront der Watzmann und hat schon viele junge Abenteurer ins Verderben gelockt, die erfolglos versucht haben, den Gipfel zu erklimmen und stets mit dem Leben bezahlt haben. Und auch die verführerische Gailtalerin hat ihren Anteil daran, dass es zum Streit zwischen Bauer und Bua kommt, weil es den Jungen mit aller Macht auf den Berg hinauf zieht.

In der Landshuter Inszenierung hat Regisseur Marcus Everding dem Stück mit dem Erzähler (Joachim Vollrath) einen ruhigen, ordnenden Rahmen gegeben, der bei aller Parodie, Satire und Komik, dem Ganzen eine philosophische, nachdenkliche und aufwertende Komponente hinzufügt. Allwissend, in sich ruhend und lebenserfahren moderiert und sortiert er das Geschehen auf der Bühne.
Die Rollen sind durchwegs perfekt besetzt: Reinhard Peer verkörpert auf unnachahmliche Weise den polternden, grantelnden und besorgten Vater, der seinen Sohn vor dem Unglück bewahren will.
Stefan Sieh gibt ausdrucksstark den zu Beginn unbeholfenen, aufmüpfigen Bua, der im Stück zum Mann werden soll und welcher nach und nach der magischen Anziehung des Watzmann’s und der Gailtalerin erliegt.
Großartig sind aber auch die Rollen der beiden arbeitsscheuen Knechte besetzt: Julian Ricker und Alexander Nadler brillieren in witzigen Szenen und überzeugen durch ihr komödiantisches Können. Dem stehen die gottesfürchtigen, frömmelnden und betschwestrigen Dienstmägde – herrlich dargestellt durch Antonia Reidel und Friederike Baldin – an Komik in nichts nach.
Akrobatisch, erotisch und verführerisch schwebt, turnt und tanzt Katharina Elisabeth Kram als Gailtalerin über die Bühne. Eine geschlossene Ensembleleistung, die absolut begeistert.

Bernd Meyer führt die Band souverän und gibt dem alpinen Rustical den rockigen Sound, der auch schon das Original aus den Siebzigern (Uraufführung war bei den Wiener Festwochen 1972) ausgezeichnet hat. So können die Ensemblemitglieder durchwegs auch gesanglich überzeugen und glänzen.

Das Publikum kommt in den Genuss von mitreißender Musik, herzerfrischend unterhaltsamen Szenen, zündenden Gags und kann sich am Ende dennoch auch Gedanken machen, ob es denn auch einen Watzmann in ihrem Leben gibt, etwas das sie umtreibt, dem sie nachlaufen und dem sie vielleicht auch eine übersteigerte oder ungesunde Aufmerksamkeit zukommen lassen. Theater wie es sein soll und wie wir es in den letzten Monaten so sehr vermisst haben.
Es war eine Freude, am Ende den begeisterten Applaus und die glücklichen Gesichter der Zuschauer und des Ensembles sehen zu können. Ein emotionaler Moment.

Ich wünsche allen kulturellen Einrichtungen und Künstlern, die uns jetzt dieses lange ersehnte, kulturelle Erwachen schenken und uns mit ihrem Können begeistern, einen guten Neustart, gelungene und gut besuchte Vorstellungen, glückliche Zuschauer und allen Freiluftveranstaltungen gutes Wetter! Toi, toi, toi!

Gesehen am 20. Juni 2021 im Landestheater Niederbayern (Landshut – Prantlgarten)

Der Watzmann ruft!“ ist in dieser Spielzeit noch an einigen Terminen in Landshut und Passau zu sehen. Genaue Daten und weitere Details findet man jederzeit auf der Homepage des Landestheater Niederbayern. Zudem findet ihr dort auch schöne Fotos der Aufführung, wenn Ihr Euch ein Bild machen wollt.

***

Wozu inspirierte mich bzw. woran erinnerte mich „Der Watzmann ruft!“:

Für den Gaumen:
Das Leben auf dem Bergbauernhof ist karg und einfach. Der Bauer hat stets das Recht, als Erster aus dem Topf zu essen und den größten Löffel (zumindest in dieser Landshuter Inszenierung ist das so). Was wohl drin war im Topf? Eine kräftige Suppe vielleicht? Beim „Amuserl“ wird dann aber doch wohl dem Bier und Schnaps zugesprochen worden sein.

Weiterer Theatergenuss:
Als zweite Premiere der diesjährigen Burgenfestspiele meines Heimattheaters darf ich mich im Juli auf den Wiener Heurigenabend „Zur fesch’n Wirtin“ freuen, den das Musiktheaterensemble aus Passau auf die Freiluftbühnen Niederbayerns zaubern wird – hoffentlich bei gutem, stabilem Sommerwetter. Die Homepage des Theaters verspricht einen „weinseligen Abend“… ich bin gespannt und freue mich darauf.

Zum Weiterlesen:
Die Berge stehen auch im Zentrum eines sehr bewegenden und für mich unvergesslichen Romans: Paolo Cognetti’s „Acht Berge“, der in Italien mit dem renommierten Premio Strega ausgezeichnet wurde. Im Angesicht der Bergwelt suchen die Menschen Antwort auf existenzielle Fragen – eine intensive und bereichernde Lektüre.

Paolo Cognetti, Acht Berge
Aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt
Penguin Verlag
ISBN: 978-3-328-60202-6

11 Kommentare zu „Freilufttheaterseligkeit

  1. Wie schön, liebe Barbara! Ich freu mich mir dir und danke für die herzerwärmenden Töne und Bilder vom alpinen Rustical! P.S. Der innere Watzmann mag für eine Norddeutsche nicht die naheliegendste Metapher sein, ihrer Schönheit tut das keinen Abbruch. P.P.S. Paolo Cognettis „Acht Berge“ mochte ich auch sehr.

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    1. Ja, das war wirklich Balsam für meine theaterentwöhnte Seele und ein sehr schöner Abend. Der Watzmann ist schon sehr weit weg von der Küste, da gebe ich Dir recht. 😉 Aber ich fand den Ansatz interessant, dem Stück so noch eine tiefere, gedankliche Ebene zu geben. Wenn ich allerdings die Wahl habe, zieht es mich wohl auch eher ans Meer als auf die Bergesgipfel – vielleicht aber auch deshalb, weil das Meer weiter weg und somit immer etwas Besonderes ist. Herzliche Grüße in den Norden und einen schönen Abend! Barbara

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  2. Rustical … wie nett! Das passt so schön in eine ländlich-sittliche Kulisse, wie das Musical zum Broadway. Ich wünsche dir noch viele sommerlich unbeschwerte Freilufttheaterveranstaltungen, von denen du uns berichten kannst! 🌞

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    1. Das ist lieb. Danke… ja ich hoffe, dass uns der Wettergott wieder milder gestimmt wird in der nächsten Zeit und wir noch schöne Kulturerlebnisse im Freien genießen können. Gestern hatten wir ein sehr schweres Unwetter in Landshut mit starken Überschwemmungen in der historischen Innenstadt. Das soll aber hoffentlich wieder besser werden in den nächsten Tagen und Wochen. Ja, im „Rustical“ geht es teilweise schon ein wenig derb zu, aber das ist Teil der Parodie und wurde wirklich sehr schön umgesetzt. Buona serata, liebe Anke und herzliche Grüße nach Italien, Barbara

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      1. Da drücke ich fest die Daumen. Die Unwetterkapriolen sind wirklich eine Plage jedes Jahr. Hab du auch einen schönen Abend, liebe Barbara! Saluti, Anke

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  3. Liebe Barbara,
    Deine freiluftige Theaterseligkeit erinnert mich an eine Aufführung des „Watzmanns“ von Wolfgang Ambros vor vier Jahrzehnten. Unter den Freunden teilten wir nachher Zitate wie: „Groußknecht, gib‘ mir sofort mein Löffel!“ und so weiter und so fort.

    Die aktuellen Nachrichten aus Landshut ließen mich an Eure Stadt und Dich denken. Möge das Gewitterregenwasser zügig abfließen und keine allzu großen Schäden hinterlassen.
    „Schaut auf die HelferInnen!“
    Gute Wünsche Dir und Eurer Stadt nach Landshut
    herzlich Bernd

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    1. Danke Bernd, für diese solidarischen Worte. Die Einsatzkräfte und die Betroffenen müssen wirklich gerade Großes leisten und erst die Zeit und die Aufräumarbeiten werden das gesamte Ausmaß der Schäden sichtbar machen. Hoffen wir das Beste. Herzliche Grüße, Barbara

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  4. Liebe Barbara, nachdem ich selbst schon deine Weiterempfehlung „Paolo Cognetti, Acht Berge“ vor ca. 2 Jahren gelesen habe, bin ich mal gespannt auf dieses Buch. Vor allem wenn einem die Gegend, die in dem Buch beschrieben wird, selbst kennt.

    ‚Acht Berge‘ ist ebenfalls empfehlenswert, Schauplatz ist das Monte Rosa Massiv der Walliser Alpen und es geht um Sehnsucht, Heimat und Freundschaft. Eine schöne anrührende Geschichte, die sich im Grunde damit befasst, was jeder kennt: was ist der richtige Lebensweg. Sind alle Entscheidungen, die man im Leben getroffen hat die richtigen?
    Danke dir für diese Rezension, Barbara. Liebe Grüße, Manuela

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    1. Sehr gerne, Manuela. Und wenn Du den Cognetti so mochtest – ein kleiner Tip: Im Herbst wird ein neuer Roman von ihm auf deutsch erscheinen: „Das Glück des Wolfes“. Herzliche Grüße, Barbara

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