Frühlingsanfang in Wien

Nachdem ich meine „23 für 2023“ in den letzten Wochen ein wenig vernachlässigt habe und da ein Frühlingsbuch auf meiner Liste steht, wird es natürlich höchste Zeit, dass ich hier eines vorstelle, bevor der Sommer kommt. Und nachdem Wien immer eine Reise wert ist und ich Bücher liebe, die von Menschen geschrieben sind, die Bücher lieben, fiel meine Wahl auf Petra Hartliebs „Wenn es Frühling wird in Wien“.

Da es sich dabei jedoch um den zweiten Band einer Tetralogie handelt und die Temperaturen im April teilweise ja ohnehin noch recht frostig waren, habe ich dann chronologisch korrekt noch den ersten Teil „Winter in Wien“ vorweg gelesen, um den richtigen Einstieg zu finden. Schließlich wollte ich ja auch wissen, wie die Geschichte um Marie und Oskar beginnt.

Die Autorin Petra Hartlieb ist seit 2004 Buchhändlerin in Wien und hat dort eine Traditionsbuchhandlung im Stadtteil Währing übernommen: und genau diese Buchhandlung ist auch einer der wesentlichen Schauplätze in ihrer Jahreszeitenreihe.

Sie entführt die Leserschaft in den ersten zwei Bänden auf eine Zeitreise in die Belle Époque und zwar ins Wien der Jahre 1911 und 1912: in die Stadt Arthur Schnitzlers und auch in dessen Haushalt.
Denn Marie, die in einfachen Verhältnissen auf einem Bauernhof in Oberösterreich aufgewachsen ist, hat ihrer Heimat den Rücken gekehrt, mit ihrer Familie gebrochen und möchte sich in Wien ein eigenes, anderes Leben aufbauen. Beim Abschied nimmt ihr die geliebte Großmutter ein Versprechen ab:

„Geh schon, Mädel. Und versprich mir, dass du einmal das Theater besuchen wirst.“ Die Großmutter schob sie von sich und hielt ihr Gesicht in ihren warmen, rauen Händen.

(aus Petra Hartlieb, Ein Winter in Wien, S.28)

Die bildungshungrige und ehrgeizige junge Frau hat Glück und bekommt nach kurzer Zeit in Wien die Gelegenheit, beim erfolgreichen Dramatiker und Arzt Arthur Schnitzler als Kindermädchen angestellt zu werden.
Die besten Kreise Wiens, ein vornehmer Haushalt, umgeben von weiteren Angestellten fühlt sich Marie schnell wohl und schließt vor allem auch die beiden Kinder der Schnitzlers sofort ins Herz.
Als sie schließlich beim Abholen einer Buchbestellung ihres Dienstherrn im Buchladen des Viertels den jungen, freundlichen Buchhändler Oskar kennen lernt, entdeckt sie nicht nur ihre Liebe zu Büchern und zum Lesen neu…

Kein Wunder, dass die zarte, romantische Liebesgeschichte, die sich im Winter-Band behutsam anbahnt, in „Wenn es Frühling wird in Wien“ eine stimmungsvolle Fortsetzung mit Frühlingsgefühlen, Irrungen, Wirrungen und Eifersuchtsmomenten finden darf.

Oskar, der früh Waise wurde und immer noch unter dem Verlust der Eltern leidet, arbeitet als Angestellter in der Buchhandlung seines Ziehvaters. Doch um Marie ernsthaft den Hof machen zu können, muss er ihr eine solide Perspektive bieten können…

„Der einzige Luxus, den er sich leistete, waren Theaterbesuche und Bücher.“

(aus Petra Hartlieb, Wenn es Frühling wird in Wien, S.48)

Zur Handlung der beiden Bände möchte ich gar nicht mehr viel verraten. Hartlieb hat eine zuckersüße, verspielte und romantische Liebesgeschichte mit zwei Sympathieträgern geschaffen.

Für mich standen jedoch bei der Lektüre zweifelsohne andere Aspekte und Stärken im Vordergrund:
Zum ersten die Stadt und die Zeit – mir gefällt, wie Hartlieb das Zeitgeschehen und den Wiener Lokalkolorit in ihre Bücher einfließen lässt. Da wird um eine Passagierin gebangt, die sich auf der Titanic zum Zeitpunkt des Unglücks befand, man besucht mit den Figuren Kaffeehäuser, prunkvolle Theater und prächtige Opernaufführungen und fühlt sich bei den Szenen und Gesprächen in der Küche und den Dienstbotenzimmern ein wenig an eine österreichische Variante von Downton Abbey erinnert. Die warmherzige, zupackende und liebenswürdige Köchin Anna weist durchaus so manche Parallele mit der Figur der Mrs. Patmore in der britischen Erfolgsserie auf. Und auch der Kontrast zwischen Olga Schnitzler, der um 20 Jahre jüngeren Gattin Arthurs, und ihrem Personal wird deutlich herausgearbeitet.

Und zum zweiten spürt man besonders intensiv die tiefe Liebe zu Büchern und die Leidenschaft der Buchhändlerin, die im Roman zum Ausdruck kommt. Marie lebt in einem Schriftstellerhaushalt. Oskar ist Buchhändler aus tiefster Überzeugung. Sowohl Oskar als auch Marie lieben Bücher. Wie Hartlieb die Tätigkeiten und die Atmosphäre im Buchladen beschreibt, Buchempfehlungen einfließen lässt und die Faszination für das Medium Buch zum Ausdruck bringt, lässt einer Vielleserin wie mir das Herz aufgehen.

„Er konnte sich noch daran erinnern, als er plötzlich verstanden hatte, dass diese sechsundzwanzig kleinen Zeichen einem eine ganze Welt eröffneten. Sechsundzwanzig Zeichen, um im Kopf einmal um die Erde, ins Mittelalter oder auf den Mond zu reisen.“

(aus Petra Hartlieb, Wenn es Frühling wird in Wien, S.119)

Ich finde mich in so vielen Gedanken und Formulierungen wieder und habe die Bücher, die sich locker, leicht und entspannt mit jeweils unter 200 Seiten geradezu in kürzester Zeit inhalieren lassen, einfach gerne gelesen. Sie sind ideal, um einen angenehmen Abend zu verbringen und stilvoll abzuschalten. Ich mochte die Atmosphäre, das Wiener Flair und die geschilderte Kulturszene.
Schon die Buch- und Umschlaggestaltung mit den herrlichen Jugendstilornamenten ist sehr ästhetisch, spricht mich an und macht Lust auf die Wiener Belle Époque und das Abtauchen in eine andere Zeit.
Die Buchhandlung „Hartliebs Bücher“ in der Währinger Straße wird beim nächsten Wien-Besuch sicherlich auf meiner Besichtigungswunschliste stehen und für Sommer und Herbst liegen ja vorher auch noch zwei Bände rund um Marie und Oskar zur Lektüre bereit. Die nächsten literarischen Abstecher ins schöne Wien sind also schon gesichert.

Mit Petra Hartliebs „Wenn es Frühling wird in Wien“ habe ich einen weiteren Punkt meiner 23 für 2023erfüllt – Punkt Nummer 16) auf der Liste: Ich möchte ein Frühlingsbuch lesen. Das Winterbuch war ja schon abgehakt, aber mit Frühling sogar im Titel, kann ich den Punkt wohl getrost noch rechtzeitig als erfüllt betrachten, bevor der Sommer kommt.

Buchinformationen:
Petra Hartlieb, Ein Winter in Wien
Kindler
ISBN: 978-3-463-40086-0

Petra Hartlieb, Wenn es Frühling wird in Wien
Dumont
ISBN: 978-3-8321-9848-0

***

Wozu inspirierten bzw. woran erinnerten mich die beiden Wiener Hartlieb-Bücher:

Für den Gaumen (I):
Die Köchin im Hause Schnitzler versteht es, die Herrschaften und ihre Gäste erstklassig zu bewirten. Im Winter-Buch gibt es folgendes Menü:

„Für die Suppe bereiteten sie Grießnockerl zu, als Hauptgang gab es eine Kalbskeule mit Kapernsauce und Brunnenkressesalat. Die Nachspeise hatte Anna schon am Vorabend gebacken: Eine prächtige Esterházytorte (…)“

(aus Petra Hartlieb, Winter in Wien, S.47)

Ein Rezept für die legendäre Torte findet man unter anderem bei Julias Blog Torten und Törtchen.

Für den Gaumen (II):
Und weil man nie genug kulinarische Anregungen bekommen kann: im Frühlingsbuch gibt es Braten und Knödel, als Dessert Topfencreme (S.113).

Zum Weiterhören bzw. für einen Theaterbesuch:
Oskar stellt bei einem Opernbesuch des „Lohengrin“ fest, „dass er doch eher für Literatur und Theater geschaffen sei als für die Oper“ (aus Petra Harlieb, Wenn es Frühling wird in Wien, S.52). In meinen Augen schließt das Eine das Andere jedoch nicht aus und Richard Wagners Oper um den Schwanenritter ist auf jeden Fall einen Besuch oder ein Reinhören wert.

Zum Weiterlesen (I):
Es geht ums Betrügen und Betrogen werden: Arthur Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“ wurde 1910 in Sankt Petersburg uraufgeführt und ein Jahr später an vielen deutschsprachigen Bühnen in zahlreichen Städten – unter anderem auch am Wiener Burgtheater – gespielt. Der Besuch einer Vorstellung dieses Stücks am K.k. Hofburgtheater wird für Marie im Frühlingsbuch zum unvergesslichen Erlebnis.

Arthur Schnitzler, Das weite Land
Herausgegeben von Reinhard Urbach
Reclam
ISBN: 978-3-15-018161-4

Zum Weiterlesen (II):
Natürlich hat Petra Hartlieb ihr Jahreszeiten-Quartett vervollständigt und es folgen in der Reihe „Sommer in Wien“ und „Herbst in Wien“, die ich mir jeweils noch für die passenden Momente aufgehoben habe, aber selbstverständlich auch noch lesen möchte:

Petra Hartlieb, Sommer in Wien
Dumont
ISBN: 978-3-8321-8372-1

Petra Hartlieb, Herbst in Wien
Dumont
ISBN: 978-3-8321-8145-1

5 Kommentare zu „Frühlingsanfang in Wien

    1. Ja, Alexander. Es sind Bücher, die ich zwischendurch einfach zur Entspannung gelesen habe, um ein wenig die Seele baumeln zu lassen. Etwas Wohltuendes, bevor man sich wieder ernsteren oder anstrengenderen Themen widmet und es ist schön, dass Literatur in ihrer Vielfalt ja auch für alle Lebenslagen etwas im Angebot hat. Herzliche Grüße!

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