Temperamentvolle Tessinerinnen

Wenn draußen die Tage länger werden, sich mehr Helligkeit und Sonnenstrahlen den Weg durch die Wolkendecke bahnen, dann keimt bei mir auch die Lust nach stimmungsvoller Lektüre, die Urlaubsgefühle aufkommen lässt. Eine Reise ins sonnige Tessin zur ermittelnden Übersetzerin Moira Rusconi, ihrem Vater Ambrogio, dem Gerichtsmediziner Luca und der Polizistin Chiara im zweiten Band der Krimireihe von Autorin Mascha Vassena kam da mit „Die Tote im Luganer See“ genau zur rechten Zeit.

Schon der erste Band „Mord in Montagnola“, den ich ebenfalls hier auf der Bowle vorgestellt hatte, schrie geradezu nach einer Fortsetzung.
Moira und ihre Tochter Luna verbringen die Ferienzeit bei Vater bzw. Opa Ambrogio im Tessin, der – genesen von seinem Schlaganfall – gerade versucht, die Osteria seiner Freundin Gabriella, die sich im Krankenhaus befindet, am Laufen zu halten. Und auch Moiras Mutter Cornelia – kurz Nelly – ist angereist und sorgt durch ihre ungestüme und direkte Art für einige Verwirrung, zumal sie teils wenig zimperlich und etwas taktlos auf den Gefühlen ihres Umfelds herumtrampelt.

Schnell werden auch Moiras Übersetzerdienste wieder benötigt und sie springt erneut als Dolmetscherin im Polizeidienst ein: denn die berühmte Chansonsängerin Livia wird tot im Luganer See aufgefunden und es gibt jede Menge teils deutschsprachige Zeugen und Verdächtige zu befragen. Wer hat sie in ihrer Villa über die Brüstung ins Wasser gestoßen? Und wer profitiert vom Tod des ehemaligen und kinderlosen Stars?

Ispettrice Chiara ist wenig begeistert, als ihr ein Fallanalytiker zur Seite gestellt wird und es kommt zu ordentlichem Kompetenzgerangel zwischen dem Deutschschweizer und der temperamentvollen Tessinerin.
Und auch Moira trifft natürlich erneut auf Gerichtsmediziner und Jugendliebe Luca, der sie zunehmend in ein schwer kontrollierbares Gefühlschaos stürzt. Denn auch wenn es ordentlich knistert und lodert, ist er immer noch verheiratet und Vater eines Kindes…

Und dann ist da auch noch ein Schweinchen namens Napoleon – das Haustier der Toten – das eine neue Bleibe braucht und schließlich den Katzenhaushalt in der Casa Rusconi ordentlich aufmischt.

„Das Schweinchen, dessen schwarzes Fell sich überraschend weich anfühlte, zappelte ein wenig, beruhigte sich dann aber, kuschelte sich in Moiras Armbeuge und blinzelte sie aus langbewimperten Augen an. Moira streichelte ihm mit der freien Hand den Kopf. Es wackelte mit der Schnauze und grunzte wohlig.“

(S.50)

Für Turbulenzen jeglicher Couleur, reichlich Abwechslung, einen spannenden Kriminalfall und auch jede Menge kulinarisch-köstlicher Anregungen ist also gesorgt, so dass der Krimi zur herrlich süffig-flüssigen Genusslektüre wird.

„Die Tote im Luganer See“ bescherte mir ein freudiges Wiedersehen mit liebgewonnenen Figuren und guten Bekannten, die ich im ersten Teil schon ins Herz geschlossen hatte. Vassena kreiert Charaktere, mit denen man selbst gerne einen Abend bei einem Gläschen Merlot und einem guten Essen verbringen würde – interessante und anregende Gespräche mit inbegriffen. Da ist zum Beispiel der pensionierte Literaturprofessor Ambrogio, der sich nun versucht, vom treuen Stammgast der Osteria zum passionierten Gastronomen und Retter derselben zu mausern.

„Die Außentische des Il Mulino waren voll besetzt, und auch im Gastraum fand sich trotz des warmen Wetters kaum ein freier Platz. Auf den Tischen standen Windlichter und Gläser mit grissini. Ambrogio war hinter der Theke zugange, ein Kochhandtuch über die Schulter geworfen, und füllte ein Weinglas nach dem anderen. Aus der Küche drang ein verführerischer Duft nach gebratenem Fleisch und Trüffel.“

(S.331)

Oder aber die toughe und selbstbewusste Staatsanwältin, die ihrem Geliebten Ambrogio sehr deutlich klar macht, dass sie keinesfalls bereit ist, die zweite Geige hinter seiner eigenwilligen Ex-Frau Nelly zu spielen.

Schon im ersten Band mochte ich die starken Frauenfiguren, die Vassena zeichnet: natürlich allen voran Moira, Polizistin Chiara, die Staatsanwältin, aber zum Beispiel auch die Winzergattin und Freundin der Familie Silvana, die mit ihren Kochkünsten unterstützt.

Wer sich nach sommerlicher Leichtigkeit, etwas südlichem Lebensgefühl und einer sonnigen Lektüre für Balkon, Terrasse oder Liegestuhl sehnt, der ist mit Mascha Vassenas Tessin-Krimis gut beraten. Weitestgehend unblutige Krimiunterhaltung, die sich vor allem durch den Lokalkolorit, das Urlaubsflair und die liebevoll gezeichneten, sympathischen Figuren auszeichnet und so zu einem wohlig-entspannten Sommergefühl beiträgt.

Übersetzerin Moira denkt im Roman zunehmend darüber nach, ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft von Frankfurt ins Tessin zu verlegen und versucht, auch ihre Tochter davon zu überzeugen, mit ihr dorthin zu ziehen.
Sollte sich also die Möglichkeit zu einem Wiedersehen im Tessin im Band drei ergeben, bin ich sofort und gerne wieder mit dabei.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Eichborn Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Mascha Vassena, Die Tote im Luganer See
Eichborn Verlag
ISBN: 978-3-8479-0134-1

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Mascha Vassenas „Die Tote im Luganer See“:

Für den Gaumen (I):
Selbst wenn man nicht hungrig ist, lässt einem die Lektüre des Krimis immer wieder das Wasser im Munde zusammenlaufen. Denn da wird unter anderem eine opulente „Vorspeisenplatte mit Fenchelsalami, rohem Schinken und verschiedenen Käsesorten, eingelegten Zwiebeln und süßsauren Gurken“ (S.73) verspeist. „Dazu aßen sie helles knuspriges Brot.“ (S.73)

Für den Gaumen (II):
Gazzosa“ (S.139) – die Gashaltige – ist wohl die italienische bzw. Tessiner Variante der Zitronenbrause bzw. Zitronenlimonade. Wenn man dem Wikipedia-Eintrag Glauben schenken darf, ist sie wohl weniger süß und enthält weniger Kohlensäure als herkömmliche Limonaden.

Für den Gaumen (III):
Richtig Lust bekommen durch die Lektüre habe ich auch wieder einmal auf einen Pasta-Klassiker: „Spaghetti Carbonara“ (S.236):

„Der kross gebratene guanciale bildete einen wunderbaren Gegensatz zu der cremigen Mischung aus Pecorino und Eigelb, die die Nudeln überzog. Ein Trost spendendes Essen (…)“

(S.237)

Also, wenn man da keinen Appetit bekommt…
Und für alle, die vorsichtshalber das Rezept noch einmal nachlesen wollen, auf Günters wunderbarem Blog „Ein Nudelsieb bloggt“ findet man ein Rezept.

Zum Weiterlesen bzw. vorher lesen:
Ziemlich genau vor einem Jahr habe ich den ersten Fall von Moira Rusconi hier auf der Kulturbowle vorgestellt. Und auch wenn sich der neue Band ebenso gut ohne Vorkenntnisse lesen lässt, schadet es keinesfalls, mit dem Auftaktband der Reihe zu starten. Denn da lernt man die Figuren doch gleich besser kennen und schätzen und darf zudem in Hermann Hesses Tessiner Heimatort Montagnola reisen…

Mascha Vassena, Mord in Montagnola
Eichborn Verlag
ISBN: 978-3-8479-0102-0

Ein Kommentar zu „Temperamentvolle Tessinerinnen

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