Streifzüge durch urbane Natur

Ohren auf, Augen auf und raus in die Natur, die auch in der Stadt direkt vor der Haustür beginnt und viele spannende Entdeckungen bereithält, wie im faszinierenden und augenöffnenden Buch „Das geheime Leben in der Stadt – Nachrichten aus der urbanen Wildnis“ der Norwegerin Hanna Bjørgaas nachzulesen ist.

Ich kenne dieses Klacken gut, wenn eine Nuss von der Straßenlaterne auf den Asphalt kracht. Auf einer meiner Spaziergehrunden gibt es eine Krähe, die genau diese Technik beherrscht und häufig anwendet. Ich habe sie schon mehrmals dabei beobachtet, die Schlitzohrigkeit und Raffinesse der Vögel bestaunt. Auch die Osloer Krähen beherrschen diese Art, Nüsse zu knacken und Hanna Bjørgaas beschreibt diese in ihrem Buch. Doch man erfährt noch so viel mehr über das Verhalten und die Kommunikation der Krähen. Sie hat diesen Vögeln das erste große Kapitel – das Januar-Kapitel – ihres Buches gewidmet, in dem sie die biologischen Entdeckungen und Recherchen eines Jahres in der norwegischen Hauptstadt Oslo auf unterhaltsame und erhellende Weise zusammenfasst.

„Es gibt viele Theorien dafür, warum viele Vogelarten Töne nachahmen, so Audun. Eine Erklärung könnte sein, dass sie ihre Lebenserfahrung zeigen wollen. In einem guten Lied lässt der Vogel die Töne miteinfließen, die er zuvor in seinem Leben gehört hat, und je länger dieses Leben währt, desto mehr neue Töne finden Eingang.“

(S.67)

Bjørgaas hat Biodiversität und Evolution in Oslo studiert und war auf der ganzen Welt unterwegs, als Fremdenführerin in Arktis und Antarktis, in einem Projekt mit Kleinbauern in Brasilien. Während der Pandemie ist sie plötzlich auf ihr städtisches Umfeld in der Großstadt Oslo zurückgeworfen und entdeckt, wie spannend die Tier- und Pflanzenwelt auch in der nächsten Umgebung sein kann. Unterwegs mit Fernglas und Skizzenbuch beschäftigte sie sich jetzt mit ihren unmittelbaren tierischen und pflanzlichen Nachbarn und war fasziniert, wie sich diese an die Nähe zu menschlichem, urbanem Leben angepasst haben. Daraus entstanden ist ein außergewöhnliches und ungemein lesenswertes Buch.

„Ich hatte nicht nur meinen Blick auf Krähen revidieren müssen, auch Möwen schienen schlauer zu sein, als ich bisher gedacht hatte.“

(S.127)

Ein Buch, das in Staunen versetzt und das einem Respekt vor der Findigkeit und Intelligenz der Tiere abnötigt. Selten habe ich durch die Lektüre auf so kurzweilige und unterhaltsame Weise in wenig Zeit, so viel Neues erfahren und gelernt.

Und das Schöne daran ist, dass es eben nicht, die exotischen, besonderen und seltenen Tiere sind, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit viel besprochen bzw. beachtet sind und im Mittelpunkt stehen, sondern es sind Arten, die jeder von uns tagtäglich ebenfalls vor Augen hat. Und schnell wird bewusst, wie wenig wir doch über die Krähen, die Amseln, die Regenwürmer, die Möwen, die Blattläuse auf den Lindenbäumen oder die Ameisen, die sich manchmal unerwünschterweise ihren Weg in Küche oder Wohnzimmer bahnen, wissen.

„In einem Teelöffel voll gesunder Erde gibt es mehr Mikroben als Menschen auf unserem Planeten. Nur ein geringer Anteil der lebenden Wesen in der Erde sind bisher identifiziert worden. Und der kleine Teil des Lebens auf der Erde, den wir faktisch bereits kennen, macht nur ein Viertel allen bekannten Lebens aus.“

(S.167)

Nach der Lektüre geht man mit geschärftem Blick vor die Tür und wird Ameisen, Amseln oder Krähen mit anderen Augen betrachten. Denn man hat Respekt bekommen vor ihrer Intelligenz und ihren Fähigkeiten.

Hanna Bjørgaas macht ihre große Passion und Profession der Biologie auf unwiderstehliche Art für die Leserschaft greifbar, denn sie schreibt lebendig und verständlich. Sie hat ExpertInnen befragt, umfassend recherchiert und garniert ihre Ausführungen zudem mit amüsanten Anekdoten und spannenden, überraschenden Fakten, die hängen bleiben.

„Bei einem guten Kompostierbetrieb kann man die Regenwürmer förmlich kauen hören.“

(S.169)

So beschert sie so manchen Aha-Moment, macht aufmerksam und ermutigt die Leserschaft, mit offenen Augen achtsam durch die Welt und vor allem auch durch die nähere Umgebung zu gehen. Sie richtet den Blick auf das zunächst Verborgene, auf das vermeintlich Unscheinbare, das sich schließlich doch als hochinteressant und faszinierend entpuppt.

Ich werde im kommenden Herbst und Winter sicherlich nicht mehr an den üppig bevölkerten „Vor-Übernachtungsbäumen“ (S.31) der Krähen, die es auch in meiner Heimatstadt gibt, mit ihrem lebhaften Lärmen vorbeigehen können ohne an Bjørgaas’ Buch zu denken und mir vorzustellen, worüber sie sich wohl unterhalten bzw. welche wertvollen Informationen da wohl gerade ausgetauscht werden.

Ein durch wunderbare Illustrationen ergänztes, lehr- und aufschlussreiches, aber vor allem inspirierendes Buch, das Neugier weckt und Lust macht, selbst auf Entdeckungstour zu gehen und das aufgrund der Lebensfreude und Begeisterungsfähigkeit der Autorin, die es versteht, den Funken überspringen zu lassen, wirklich für jedermann und jederfrau geeignet ist. Hier kommen alle auf ihre/seine Kosten – egal ob biologisch vorgebildet oder nicht, denn das Buch macht einfach Spaß!

Eine weitere Besprechung gibt es bei Petras Bücherapotheke.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag STROUX Edition, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat und bei Frau Birgit Böllinger, die mich auf das Buch aufmerksam gemacht hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Hanna Bjørgaas, Das geheime Leben in der Stadt –
Nachrichten aus der urbanen Wildnis

Aus dem Norwegischen von Sabine Richter
STROUX Edition
ISBN: 978-3-948065-27-0

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Hanna Bjørgaas’ „Das geheime Leben in der Stadt“:

Für den Gaumen:
Zur skandinavischen Weihnachtsstimmung, die im letzten Kapitel anklingt, das sich im Monat Dezember den Stadtspatzen bzw. -sperlingen widmet, gehören auch duftende Leckereien wie „norwegischer Eierkuchen“ und „Zimtschnecken“ (S.260).

Zum Weiterhören:
Auch der norwegische Komponist Edvard Grieg (1843 – 1907) war ein großer Naturliebhaber und vertonte geradezu die Landschaft und das Licht seiner Heimat in seinen Werken. So wird es wohl auch heute noch kaum jemand geben, der die Morgenstimmung aus der ersten seiner Peer Gynt-Suiten nicht kennt.

Zum Weiterlesen:
Eine andere Art, die schöne norwegische Hauptstadt Oslo literarisch zu entdecken ist Toril Brekkes Roman Ein rostiger Klang von Freiheit, den ich letztes Jahr hier auf der Kulturbowle vorgestellt habe und der die Geschichte einer jungen Frau und ihrer Familie in der wilden Zeit des Jahres 1968 erzählt.

Toril Brekke, Ein rostiger Klang von Freiheit
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
STROUX Edition
ISBN: 978-3948065-22-5

8 Kommentare zu „Streifzüge durch urbane Natur

  1. Liebe Barbara,
    das ist ein Naturbuch für mein Beuteschema und wird sogleich in die Lesewunschliste eingetragen.
    Verbindlichen Dank für die charmante, leichtfüßige und informative Buchempfehlung.
    Herzlich grüßt
    Ulrike

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    1. Vielen lieben Dank, Ulrike. Ich bin mir sicher, dass Du viel Freue an diesem Buch haben wirst. Mich hat faszinierend, wie lebensbejahend und begeisternd die Autorin schreibt und wirklich Lust darauf macht, selbst vor der Haustür mal genauer hinzuschauen. Herzliche Grüße und danke für das schöne Lob, das mich sehr freut. Einen guten Start in die Woche! Barbara

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  2. Pingback: Hanna Bjørgaas

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