Britische Sommerklassiker im Duett

Jetzt wird es aber höchste Zeit, einen längst überfälligen Programmpunkt meiner „23 für 2023“-Liste zu erfüllen. Denn wir haben Ende August, atmen gerade nach einer extremen Hitzewelle ein wenig durch und da ist doch tatsächlich noch das Sommerbuch offen… Aber hier kann – hoffentlich noch rechtzeitig vor einem schönen Spätsommer – für Abhilfe gesorgt werden: Und zwar gleich doppelt mit einem britischen Duett von echten Sommerklassikern, die sich auch noch optisch in der Umschlaggestaltung aufs vortrefflichste und sonnigste ergänzen: eine wunderbare Wiederentdeckung des Romans „Das Fest“ von Margaret Kennedy aus dem Jahr 1950 und Agatha Christies Miss-Marple-Krimi „Karibische Affäre“ von 1964.

Beide Bücher wurden von britischen Autorinnen verfasst, die Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurden: Margaret Kennedy 1896 in London, Agatha Christie 1890 in Torquay. Zudem spielen beide Romane in Hotels und es sind jeweils die Gäste und das Personal, die so manch dunkles Geheimnis verbergen.

Während Christie sich jedoch einen Schauplatz in der Karibik ausgewählt hat, spielt Margaret Kennedys „Das Fest“ an der felsigen Küste Cornwalls. Und auch der zeitliche Hintergrund unterscheidet die Bücher, denn während Kennedy die schwierige und teils ärmliche von Not und Entbehrung geprägte Nachkriegszeit des Jahres 1947 thematisiert, ist in Christies Krimi von 1964 die vornehme und wohlhabende britische Society viele Jahre später sorglos auf Urlaub in der Ferne.

In „Das Fest“ wird das tragische Ende bereits vorweggenommen: Das Hotel Pendizack wird durch einen Felssturz verschüttet und alle im Gebäude verbliebenen Personen werden getötet. Doch es gibt Überlebende, denn all diejenigen, die in der Zeit des Unglücks an einem Fest am Strand teilgenommen haben, sind mit dem Leben davon gekommen.

„Sie hatten noch nie an einem Fest teilgenommen, aber oft davon gelesen. (…) Das Wort „Fest“ weckte in ihnen die schönsten Vorstellungen. Ihr bevorzugtes Spiel war, Feste zu planen, die sie geben würden, wenn sie reich wären.“

(aus Margaret Kennedy „Das Fest“, S.56)

Doch war das wirklich Zufall? Es ist ein bunt gewürfelter, streitbarer und illustrer Personenkreis, der zu dieser Zeit im etwas schäbigen und heruntergekommenen Hotel weilt. Der Krieg hat bei vielen Spuren an Leib und Seele hinterlassen… und besonders harmonisch geht es auch nicht zu. Da gibt es so manche Meinungsverschiedenheit und etliche Reibereien. Auch das Personal ist sich untereinander nicht grün.

„Jeden Morgen schleppe ich mich hin und kann mich abends nicht schnell genug aus dem Staub machen. All der Ärger, diese Streitereien und Widerwärtigkeiten! Es sind nur wenige solche Leute, aber sie machen uns anderen das Leben zur Hölle. Man glaubt es nicht, dass so wenige Menschen so viel Schaden anrichten.“

(aus Margaret Kennedy „Das Fest“, S.369)

Margaret Kennedy, die wie Christie Romane und Theaterstücke schrieb, hat in ihrem Roman die sieben Todsünden (Neid, Völlerei, Habgier, Wollust, Hochmut, Trägheit und Zorn) raffiniert eingeflochten bzw. literarisch verarbeitet und sie legt viele Fährten (im Krimijargon auch rote Heringe genannt) für ihre Leserschaft… da gilt es, die Übersicht zu behalten. Die Lage spitzt sich immer mehr zu und kulminiert in eben jener Feier, dem Höhepunkt des Urlaubs und dem Ereignis, das den TeilnehmerInnen das Überleben sichern wird. Alle anderen werden unter den herabstürzenden Felsen der Klippe begraben.

Für mich waren sowohl die Autorin Margaret Kennedy, die ich vorher nicht kannte und „Das Fest“ eine echte Entdeckung – alles drin, was eine spannende Strandlektüre braucht und schön, dass es jetzt in einer neuen Übersetzung von Mirjam Madlung und in schöner, gelungener optischer Aufmachung auch für deutsche LeserInnen wieder zu einer wohlverdienten Renaissance gelangt.

Ich bin bekennender Miss Marple-Fan – sowohl der Bücher als auch der herrlichen, alten Schwarz-Weiß-Filme – und doch bin ich immer noch in der luxuriösen Lage, noch nicht alles zu kennen bzw. noch nicht alles gelesen zu haben. Es gibt immerhin 12 Kriminalromane und 20 Kurzgeschichten mit ihr als Hauptfigur. So gönne ich es mir von Zeit zu Zeit, wieder ein neues Miss Marple-Abenteuer zu entdecken und zu genießen. Und als mich dieses sommerlich-frohe Urlaubscover von „Karibische Affäre“ spontan anlachte, war das ein untrügliches Signal, dass wieder mal der richtige Zeitpunkt für eine Neuentdeckung aus dem Agatha Christie-Universum gekommen war.

„Nachdem sie nun schon eine Woche hier war, hatte sich Miss Marple den Impuls abgewöhnt, morgens nach dem Wetter zu fragen. Das Wetter war immer gleich – heiter. Keine Abwechslung.“

(aus Agatha Christie „Karibische Affäre“, S.30)

Im Golden Palm Hotel auf den Westindischen Inseln herrscht süßes Dolcefarniente und Miss Marple, welche die Reise von ihrem Neffen geschenkt bekommen hat, langweilt sich schrecklich. Ein Tag gleicht dem anderen und auch die Hotelgäste scheinen auf den ersten Blick nicht besonders interessant zu sein.

„Miss Marple war zu gebührendem Respekt vor der Wahrheit erzogen worden und war auch von Haus aus sehr wahrheitsliebend. Aber bei bestimmten Gelegenheiten konnte sie, wenn sie es für ihre Pflicht hielt, mit erstaunlicher Glaubwürdigkeit lügen.“

(aus Agatha Christie „Karibische Affäre“, S.35/36)

Nur Major Palgrave wirkt etwas schwatzhaft und liegt ihr mit seinen wilden Geschichten in den Ohren. Sogar das Foto eines Mörders wollte er ihr zeigen und dann ist er plötzlich selbst tot und das Bild verschwunden.

„Ja, es passte … Der einzige Einwand war, dass es beinahe zu gut passte. Miss Marple schalt sich für diesen Gedanken – wer war sie denn, dass sie Morde nach Maß verlangen konnte?“

(aus Agatha Christie „Karibische Affäre“, S.73)

Und schon kommt Leben in die Gesellschaft unter karibischer Sommersonne und Miss Marple hat endlich ein Rätsel zu lösen. Doch fern ihres Heimatortes St. Mary Mead ist sie ausnahmsweise ganz auf sich allein gestellt und muss auf ihre gewohnte Umgebung und die Unterstützung ihrer Gefährten verzichten.

„Sie haben Schneid!“, sagte er. „Sie sind überhaupt nicht die sanfte, harmlose alte Dame, nach der Sie aussehen, nicht wahr? Sie denken also wirklich, ich sei ein Mörder?“

(aus Agatha Christie „Karibische Affäre“, S.141)

Ich mag das Zynische, Süffisante und den Humor Agatha Christies, der immer wieder aufblitzt und fand in diesem Fall auch die Urlaubsatmosphäre und das Setting in der Ferienanlage sehr erfrischend.

„Ich habe mir nie viel aus alten Tanten gemacht. Ewig nur Strickzeug und Klatsch. Aber die hier hat was. Sie hat Augen und Ohren und sie benutzt sie.“

(aus Agatha Christie „Karibische Affäre“, S.146/147)

Die ca. 220 Seiten sind somit ein schnelles, kurzweiliges und unterhaltsames Sommerlesevergnügen, das in jedes Reisegepäck passt. Persönlich finde ich es immer entspannend, in Kriminalromane abzutauchen, die ohne Handy, ohne komplexe DNA-Analysen und Obuktionen, ohne großen technischen Schnickschnack und wilde Verfolgungsjagden auskommen – Kriminostalgie ist auch etwas Schönes und dafür ist man bei Miss Marple stets gut aufgehoben.

Weitere Besprechungen zu „Das Fest“ gibt es unter anderem bei Klappentexterin und Buch-Haltung.

Mit Margaret Kennedys „Das Fest“ habe ich einen weiteren Punkt meiner 23 für 2023erfüllt – Punkt Nummer 17) auf der Liste: Ich möchte ein Sommerbuch lesen. Beide Bücher (auch das von Christie) passen hervorragend in den Sommer und eignen sich bestens als spannende Strandlektüre.

Und weil wir gerade dabei sind: mit Agatha Christies „Karibische Affäre“ habe ich sogar noch einen weiteren Punkt meiner 23 für 2023erfüllt – Punkt Nummer 5) auf der Liste: Ich möchte ein Buch aus den 60er Jahren lesen. Der neunte Kriminalroman mit Jane Marple als Ermittlerin erschien 1964.

Buchinformationen:
Margaret Kennedy, Das Fest
Aus dem Englischen von Mirjam Madlung
Schöffling&Co.
ISBN: 978-3-89561-079-0

Agatha Christie, Karibische Affäre
Aus dem Englischen von Christa Broermann
Atlantik / Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3-455-65008-2

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Wozu inspirierten bzw. woran erinnerten mich die beiden britischen Sommerklassiker:

Für den Gaumen (I):
Eine der sieben Todsünden ist bekanntlich auch die Völlerei und so manche Figur in „Das Fest“ hat eine besondere Vorliebe für „Mäusespeck“ (Margaret Kennedy „Das Fest“, S.156), der in Nachkriegszeiten gar nicht so leicht zu bekommen ist.

Anders sieht es hingegen mit dem Fangerfolg aus:

„Sie fischten und fischten, vor der Pendizack- und der Rosigraille-Bucht hin und her kreuzend, und in weniger als zwei Stunden hatten sie siebenundzwanzig Makrelen gefangen.“

(aus Margaret Kennedy „Das Fest“, S.215)

Für den Gaumen (II):
Kulinarisch exotischer geht es natürlich in der Karibik zu, sowohl beim abendlichen Cocktail mit „Planter’s Punch“ und „frisch gepresster Limette“ (Agatha Christie „Karibische Affäre“, S.18) als auch beim Frühstück:

„Miss Marple ließ sich das Frühstück ans Bett bringen, wie immer. Tee, ein weich gekochtes Ei und eine Scheibe Papaya.“

(aus Agatha Christie „Karibische Affäre“, S.30)

Zum Weiterhören:
Musikalisch wird es ebenso karibisch, denn allabendlich spielt im „Golden Palm Hotel“, in dem Miss Marple zu Gast ist, eine Steelband. Die Steel Pans oder Steel Drums hatten ihren Ursprung in Trinidad und Tobago während der Dreißiger Jahre (wie sich hier auf Wikipedia nachlesen lässt.)

Zum Weiterlesen:
Im letzten Jahr hatte ich Hercule Polrot einen expliziten Blogbeitrag hier auf der Kulturbowle gewidmet, denn ich hatte sowohl seinen ersten als auch seinen letzten Fall direkt in Kombination gelesen: Das fehlende Glied in der Kette und Vorhang – ebenso ein besonderes Lesevergnügen, das ich Agatha Christie-Fans uneingeschränkt empfehlen kann.

Agatha Christie, Das fehlende Glied in der Kette
Aus dem Englischen von Nina Schindler
Atlantik / Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3-455-65052-5

Agatha Christie, Vorhang
Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini
Atlantik / Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3-455-00872-2

3 Kommentare zu „Britische Sommerklassiker im Duett

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