Noch einmal siebzehn Jahre alt sein? Wäre das erstrebenswert oder möchte man die Lebenserfahrung, die man mittlerweile gesammelt hat, dann doch nicht mehr missen? Mit Anke Krügels Roman „Mensch, Manu!“ taucht man ab in den Kosmos und die Gefühlswelt einer Siebzehnjährigen, aber vor allem auch in die ereignisreichen, geschichtsträchtigen Jahre 1988 und 1989 in Strausberg – einer brandenburgischen Kleinstadt vor den Toren Berlins.
Manu Busch ist die Tochter eines Offiziers und einer Lehrerin, sie ist begabt, gut in der Schule, eine leidenschaftliche Tänzerin und findet, dass es jetzt mit siebzehn Jahren mehr als an der Zeit ist für die erste Liebe.
„Vielleicht ist nicht immer das, was man kann, auch das, was man will. Und wenn man vieles gut kann, was war dann das Richtige? Ich liebte Bücher, rannte so oft es ging ins Theater, hatte mein Leben lang Geräteturnen und Ballett trainiert. Aber ich nahm auch jedes Jahr wieder an der Kreis-Matheolympiade teil.“
(S.15)
Neben der Penne, die sie seit kurzem besucht, verbringt sie ihre Zeit gerne mit Freundinnen beim Tanztraining oder besucht die Disko im Strausberger Volkshaus – natürlich stets mit wachsamen Auge, ob sich nicht endlich der „Richtige“ findet. Kandidaten gäbe es da so einige… doch wird sie endlich erhört werden?
„Und wer mit Einsen in allen Fächern glänzte, der sollte was Anständiges studieren. Dabei waren es die unanständigen Sachen, die mich interessierten. Theater, Literaturwissenschaften, so etwas.“
(S.16)
Alles im Leben der Siebzehnjährigen scheint einer Suche zu gleichen: die Suche nach dem ersten Freund, der richtigen Berufswahl, der eigenen Persönlichkeit.
Alles reichlich kompliziert, wie die Zitate, die sie in ihre Notizhefte notiert oder wie in den Songtexten ihrer Lieblingsstücke, die Manu rauf und runter hört und zu denen sie im Volkshaus tanzt. Sie beinhalten all das Gefühlschaos, den Liebeskummer, die Sehnsucht nach dem Aufbruch ins selbstbestimmte Leben.
„Manchmal möchte ich den Moment anhalten. Gar nicht wissen, was morgen kommt. Glück, das hieß doch wohl nicht, alles zu planen und auf Nummer sicher zu gehen. Warum soll ich heute grübeln, ob wir morgen noch zusammen sein werden?“
(S.229)
Und dann spitzen sich nicht nur die privaten, sondern auch die politischen Verhältnisse im Land immer mehr zu, die Ereignisse überschlagen sich und plötzlich ist die Mauer offen und nichts mehr wie vorher.
„Na eben, Mutti war in Berlin aufgewachsen und hatte Erinnerungen an die Zeit vor der Grenzschließung, als Berlin noch eine einzige Stadt war. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Sie musste es anders sehen als ich, die ich den Westen nur von Bildern aus dem Fernsehen kannte, und diese Bilder waren von Berichterstattern ausgewählt worden und hatten nicht mit Menschen zu tun, die ich kannte.“
(S.324)
Anke Krügel hat mit viel Liebe zum Detail die Stimmung und das Zeitgefühl der Wendezeit wunderbar eingefangen – von der Musik, die eine sehr wichtige Rolle spielt, über die Mode, die Getränke, Gerichte und auch in der Sprache hat sie großen Wert auf Authentizität gelegt.
Flapsig, frisch, frech – stilistisch und sprachlich hat Krügel die Sprache der Jugendlichen in der DDR der Achtziger gewählt, um Manus Geschichte so authentisch wie möglich zu erzählen. Zudem erfährt man bei der Lektüre auch einiges über das Schulleben, Freizeitaktivitäten, FDJ-Veranstaltungen und das Leben eines Teenagers in der Endphase der DDR.
Vor allem aber den Alltag, die Gedankenwelt und die Achterbahnfahrt der Gefühle einer Siebzehnjährigen, die wohl unabhängig jeder Grenzen alle jungen Menschen verbindet, hat sie so glaubhaft eingefangen, dass man sich immer wieder selbst ertappt und an das eigene siebzehnjährige Ich erinnert fühlt. Was bedeutet es, jung und zum ersten Mal verliebt zu sein.
Das Bangen, ob das endlich etwas wird mit dem Richtigen und über allem schwebt die Verunsicherung, wohin die ganzen Veränderungen führen werden.
Für Manu – die stellvertretend für eine ganze Generation gesehen werden kann – wird Erwachsenwerden und Mauerfall wohl für immer untrennbar miteinander verbunden bleiben, denn das Jahr 1989 bescherte ihr mehr als nur eine schicksalsträchtige Wende.
Für mich, die im Gegensatz zu Manu etwas später in der BRD geboren und aufgewachsen ist, war es spannend, über die geschichtlichen Ereignisse aus dieser Perspektive zu lesen – Parallelen und Unterschiede zu entdecken.
„Mensch, Manu!“ ist ein authentisches Buch für junge und junggebliebene Menschen, das die großen Themenkreise des Erwachsenwerdens in einen zeitgeschichtlich hochinteressanten Kontext setzt – offen und ohne Scheu erzählt die Autorin, wie es war als Siebzehnjährige in der DDR, als die Mauer fiel. Gefühlsgeladen und berührend.

Buchinformation:
Anke Krügel, Mensch, Manu!
Books on Demand
ISBN: 978-3-7504-0440-3
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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Anke Krügels „Mensch, Manu!“:
Für den Gaumen:
Als Kult-Party-Cocktail der Achtziger Jahre galt „Grüne Wiese“ (S.56) – gemischt aus Blue Curacao, Orangensaft und Sekt – die auch im Strausberger Volkshaus ausgeschenkt wird. Da schadet es nicht, eine gute Unterlage zu schaffen, z.B. mit Manus Lieblingsessen „Buletten mit Kartoffelbrei, zerlassene Butter und Sauerkraut“ (S.138)
Zum Weiterhören:
Anke Krügels Buch ist durchzogen und wird getragen von Musik. Musik transportiert Emotionen und anhand von Songtiteln aus dem Jahr 1988 wie Robin Beck „First time, first love“ (S.301), Herbert Grönemeyers „Vollmond“ (S.81) oder Rainhard Fendrichs „Macho, Macho“ (S.97) kann man wunderbar in Erinnerungen schwelgen und die Jugendzeit wieder lebendig werden lassen.
Zum Weiterklicken:
Auf das Buch aufmerksam und neugierig geworden, bin ich durch Ankes herzerfrischenden Blog „Tuttopaletti“, auf dem sie nicht nur lebendig und unterhaltsam über ihr heutiges Leben in Italien, kulturelle Unterschiede zwischen Italien und Deutschland, ihre Liebe zur Musik, sondern von Zeit zu Zeit auch über ihre Jugend im brandenburgischen Strausberg – 35 km nordöstlich von Berlin – erzählt. Wer ihre Blogbeiträge verfolgt, kann so bei der Lektüre von „Mensch, Manu!“ auch immer wieder einiges von Anke in Manu erkennen und entdecken.
Zum Weiterlesen:
Maxim Leo – 1970 in Ost-Berlin geboren – gehört der ähnlichen Generation an wie Manu und Anke (Jahrgang 1972). Er hat sich in seinem Hochstapler-Roman „Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse“, den ich hier auf der Kulturbowle vorgestellt habe, ebenfalls mit zahlreichen Aspekten deutsch-deutscher Geschichte auseinandergesetzt.
Maxim Leo, Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-00084-9
Ein Kommentar zu „Mit Siebzehn“