Dem Januar wohnt ja oft der vielzitierte Hesse’sche „Zauber des Anfangs“ inne und man tastet sich hinein in ein neues Jahr, hat zu Beginn vielleicht Momente der Ruhe, um sich zu sortieren, sich über manches klar zu werden und eventuell auch den einen oder anderen Plan zu schmieden – das Wort „Vorsatz“ verwende ich jetzt bewusst einmal nicht – bevor dann oft auch der Alltag schnell wieder hereinbricht.
Vielleicht beteiligt man sich am „Dry January“, d.h. verzichtet auf Alkohol und trinkt mehr Tee oder trotzt mit anderen Mitteln der Kälte und dem Winter.
Sich selbst etwas Gutes tun, wenn es draußen zum Teil mit Frost, Raureif oder gar gefährlichem Glatteisregen ganz schön unwirtlich war:
Was wärmt da die Seele mehr als Kultur bzw. ein schöner Theaterbesuch?
In meinem Fall ging es in die Oper und zwar in Gaetano Donizettis „Der Liebestrank“ („L’elisir d’amore“) im Landestheater Niederbayern. Eine stimmige, lebendige und humorvolle Inszenierung, die den Schauplatz in den „Wilden Westen“ verlegte, hervorragende Gesangsleistungen eines gut aufgelegten, spielfreudigen Ensembles, großartige Musik kombiniert mit zauberhaften Bildern, die sich einbrennen und lange nachhallen. Ein perfekt gelungener Start ins Theater- und Opernjahr!
Und weil Vorfreude ja bekanntlich die schönste Freude ist, gab es auch noch einen Appetitanreger, denn ich durfte bei der Pressekonferenz zu „Die Wanderhure“ – dem Großprojekt des Theater Nikola in diesem Jahr – bereits erste Einblicke ins Konzept der Inszenierung, das Bühnenbild und die Besonderheiten des Projekts erhalten und hier auf meiner Bowle darüber berichten.
Und auch eine Fernsehempfehlung im Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar kann und möchte ich noch geben: Auf 3Sat wurde der sehenswerte, österreichische Fernsehfilm „Die Kinder der Villa Emma“ ausgestrahlt, der noch bis 27.04.2024 in der 3Sat Mediathek verfügbar ist und der die Geschichte einer Gruppe jüdischer Wiener Kinder und Jugendlicher erzählt, die ihre abenteuerliche und gefährliche Flucht über Zagreb und Italien letztlich in die Schweiz und in Sicherheit führte.
Vor einiger Zeit bin ich im Netz auf folgendes Zitat aufmerksam geworden und finde es sehr treffend:
“Think not of the books you’ve bought as a ‘to be read’ pile. Instead, think of your bookcase as a wine cellar. You collect books to be read at the right time, the right place, and the right mood.”
(Luc van Donkersgoed)
Die eigene Buchsammlung noch ungelesener Schätze nicht als schnellstmöglich abzubauende Belastung, sondern als feinen Vorrat im Sinne eines Weinkellers zu betrachten, aus dem man sich zu gegebenem Moment das Richtige auswählen und genießen kann, finde ich wunderbar.
Und in diesem Sinne habe ich diesen Monat „Kellerlese“ betrieben, denn ich habe – bis auf ganz wenige Ausnahmen – aus meinem Bestand heraus (und nein, die Bücher waren natürlich nicht physisch im realen Keller, sondern nur im bildlich gesprochenen „Weinkeller“) gelesen und da sind wirklich herausragende Leseerlebnisse dabei gewesen. Von exquisiten Krimis bis Kunst, von interessanten Denkanstößen bis zu kleinen, feinen und dicken, großartigen Romanen, vom zeitlosen Klassiker bis zur druckfrischen Neuerscheinung war alles dabei.
Etwas Zeit benötigt man für die ca. 870 Seiten des beeindruckenden Debütromans „Gesammelte Werke“ der Schwedin Lydia Sandgren, welche die Geschichte einer Göteborger Verlegerfamilie erzählt. Doch es ist gut investierte Zeit, denn sie wird mit einem beglückenden und sehr stimmigen Leseerlebnis belohnt. Eine Geschichte über Liebe und Freundschaft, aber zugleich auch eine Studie des schwedischen Künstler- und Intellektuellenmilieus mit viel Liebe zum Detail und einer fein gearbeiteten Sprache, die sich mit großem Genuss liest.
2024 ist Caspar David Friedrich-Jahr anlässlich des 250. Geburtstages mit großen Ausstellungen u.a. in Hamburg, Berlin, Greifswald und Dresden und natürlich mit dem aktuellen Spiegel-Bestseller im Bereich Sachbuch von Florian Illies „Zauber der Stille“. Anhand der vier Elemente versucht der Kunsthistoriker in seinem ihm typischen kaleidoskopartigen Stil, die Faszination zu erklären, die Friedrichs Kunstwerke heute noch ausüben und erzählt anhand von Anekdoten und kurzen Momentaufnahmen die Lebensgeschichte des Künstlers und auch die Rezeptionsgeschichte seiner Werke bzw. über deren Verbleib (oder leider auch Zerstörung).
Als literarische Begleitung für einen „Dry January“ ist Daniel Schreibers „Nüchtern“ als eindrücklicher und klarer Bericht über den gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol und Alkoholkranken eine hochinteressante und aufschlussreiche Lektüre. Er beschreibt seinen persönlichen Weg aus der Abhängigkeit und wie sehr das Thema in Deutschland nach wie vor tabuisiert und bagatellisiert wird. Untermauert mit wissenschaftlichen Fakten und Studien zu Alkoholkonsum und -missbrauch ein sehr informatives und doch auch äußerst intimes, mutiges Werk des Autors über ein wichtiges Thema.
Meine neueste Krimientdeckung der letzten Zeit ist zweifelsohne die Britin Nicola Upson mit ihrer großartigen Krimireihe, in der sie Josephine Tey (ebenfalls Krimiautorin und wohl auch Vorbild) zu einer der Ermittlerfiguren macht. Mit „Dorf unter Verdacht“ habe ich jetzt bereits das dritte Buch von ihr gelesen und war wieder aufs Neue begeistert. Die Autorin greift mit der Thematik, dass Londoner Kinder während des zweiten Weltkriegs zu ihrer Sicherheit aufs Land gebracht und von den Eltern getrennt wurden, ein interessantes geschichtliches Kapitel auf und hat zudem erneut einen spannenden Krimi mit viel Herz und Verstand geschrieben, der sich hervorragend liest.
Und auch einen weiteren, erstklassigen Krimi von eben jener Josephine Tey durfte ich diesen Monat noch genießen: Auch „Wie ein Hauch im Wind“ spielt in einem englischen Dorf, allerdings in einer idyllischen und illustren Künstlerkolonie, in der ein geradezu überirdisch schöner amerikanischer Starfotograf plötzlich spurlos verschwindet. Niveauvolle, kluge und sehr amüsante Krimiunterhaltung vom Feinsten!
Dann durfte ich zwei großen skandinavischen Autorinnen huldigen, die sich mit ihrem Werk auch sehr dem anspruchsvollen Publikum der Kinder gewidmet haben: Die Finnlandschwedin und Schöpferin der Mumins Tove Jansson – hier habe ich der Jahreszeit entsprechend „Das Winterbuch“ gelesen, bevor ich mich dann von Astrid Lindgren in „Das entschwundene Land“ entführen ließ, in dem sie über die Liebesgeschichte ihrer Eltern und ihre eigene Kindheit in Schweden schreibt. Herzerwärmende Winterlektüre!
Und es war wieder mal Zeit für einen weiteren Klassiker und zwar ebenfalls von einer Frau verfasst: Virginia Woolfs „Orlando“ hat mich aufgrund der Zeitlosigkeit und der Modernität begeistert und in Kombination mit Katja Kulins biografischem Roman „Geliebte Orlando“, in dem man die Hintergründe des Werks und die Lebens- und Liebesgeschichte von Virginia Woolf und Vita Sackville-West (alias Orlando) erfährt, war dies eine in jeglicher Hinsicht unterhaltsame, interessante und faszinierende Leseerfahrung.
Aus Sicht eines Südtiroler Jungen erzählt Sepp Mall in seinem Roman „Ein Hund kam in die Küche“ über ein dunkles Kapitel der Geschichte: denn er muss mit seiner Mutter im Rahmen der Option die Heimat verlassen und ins deutsche Reich auswandern. Zugleich muss er den Verlust seines kleinen Bruders verkraften, der aufgrund seiner Behinderung von der Familie getrennt und in ein Heim gebracht wird. Traurig, berührend, herzzerreißend und meiner Meinung nach zu Recht auf der Longlist des deutschen Buchpreises 2023!
Mich persönlich nicht so sehr erreichen konnte hingegen leider Kenah Cusanits Roman „Babel“ aus dem Jahr 2019. Vielleicht ein bei mir sehr seltener Fall vom guten Buch zur falschen Zeit – die Geschichte rund um die Archäologen bzw. die Ausgrabungen Babylons 1913 lief leider weitestgehend an mir vorbei ohne tiefere Spuren zu hinterlassen. Kann mal passieren und soll definitiv auch nicht gegen diesen Roman sprechen.
Ein Buch, an dem man in der letzten Zeit jedoch sicherlich aufgrund des großen Medien- und Blogger*inneninteresses nicht vorbeikam – und das vollkommen verdientermaßen wie ich nun aus eigener Warte bestätigen kann – war und ist Helga Schuberts „Vom Aufstehen“. Annas zauberhaftes Fundstück auf ihrem Blog Buchpost gab mir endlich den notwendigen liebevollen Stups, diesen Schatz aus dem Weinkeller – äh, ich meinte natürlich dem Bücherregal – zu holen, wo es schon eine Weile wartete. Und schön war’s bzw. ein klarer Fall vom richtigen Buch zur richtigen Zeit.
Und nachdem der Krimihunger immer noch nicht gestillt war, gab es mit Benjamin Stevenson „Die mörderischen Cunninghams – Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen“ und dem Agatha Christie-Klassiker „Und dann gab’s keines mehr“ noch zwei Werke, die sich im ersten Fall auf sehr augenzwinkernde und im zweiten Fall auf sehr raffinierte Art und Weise den „Zehn Geboten zum Schreiben eines Kriminalromans“ von Ronald Arbuthnott Knox bzw. des Detection Clubs unterordnen, dem u.a. auch Christie und Dorothy L. Sayers angehörten.
Und sehr spannend zu lesen war – last but not least – auch die abenteuerliche Geschichte und wahre Begebenheit, die Anja Scherz in ihrem Buch „Goldstein – Ein phantastisches Leben“ erzählt. Die Journalistin hat sich kurz nach dem Tod des Schauspielers und Schauspieldozenten Raphael-Maria Goldstein im Auftrag der Witwe auf Spurensuche begeben und entdeckt in den autobiografischen Aufzeichnungen des Mannes, der behauptete der Halbbruder Anne Franks zu sein, viele Punkte, die es zu recherchieren, zu prüfen, zu bestätigen oder gegebenenfalls auch zu widerlegen gilt. Hierzu werde ich in Kürze sicher noch ausführlicher berichten.
Und für alle, die jetzt immer noch ein weiteres Argument brauchen, um guten Gewissens zum Buch zu greifen, hier noch ein Zitat der wunderbaren und von mir hoch geschätzten Astrid Lindgren:
„Nehmt zehn jetzt lebende Menschen, die ihr hoch schätzt und von denen ihr meint, dass sie wirklich etwas für die Menschheit geleistet haben, geht zurück in ihre Kindheit, blättert die Jahre um, und ich bin davon überzeugt, ihr findet zehn kleine Leseratten.“
(aus Astrid Lindgren „Das entschwundene Land“, S. 85)
Was bringt der Februar?
Neben vielversprechenden Büchern stehen vor allem zwei ganz besondere Theaterereignisse schon fix auf meinem Programm, auf die ich mich riesig freue:
In der „Bühne am Schardthof“ in Essenbach kommt mit „Drei Männer im Schnee“ eines meiner absoluten Herzenswerke (hier findet ihr meinen Herzbowle-Beitrag zu Kästners Roman) auf die Bühne – gespielt vom Theater Konrad. Mein Theater- und Kästnerherz hüpft jetzt schon…
Und auch im Landestheater Niederbayern wird diesen Monat eine ganz besondere, um nicht zu sagen sensationelle Premiere bzw. Uraufführung gefeiert werden. Denn Intendant Stefan Tilch hat dem bekannten Schauspieler Dieter Fischer gleichsam ein Stück auf den Leib geschrieben: die Komödie „Sahneschnitte“.
Fischer hat seine Schauspielkarriere am Landshuter Theater begonnen, bevor er später durch Fernsehserien wie „Der Kaiser von Schexing“ und vor allem „Die Rosenheim Cops“ bundesweit bekannt wurde. Schön, dass er jetzt für diese Produktion wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt – das wird bestimmt ein unvergessliches Theatererlebnis bzw. ein süßes Bühnenschmankerl werden.
In diesem Sinne wünsche ich allen einen schönen, genussreichen und friedlichen Februar (dieses Jahr ja in Überlänge dank Schaltjahr) mit guten Büchern, begeisternden Kulturerlebnissen und vielleicht auch dem einen oder anderen Augenblick des Innehaltens bzw. „Berggipfelmoment“!
„Das Leben hält so wenige Berggipfelmomente bereit: in Frieden von einer Höhe aus Ausschau zu halten.“
(aus Katja Kulin „Geliebte Orlando“, S.241)
Die ausführlichen Rezensionen sind jeweils auf den farbig hinterlegten Titeln verlinkt und ein Klick führt direkt zum jeweiligen Beitrag, wo dann auch die entsprechenden bibliographischen Angaben zu finden sind.
Gaumen-Highlight Januar:
Manchmal sind es ja gerade die einfachen Dinge, die so gut sein können, wie zum Beispiel ein Frühstücksbrot à la Paddington Bear. Was das ist? Ein gutes Sauerteigbrot mit Butter und Bitterorangenmarmelade. Es muss ja nicht vorher unter dem Hut versteckt worden sein.
Musikalisches im Januar:
Immer noch klingt die schöne Donizetti-Oper „Der Liebestrank“ bzw. „L’elisir d’amore“ in mir nach – und nicht nur die bekannteste Arie „Una furtiva lagrima“, sondern das Stück in seiner Gesamtheit hat mich diesen Monat begeistert.









Ein Winterabend
Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.Wanderer tritt still herein;
(Georg Trakl, 1887 – 1914)
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.
Danke für den Winterabend, liebe Barbara,
mit dem Gedicht von Trakl sowie Deinen Lektüren und Aussichten.
Gute Zeit im Februar und schöne Grüße
Bernd
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Lieber Bernd,
Gern geschehen und vielen lieben Dank für Deine Rückmeldung.
Auch wenn sich die Abende aktuell Anfang Februar gerade nicht so winterlich zeigen, im Januar hatten wir ja doch einiges an Frost und Eis.
Ich wünsche Dir ebenfalls einen guten Februar und sende herzliche Grüße nach Nürnberg!
Barbara
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Das Zitat von Luc van Donkersgoed gefällt mir sehr. Die Idee eines „SuB“, den es möglichst schnell „abzubauen“ gilt, um irgendwelche Leseziele zu erreichen, finde ich ziemlich befremdlich.
Hab einen schönen Sonntag (zum Lesen ist es heute ja geradezu perfekt, weil einen wirklich nichts nach Draußen zieht)!
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Dankeschön, Christoph. Es freut mich sehr, dass Dir das Zitat und der Gedanke dahinter ebenso gut gefällt wie mir. Ja, dieser Sonntag kann ein idealer Lesesonntag werden. Ich habe heute Morgen ein Buch beendet und freue mich jetzt schon auf den Moment, wenn ich das nächste frisch beginnen kann. Die Wahl ist schon getroffen. Und auch bei jedem neuen Buch greift bei mir dieser „Zauber des Anfangs“, wenn man gespannt sein darf, was einen erwartet… Dir auch einen gemütlichen Lesesonntag und ganz herzliche Grüße nach Franken! Barbara
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Hab so so gerne deinen Januar-Rückblick gelesen. Und wie schön dieser Gedanke dass die Regale gut gefüllten Weinkellern gleichen und nicht möglichst schnell abzubauenden Altlasten. Du sprichst mir hiermit aus dem Herzen:
„Die eigene Buchsammlung noch ungelesener Schätze nicht als schnellstmöglich abzubauende Belastung, sondern als feinen Vorrat im Sinne eines Weinkellers zu betrachten, aus dem man sich zu gegebenem Moment das Richtige auswählen und genießen kann, finde ich wunderbar.“
Finde ich auch wunderbar – Dir ganz liebe Grüße .)
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Dankeschön, liebe Sabine. Es ist schön, hier auf dem Blog Gleichgesinnte zu treffen und zu lesen und auf diese Weise zu spüren bzw. Bestätigung zu bekommen, dass man mit dieser ausgeprägten Liebe zu Büchern nicht alleine ist. Ich freue mich über meine Bücherschätze und bin froh, dass der Buchvorratsschrank bzw. die Regale und Stapel gut gefüllt sind und so immer eine verlockende Auswahl für die nächste Lektüre bieten. Um das richtige Buch im richtigen Moment zu finden, da darf die Auswahl ja gerne ein bisschen größer sein. 🙂Liebe Grüße und einen wunderbaren Sonntag! Barbara
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