Tatort Thalia Theater

Hamburg, Zwanziger Jahre, ein Theaterkrimi, der im weltberühmten Thalia Theater spielt – da lasse ich mich doch nicht lange bitten. Zumal es auch noch die gelungene Fortsetzung der Krimireihe um Kommissar Jakob Mortensen ist, bei welcher ich schon den ersten Band „Mord im Gängeviertel“ gern gelesen und hier auf dem Blog vorgestellt habe.

1921 galoppiert die Inflation, doch im Hamburger Thalia Theater werden trotz allem rauschende Künstlerfeste gefeiert. Als jedoch während eines solchen plötzlich ein Bildhauer und Maler tot aufgefunden wird, hat Kommissar Jakob Mortensen keine Zeit zu feiern, sondern muss Mordermittlungen aufnehmen.

„Längst hatte sich das Ha-Ka zum beliebtesten Treffpunkt für Künstler entwickelt, vor allem für Schauspieler, Literaten, Maler und Bildhauer. Die hiesige Boheme hatte in diesem Hof ihren Anlaufpunkt gefunden. Mancher kreative Geist sah im Ha-Ka eine Art zweites Wohnzimmer. Frollein Anna kannte sie alle, samt ihren Marotten, Schurrigkeiten, Vorlieben und Geldnöten.“

(S.9)

Der Fall führt ihn weit hinein ins Hamburger Künstlermilieu und er begegnet schillernden und charismatischen Persönlichkeiten.
Eine davon ist Alina Krylow, eine wahre Sirene, die nahezu allen Männern in ihrer Nähe den Kopf verdreht, und deren besonderem Zauber schließlich auch Mortensen erliegt.

„War Montag der richtige Tag für eine Liebeserklärung?“

(S.207)

So setzt er letztlich nicht nur seinen Beruf als Polizist, sondern auch seine Beziehung aufs Spiel. Ein Tanz auf dem Vulkan beginnt und schnell verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Politik…

Für mich ist auch dieser Band von Hartmut Höhne wieder so viel mehr als ein Hamburg-Krimi, er ist eine Zeitreise. Eine sinnliche, atmosphärische Zeitreise mit detailverliebten Milieuschilderungen, die mitnimmt ins Hamburg der Zwanziger Jahre, ins Hamburg der Inflation und vor allem auch eine Reise in die Künstlerszene der damaligen Zeit.

„Und wer weiß, wenn man sich mit dieser Art zu malen erst einmal näher beschäftigte, konnte es durchaus zu überraschenden Erkenntnissen kommen. Vielleicht sollte man in dieser verrückten Zeit des Umbruchs endlich aufhören, sich in den immer gleichen, gewohnten Bahnen zu bewegen.“

(S.70)

Ich habe viel erfahren über die Hamburger Sezession, die sich 1919 gründete (einige Jahre später als die wohl bekanntere Wiener Secession) und zu deren Vertretern unter anderem Anita Rée oder Emil Maetzel zählten. Die Künstlerfeste der Sezession, die oft mehrere Tage dauerten, galten als legendär.

„Der Vorsitzende des Festkomitees, der Bildhauer Paul Hamann, stellte sich und die anwesenden Kollegen kurz vor. Die Maler Emil Maetzel, Otto Tetjus Tügel und Willy Davidson waren da, ebenso wie Professor Richard Luksch, der für die Raumgestaltung verantwortlich war. Des Weiteren war Rosa Schapire gekommen, die als literarisches Mitglied der Sezession vorgestellt wurde.“

(S.91)

Und ich habe erste Einblicke in die Stilrichtung des Suprematismus erhalten.
Gerade solche zeitgeschichtlichen und kulturellen Querbezüge und Hintergründe machen in meinen Augen „Mord am Thalia“ so interessant.

Das Thalia Theater – heute eines der drei Hamburger Staatstheater – gehört zweifelsohne zu den führenden Bühnen Deutschlands. Es macht Spaß, mit Jakob Mortensen ein wenig hinter die Kulissen dieser Institution blicken zu können und etwas über die Geschichte des Traditionshauses zu erfahren.

„Kurz darauf gingen sie durch den Eingang am Alstertor ins Thalia Theater. Der Neubau des Theaters an dieser Stelle war noch keine zehn Jahre alt, 1912 war er eingeweiht worden. Der Vorgängerbau hatte direkt gegenüber gelegen.“

(S.105)

Neben den gut recherchierten, historischen Hintergründen, kommt aber auch die Krimihandlung und die private Entwicklung der Hauptfigur Jakob Mortensen und seiner Kollegen nicht zu kurz. Dem Autor gelingt hier eine gute Balance aus Krimi, Hamburger Geschichte und sympathischen Figuren, die sich sehr flüssig und kurzweilig einfach mal hervorragend wegschmökern lässt.

Und es ist ein Buch, das Lust macht, weiter zu recherchieren, sich Werke der genannten Künstler und Künstlerinnen anzusehen, Wikipedia zu befragen und sich zum Beispiel über das Thalia Theater näher zu informieren. Es darf durchaus positiv bemerkt werden, wenn ein Krimi auf diese Weise die Neugier weckt.

So macht Hartmut Höhne definitiv Lust auf mehr Mortensen, mehr Hamburg, mehr Zeitgeschichte der Zwanziger (oder Dreißiger Jahre) und auf neue Fälle der Reihe. Eine Fortsetzung ist daher mehr als wünschenswert und ich bin bei einem etwaigen nächsten Fall sicher wieder mit dabei.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Gmeiner Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Hartmut Höhne, Mord am Thalia
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-0716-1

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Mord am Thalia“:

Für den Gaumen (I):
Kaum ein Gebäck ist wohl so mit Hamburg verbunden wie… – ratet mal – …
genau das „Franzbrötchen“.

„Aus seiner Aktentasche zog er eine Papiertüte mit acht Franzbrötchen.“

(S.179)

Rezepte zum Selberbacken finden sich unter anderem bei Zimtkeksundapfeltarte.

Für den Gaumen (II):
Mortensens Mutter kocht bodenständig und nahrhaft:

„Es gibt falschen Hasen mit Kartoffeln und Erbsen.“

(S.82)

Für den Gaumen (III):
Die Spannbreite der alkoholischen Getränke ist relativ weit und trifft unterschiedliche Geschmacksrichtungen:
So wird in der Ha-Ka (der Hamburger Kammerspieleklause) – einem beliebten Künstlertreffpunkt „Sahnelikör“ (S.13) ausgeschenkt, während Jakob Mortensen, der dänische Wurzeln besitzt, zu Hause eher auf „Aquavit aus der dänischen Heimat“ (S.88) schwört.

Zum Weiterklicken:
Auf der Homepage der Stadt Hamburg kann man auch mehr über die Geschichte des Hauses erfahren und u.a. nachlesen, dass das Gebäude im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, zunächst 1946 provisorisch wiederöffnet und erst 1960 als restauriertes Haus wiedereröffnet wurde.

Zum Weiterlesen bzw. vorher lesen:
Mord am Thalia ist bereits der zweite Fall um den Kommissar Jakob Mortensen. Er kann sicherlich auch ohne Vorkenntnisse gelesen werden, aber man würde etwas verpassen. Denn auch der erste Band, der im Jahr 1919 während der Hamburger Sülzeunruhen spielt und den ich auch bereits hier auf dem Blog vorgestellt habe, ist spannend zu lesen und bringt Licht in ein vielleicht weniger bekanntes Kapitel der Hamburger Stadtgeschichte.

Hartmut Höhne, Mord im Gängeviertel
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-0175-6

9 Kommentare zu „Tatort Thalia Theater

    1. Mir waren die Sülzeunruhen vor der Lektüre von „Mord im Gängeviertel“ kein Begriff, aber umso spannender ist es, bei der Krimilektüre eben auch noch etwas Neues zu lernen. Es freut mich sehr, wenn ich Deine Neugier wecken konnte. Herzliche Herbstgrüße!

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  1. Diese Rezension meines Krimis „Mord am Thalia“ ist einfach großartig, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Die Freude ist riesig und wird lange anhalten. Wie schön, dass Du nicht nur die Mordgeschichte, sondern auch das Drumherum magst. Eine atmosphärische Dichte ist mir wichtig. Vielen herzlichen Dank und alles Liebe, Hartmut

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    1. Die Freude ist ganz auf meiner Seite, lieber Hartmut. Mit einem Theaterkrimi, in der wunderbaren Stadt Hamburg und dann auch noch mit zeitlichem Hintergrund der Zwanziger Jahre und vielen geschichtlichen und künstlerisch-kulturellen Querbezügen, da hast Du bei mir gleich in mehrerlei Hinsicht voll ins Schwarze getroffen. Ich habe „Mord am Thalia“ sehr, sehr gerne gelesen. Daher teile ich die Lesefreude hier gerne, wünsche von Herzen viel Erfolg mit diesem Krimi und hoffe auf eine Fortsetzung (aller guten Dinge sind ja bekanntlich mindestens drei!)! Herzliche Grüße, Barbara

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  2. Der Folgeband ist in Arbeit, ich hoffe, dass er auch veröffentlicht wird. Es dauert aber noch etwas. Danke für die Glückwünsche, liebe Barbara, und Dir herzlich alles Gute und, bei Deinem breit gestreuten kulturellem Interesse, viel Freude und Neugier beim Entdecken neuer künstlerischer Positionen. Ich freue mich schon auf Deine nächsten Rezensionen, Hartmut

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