Töchter des Hauses Mann

Es gibt wohl kaum eine zweite Künstlerfamilie, die in Deutschland solche Bekanntheit und Aufmerksamkeit sowohl zu Lebzeiten als auch heutzutage genoss wie die Manns. Doch nicht nur der literarische Einfluss der Brüder Heinrich und Thomas war groß, sondern auch die nächste Generation setzte ihre eigenen Akzente. Annette Seemann hat nun mit „Die Töchter des Zauberers: Erika, Monika und Elisabeth Mann“ den drei Töchtern des Literaturnobelpreisträgers ein eigenes Buch gewidmet, in welchem ihre Lebenswege nachgezeichnet und ihre Rollen innerhalb der Familie fein herausgearbeitet werden.

Die Autorin beschreibt, was es für die Frauen bedeutete, Nachkommen des großen Thomas Mann zu sein, welch großer Schatten auf ihnen lag oder welch hohe Erwartungen an sie gestellt wurden bzw. unter welchen Druck sie sich teilweise selbst setzten. Seemann hat ein Buch über drei begabte und kluge Frauen geschrieben, die jeweils ihren besonderen Platz und ihre Rolle in der Künstlerfamilie einnahmen.

Die sechs Kinder von Katia und Thomas Mann können als drei Pärchen betrachtet werden: die beiden Ältesten Erika und Klaus, die Unzertrennlichen, die Seelenzwillinge, die gemeinsam Theater machen, reisen, schreiben, sich Freunde und Freundinnen teilen – bis der Selbstmord von Klaus sie trennt.
Dann ist da das Sandwichpärchen Monika und Golo, die es nicht leicht haben, sich ihren Stellenwert in der Familie zu erkämpfen.
Und zu guter Letzt sind da die beiden Kleinsten: Elisabeth und Michael, die Nesthäkchenstatus genießen und vor allem Elisabeth – auch Medi genannt – wird zum erklärten Liebling des Vaters.

Fundiert recherchiert, unterstützt mit zahlreichen schwarz-weiß Abbildungen bzw. Fotografien, basiert auf zahlreichen Quellen und ergänzt mit Zitaten hat Annette Seemann die Geschichte der Mann-Töchter beginnend beim Kennenlernen der Eltern von der Geburt bis zu ihrem Tod geschildert. Eine Geschichte, die geprägt ist von illustren Künstlermilieus, aber auch den dunklen Zeiten des Krieges, Flucht und politischem Engagement. Dank Seemanns Schreibstil liest sich das sehr flüssig und rasant.

Inhaltlich möchte ich nicht allzu viel ausführen, denn es lohnt sich, hierfür das Buch selbst zu lesen und tiefer in die Charaktere und Leben der Schwestern abzutauchen. Daher nur kurz:

Erika (1905 – 1969), die in München zunächst eine unbeschwerte Kindheit genoss und schon früh ihr schauspielerisches Talent und ihr Interesse an Theater und Kabarett entdeckte, war eine starke Persönlichkeit, die an sich selbst sehr hohe Anforderungen stellte. Sowohl in ihrem kritischen Kabarett die „Pfeffermühle“, mit dem sie schließlich aus Deutschland in die Schweiz und später in die USA umsiedelte, als auch später in ihrem politischen Engagement als Lecturer bzw. Vortragsreisende setzte sie Akzente gegen das Regime des Nationalsozialismus.

„Erika Manns eigentliches Ziel war genau das: mit anspielungsreichen literarischen und musikalischen Mitteln aufrütteln.“

(S.165)

Privat fand sie, die auch den schmerzhaften Verlust ihres geliebten Bruders Klaus verkraften musste, kein dauerhaftes Glück – weder in der kurzen Ehe mit Gustav Gründgens, noch in ihrer Beziehung zu Therese Giehse oder als heimliche Langzeitgeliebte des Dirigenten Bruno Walter. Vielmehr widmete sie ihr Leben zunehmend ihrem Vater, als Assistentin und spätere Bewahrerin und Verwalterin seines Erbes.

Monika (1910 – 1992) galt innerhalb der Familie als „Problem“ (S.225), zumal ihr Leben jedoch auch geprägt war von einigen Schicksalsschlägen. Der Größte war vermutlich der Verlust ihres geliebten Ehemanns während einer Schiffskatastrophe, bei der sie selbst nur knapp mit dem Leben davon kam und viele Stunden im kalten Wasser auf Rettung wartete. Ein Trauma, das sie lange verfolgte.

„Auch bei Monika gab es Suchbewegungen, die jedoch wenig spektakulär waren und daher von ihren Eltern mit einer gewissen Resignation betrachtet wurden: Was sollte daraus eigentlich werden? Sie probierte sich aus, besuchte unter anderem die Kunstgewerbeschule in München, später eine Kunstschule in Paris.“

(S.106)

Monika hatte musikalisches Talent und wollte unter anderem Pianistin werden, versuchte beruflich und künstlerisch immer wieder verschiedene, neue Wege einzuschlagen, was bei den Eltern nicht besonders gut ankam.

„Aber die Anforderungen der Eltern waren hoch – und dass Monika diesen nie gewachsen war, wird auch vor diesem Hintergrund noch einmal deutlich.“

(S.243)

Erst auf Capri und in einer späteren Beziehung scheint Monika Mann nach vielen Jahren so etwas wie Glück gefunden zu haben, doch ihr Verhältnis zu den Eltern und den Geschwistern blieb wohl schwierig. Vermutlich auch ein Grund, warum sie häufig geringeres mediales Interesse genoss und bislang weniger im Fokus stand.

Deutlich bekannter ist da die jüngste der Schwestern: Elisabeth (1918 – 2002), der vom Vater schon früh die Liebe zum Meer eingepflanzt wurde und die später zur großen Seerechtsexpertin und Ökologin werden sollte. Sie, für die er auch das Gedicht „Gesang vom Kindchen“ verfasste, galt als sein Lieblingskind.

„Von Elisabeth ging für Thomas Mann also eine unmittelbar seine Lebensfreude belebende Wirkung aus. Und das nahmen alle übrigen Kinder auch ganz deutlich wahr und es forderte sie dazu heraus, sich wieder neu zu definieren.“

(S.78)

Elisabeth wirkt auf mich als Leserin als die Glücklichste der drei Schwestern. Obwohl auch sie eine gescheiterte Ehe mit einem deutlich älteren Mann zu verkraften hatte, wirkt sie – vor allem in späteren Jahren, als sie ihre Unabhängigkeit und berufliche Bestimmung fand – tatkräftig und optimistisch.

„Sie wollte von dem bewunderten Mann so viel wie möglich lernen. Eine italienische Studentin Borgeses an der Universität brachte ihr bei, seine geliebten italienischen Gerichte zu kochen. Es wirkt, als wäre sie ganz in der traditionellen Ehe- und Hausfrauenrolle aufgegangen.“

(S.206)

Seemann hat drei spannende und sehr interessante Frauenportraits gezeichnet, die sich nicht nur aufgrund des zeitgeschichtlichen und kulturellen Hintergrunds dieser besonderen Familie, sondern auch aus psychologischer und menschlicher Sicht faszinierend lesen.

„Die Töchter des Zauberers“ eignet sich zweifelsohne auch als Einstieg, wenn man sich mit der Geschichte der Mann-Kinder bzw. insbesondere der Töchter beschäftigen möchte. Doch auch Leserinnen und Leser, die sich bereits etwas mit der Familiengeschichte des deutschen Literaturnobelpreisträgers und seiner Nachkommen beschäftigt haben, können das Buch ohne Zweifel mit Gewinn lesen.
Denn es setzt besondere Akzente – vor allem auch auf dem Geschwisterverhältnis der Frauen im Hause Mann. Seemann arbeitet die Charaktere der Schwestern und auch die Eifersüchteleien und Konkurrenzbeziehungen zwischen ihnen fein heraus. Stellenweise ist es traurig zu lesen, dass sich die Schwestern gegenseitig wohl nur selten und wenig unterstützten bzw. sich in gewissen Phasen regelrecht mieden und im Clinch lagen.

Kaum eine Literatenfamilie hat im deutschen Gedächtnis solche Spuren hinterlassen wie die Manns, seien es Heinrich, Thomas oder Klaus. Um so positiver ist es jetzt zu bewerten, dass auch die Lebensleistungen und -geschichten der Töchter Thomas Manns mit diesem Buch besondere Aufmerksamkeit und explizite Würdigung erfahren.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag ebersbach & simon, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Annette Seemann, Die Töchter des Zauberers:
Erika, Monika und Elisabeth Mann
ebersbach & simon
ISBN: 978-3-86915-305-6

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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Annette Seemanns „Die Töchter des Zauberers“:

Für den Gaumen:
Elisabeth Mann sagte über ihre Eltern, diese wären ein ideales Paar gewesen:

„Und dann am Mittagstisch: Mein Vater aß gern das helle Fleisch und meine Mutter das dunkle, wenn es ein Huhn gab. Oder wenn es einen Rindsbraten gab, er hatte gern das mehr durchgebratene, und meine Mutter hatte gern das Rohere. Sie haben sich wunderbar ergänzt.“

(aus Annette Seemann, Die Töchter des Zauberers, S.21; Zitat aus einem Werk von Breloer)

Zum Weiterlesen (I):
Im Frühjahr diesen Jahres habe ich hier auf dem Blog Unda Hörners großartiges Buch Solange es eine Heimat gibt – Erika Mann vorgestellt, das bei mir vor allem durch die feine Schilderung der Geschwisterbeziehung zwischen Erika und Klaus dauerhaft im Gedächtnis bleiben wird.

Unda Hörner, Solange es eine Heimat gibt – Erika Mann
ebersbach & simon
ISBN: 978-3-86915-293-6

Zum Weiterlesen (II):
Bereits vor einigen Jahren habe ich nach dem Besuch einer Ausstellung im Lübecker Buddenbrook-Haus, die sich den Kindern Thomas Mann widmete, die sehr interessante Biografie von Kerstin Holzer „Elisabeth Mann Borgese – Ein Lebensportrait“ gelesen, die ich uneingeschränkt empfehlen kann.

Holzer Kerstin, Elisabeth Mann Borgese – Ein Lebensportrait
Fischer
ISBN: 978-3-596-15725-9

Zum Weiterlesen (III):
Auch ich musste feststellen, dass ich zwar bereits jeweils Bücher über Erika Mann und über Elisabeth Mann Borgese gelesen habe, jedoch noch keines, das sich explizit Monika Mann widmet. Kerstin Holzer hat mit „Monascella: Monika Mann und ihr Leben auf Capri“ jedoch ebenfalls eines verfasst, das mich sehr interessiert, so dass ich dies ebenfalls zeitnah ändern möchte, zumal es am 14. November 2024 nun auch als Taschenbuchausgabe erscheinen wird.

Holzer Kerstin, Monascella: Monika Mann und ihr Leben auf Capri
dtv
ISBN: 978-3-423-35240-6

Ein Kommentar zu „Töchter des Hauses Mann

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