Rom im Herzen

Was wusste ich über diese Frau, die mich mit wachen Augen, einem freundlichen Lächeln und einer Pfeife im Mund, vom Titel des Buches anblickt? Wenig, viel zu wenig. Doch jetzt nach der Lektüre von Juliane Zieglers wunderbarem Buch „Herzlandschaft. Marie Luise Kaschnitz und Italien“ aus der blue notes-Reihe des Verlags ebersbach & simon habe ich eine Bekanntschaft gemacht, die ich nicht mehr missen möchte. Denn Ziegler zeichnet das Porträt einer Frau, die ich – soweit man das nach der Lektüre eines Buches beurteilen kann – sehr gerne persönlich kennengelernt hätte.

Denn da hätte es so manchen Anknüpfungspunkt bzw. viele gemeinsame Gesprächsthemen gegeben: die Liebe zu Italien und zu Rom, ihre Kulturbegeisterung, ihre Tätigkeit als Schriftstellerin… Marie Luise Kaschnitz wird im Buch als sehr interessierte, gesellige und weltoffene Person dargestellt, mit der man sicherlich gerne einmal gemeinsam einen Drink genommen und ein anregendes Gespräch geführt hätte.

„Es gab lebhafte Diskussionen und kreativen Austausch, über die eigene Arbeit, den römischen Alltag, über dieses Konzert, jenen neuen Roman, die Theaterinszenierung. Der Nachholbedarf an Kultur war enorm, die Kriegsjahre lagen noch nicht lange zurück.“

(S.83/84)

Doch der Reihe nach – obwohl ich hier natürlich auch nicht die komplette Lebensgeschichte nacherzählen möchte, denn hierfür lege ich das Buch, das einen kompakten und vor allem sehr sympathischen und lebendigen Eindruck von Kaschnitzs Lebensgeschichte und Persönlichkeit vermittelt, wirklich wärmstens jedem ans Herz, der sich ein erstes Bild der Autorin verschaffen möchte:

Marie Luise Kaschnitz – geboren 1901 in Karlsruhe, entstammte einer badischen Adelsfamilie. Nach dem Abitur absolvierte sie in Weimar eine Lehre zur Buchhändlerin und bereits in den Zwanziger Jahren zog es sie zum ersten Mal nach Italien, zunächst nach Florenz, dann nach Rom. Dort lebte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Guido Kaschnitz, einem Archäologen, dem sie später auch an seine Wirkungsorte in Königsberg, Marburg und Frankfurt folgte.

Rom war für Kaschnitz ein Sehnsuchtsort und eine große Liebe. Eine Liebe, die sie auch an ihre Tochter Iris weitergeben sollte.
Juliane Ziegler beschreibt die erste Zeit in der Stadt, während der Zwanziger Jahre als lebendige, prägende Zeit. Die Eheschließung mit Guido, die erste gemeinsame Wohnung, die Geburt der Tochter (die zwar in Freiburg zur Welt kommt) und die Arbeit an ihrem ersten Roman „Liebe beginnt“ fällt in die Zeit des ersten Rom-Aufenthalts, bevor sie in den Dreißiger Jahren mit ihm nach Königsberg, Marburg und während des zweiten Weltkriegs 1940 nach Frankfurt weiterzog.

„Die Gegensätze in Rom faszinierten sie. Hier die unübersehbare Vergangenheit, dort die rapide wachsende, hektische Metropole voller Menschen; Schwermut neben Lebensfreude und Leichtigkeit, unfassbare Schönheit neben Verfall. Hier das Bekannte, dort der unaufhaltsame Wandel. Einige Jahre zuvor hatten diese scheinbaren Widersprüche Marie Luise noch verunsichert, doch jetzt reizte sie genau diese Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Geschichte.“

(S.95)

Kaschnitz entwickelte sich zur erfolgreichen Schriftstellerin, schrieb Lyrik und Prosa, gewann Preise und knüpfte Kontakte. Ziegler beschreibt Kaschnitz als geschickte Netzwerkerin, gute Gastgeberin und Freundin. Sie lernte Paul Celan, Theodor W. Adorno und Ingeborg Bachmann kennen. Auch mit Letzterer kreuzten sich die Wege wieder – wo sollte es anders sein – in Rom.

Denn in den Fünfziger Jahren ziehen Marie Luise Kaschnitz und ihr Gatte erneut in die italienische Hauptstadt.

„Zurück also nach Rom, in die Herzlandschaft – für Marie Luise neben Bollschweil und Frankfurt eine ihrer drei Heimaten. Die Vorfreude: riesig.“

(S.66)

Die Liebe und das große Interesse für Rom begleitete Kaschnitz ihr Leben lang. Sie beobachtete kritisch die Veränderungen, die Folgen des zunehmenden Tourismus, die Beschleunigung und zunehmende Hektik der stetig wachsenden Metropole und auch die zunehmende Armut in manchen Vierteln.

Ihre Beobachtungen verarbeitete Kaschnitz auch immer wieder literarisch: in Erzählungen, Gedichten, Essays – so zum Beispiel in „Engelsbrücke. Römische Betrachtungen“ oder „Ewige Stadt. Rom Gedichte“. Kein anderer Ort nahm soviel Raum in ihren Werken ein wie die ewige Stadt. Was würde sie wohl über das heutige Rom denken oder schreiben?

Marie Luise Kaschnitz hat 1955 den renommierten Büchner-Preis erhalten und kam 1961 in den Genuss eines Stipendiums der Villa Massimo, welches sie nochmal nach Rom führte. Am 10. Oktober 1974 verstarb sie in Rom an einer Lungenentzündung, die sie sich beim Schwimmen im Meer zugezogen hatte.

Ich habe „Herzlandschaft“, das wie alle Bände der blue notes Reihe in schöner Halbleinenbindung und mit zahlreichen schwarz-weiß Abbildungen ausgestattet ist, regelrecht verschlungen und mit großer Freude in einem Rutsch gelesen. Ein Buch über eine starke, spannende Frau, das große Lust weckt, diese noch besser kennenzulernen bzw. sich vor allem auch mit ihren Werken näher auseinanderzusetzen und eine Autorin, mit der ich zweifelsohne die Italiensehnsucht und die Faszination für Rom uneingeschränkt teile. Ein feiner Schatz fürs Buchregal, den ich sicherlich gerne auch für eine erneute Lektüre bei Zeiten nochmal zur Hand nehmen werde.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag ebersbach & simon, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Juliane Ziegler, Herzlandschaft.
Marie Luise Kaschnitz und Italien
blue notes
ebersbach & simon
ISBN: 978-3-86915-307-0

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Juliane Zieglers „Herzlandschaft“:

Für den Gaumen (I):
Kaschnitz passte sich schnell an die römischen Vorlieben an und wusste die Stadt zu genießen:

„An warmen Tagen machten sie Halt am Kaffeehaus, wo ununterbrochen Musik lief, und bestellten Americano mit Eis.“

(S.17)

Für den Gaumen (II):
Gerade während des ersten Romaufenthaltes hatte die Stadt für Kaschnitz noch weniger hektischen Charakter und die Wege zum Einkaufen und so mancher Leckerei war kurz:

„Vor der Tür eine kleine Latteria, ein Milchgeschäft, beim Bäcker daneben kauften sie süße Brötchen, Maritozzi.“

(S.23)

Zum Weiterschauen:
Es gibt wohl wenige Klassiker, die der Magie der ewigen Stadt auf ähnliche Weise huldigen wie einen ganz besonderen Film aus dem Jahr 1953:

„Auch die internationale Filmindustrie, vor allem Investoren aus den USA, hatten Rom im Blick und nutzen das circa 40 Hektar große Areal für amerikanische Produktionen, etwa Ein Herz und eine Krone mit Audrey Hepburn und Gregory Peck.“

(S.74)

Zum Weiterlesen:
Ich habe sehr große Lust bekommen, mich mit Kaschnitzs Roman „Liebe beginnt“ aus dem Jahr 1933 zu beschäftigen, der lange als verschollen galt und den es aber wohl leider gerade auch nur noch antiquarisch zu kaufen gibt.

„Letztlich war der Roman auch ein Opfer der Zeit. Die Weimarer Republik war gescheitert, das Bild der unabhängigen Frau passé. Man interessierte sich jetzt nicht mehr für ein fortschrittlicheres Verständnis der Rollen in einer Beziehung: Liebe beginnt geriet schon bald in Vergessenheit. Marie Luise tat später nichts, um ihren ersten veröffentlichten Roman bekannter zu machen, zu groß war die Enttäuschung über den Misserfolg. (…) Lange galt der Roman als verschollen, erst 1981 wurde er neu verlegt.“

(S.46)

Marie Luise Kaschnitz, Liebe beginnt
Insel Taschenbuch
ISBN: 978-3-458-33303-6

5 Kommentare zu „Rom im Herzen

  1. Oh klasse – danke für den Tipp! Bin ein großer Kaschnitz Fan und habe noch eine ganze Reihe Bücher von ihr hier liegen, die ich noch gelesen habe inkl ihrer Biografie, aber das kommt direkt mal auf die Wunschliste. Frau Kaschnitz kann man nicht genug zu Hause haben. Eine sehr bemerkenswerte Frau und mit einem Archäologen als Gatten, waren das bestimmt auch immer spannende Tischgespräche.
    Ganz liebe Grüße, Sabine 🙂

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    1. Danke, Sabine. Ja, ich habe mir beim Lesen immer gedacht, da wäre ich gerne dabei gewesen. Das waren sicher interessante Gespräche… sehr sympathisch…
      Ich möchte jetzt auf jeden Fall auch noch mehr von Kaschnitz lesen. Herzliche Grüße und morgen einen schönen und erholsamen Feiertag! Barbara

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    1. Schön, das freut mich, wenn ich hier gute Erinnerungen wecken und vielleicht auch einen neuen Leseimpuls geben konnte. Ich habe mir auch vorgenommen, demnächst etwas von ihr zu lesen. Das Buch hat mich definitiv neugierig auf ihr Werk gemacht. Herzliche Feiertagsgrüße!

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