Oktoberbowle 2024 – Hochnebel und Klangrausch

Hartnäckiger Hochnebel, grauer, verhangener Himmel – zumindest gegen Ende des Monats war dieser Oktober wettertechnisch nicht allzu golden. Aber die Bäume zündeten dennoch ihr herbstliches Farbfeuerwerk und das sich färbende Laub versuchte dem Grau ein leuchtendes Strahlen entgegenzusetzen.

Musikalisch und kulturell war dieser Monat für mich allerdings tatsächlich golden und bunt:
Angefangen bei einem absoluten Glanzlicht in der Bayerischen Staatsoper: Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ im Münchner Nationaltheater mit einem grandiosen Klaus-Florian Vogt in der Hauptrolle des Paul. Eine sehr gefühlvolle, eindringliche und stimmige Inszenierung von Simon Stone, die mir unvergesslich bleiben wird. „Glück, das mir verblieb“… ein zauberhafter, wundervoller Opernabend!

Turbulent, britisch und lustig ging es in meinem Heimattheater (dem Landestheater Niederbayern) in die neue Spielzeit mit „Mord auf Schloss Haversham – The Play that goes wrong“ von Henry Lewis, Jonathan Sayer & Henry Shields. Wenn bei der Aufführung eines Amateurtheaters so ziemlich alles schiefläuft, was schieflaufen kann, dann fühlt man sich bestens unterhalten und kann für zwei Stunden einfach wieder mal herzhaft lachen. Herrlicher Humor und große Empfehlung!

Und auch der musikalische Auftakt in die Landshuter Spielzeit ist gemacht: Jacques Offenbachs Operette bzw. Opéra-bouffe aus dem Jahr 1864 „Die schöne Helena“ setzte mit komischen Momenten und quietschbunt-burlesken Kostümen ebenso einen Farbtupfer ins Oktobergrau.

Im Fernsehen gab es für mich etwas Neues und etwas Älteres zu sehen:
Die vierteilige Kurzserie „Herrhausen“ über den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, der im November 1989 von der RAF ermordet wurde, war hochkarätig besetzt, sehr gut gemacht und in meinen Augen wirklich sehenswert (noch bis zum 02.02.2025 in der ARD Mediathek abrufbar.)

Und im Monat, der am 31. mit dem Reformationstag endet, habe ich jetzt endlich auch mal den Film „Luther“ aus dem Jahr 2003 mit Joseph Fiennes in der Titelrolle in voller Länge gesehen.

Die Monatslektüre ließ sich auch sehen und war ebenfalls so bunt wie das Herbstlaub:
Es gab zwei österreichische Krimis, die mir beide sehr gut gefallen haben:
Zum einen Petra Hartliebs „Freunderlwirtschaft“, der sich mit Intrigen und dunklen Machenschaften in der österreichischen Politik beschäftigt und der sich sehr süffig und spannend liest.
Und zum anderen den vierten Teil einer meiner Lieblingskrimireihen von Constanze Scheib mit Mordshochzeit, Herrschaftszeiten“, die ihre gnä’ Frau dieses Mal verstärkt von Dienstmädchen Marie und ihrem Gatten Oskar während der Hochzeitsfeierlichkeiten in einem Traiskirchener Landhaus ermitteln lässt. Nicht nur eine Hommage an Krimi-Klassiker von Agatha Christie, sondern einfach auch ein Riesenspaß mit einer ordentlichen Portion Wiener Schmäh! Wieder mal ein großes Lesevergnügen!

Für den Lesekreis habe ich zum ersten Mal etwas von der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk gelesen: „Gesang der Fledermäuse“. Eine außergewöhnliche, eigenwillige und sprachlich interessante Lektüre unter anderem mit folgenden Erkenntnissen:

Langjähriges Unglücklichsein zerstört einen Menschen mehr als eine tödliche Krankheit.

(aus Olga Tokarczuk „Gesang der Fledermäuse“, S.19)

Lebensgeschichten sind kein Thema für Diskussionen. Man soll sie anhören und sich mit seiner eigenen Geschichte revanchieren.

(aus Olga Tokarczuk „Gesang der Fledermäuse“, S.151)

und last but not least:

Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts.

(aus Olga Tokarczuk „Gesang der Fledermäuse“, S.204)

Auf keinen Fall bereut, sondern mich vielmehr absolut begeistert hat ein kleiner, feiner Band aus der blue notes-Reihe des ebersbach&simon Verlags: Juliane Ziegler „Herzlandschaft. Marie Luise Kaschnitz und Italien. Die Autorin ist mir während der Lektüre sehr ans Herz gewachsen und ich hatte das Gefühl, dass ich mich mit ihr wohl sehr gut über viele Themen hätte unterhalten können und wollen. Die Neugier ist geweckt, mich jetzt auch näher mit ihrem Werk zu beschäftigen.

Ein weiterer Schwerpunkt im Oktober waren musikalische Lektüren:
In Martin Meyers Roman Die Orgelbauerin standen das Instrument und eine junge Frau im Weimar der Zwanziger Jahre im Mittelpunkt, die sich nichts sehnlicher wünscht, als das Handwerk des Orgelbaus zu erlernen.
Anna Katharina Hahn erzählt in „Der Chor“ über Freundinnen bzw. Frauen verschiedener Generationen, die das gemeinsame Singen verbindet. Ein Buch über einen Chor während und nach der Pandemie, aber vor allem auch über Frauen sowie große menschliche Themen wie Freundschaft, Alter, Krankheit oder Kinderlosigkeit.
Und die Musik spielt auch in Richard Coles’ Krimi „A death in the parish“ eine Rolle, denn der Evensong wird vom anglikanischen Pfarrer Daniel Clement auch im zweiten Band der Reihe (erster Fall: „Murder before Evensong“, den ich auch bereits hier auf dem Blog vorgestellt habe) regelmäßig zelebriert. Ich habe sowohl den ersten als auch den zweiten Teil auf englisch gelesen, aber mittlerweile ist auch Band 2 bereits auf deutsch erschienen („Der Priester und das schwarze Schaf“). Auch hier stehen wieder Pfarrer Clement, seine resolute Mutter und natürlich die beiden Dackel Cosmo und Hilda im Mittelpunkt, die sich erneut mit einer Leiche in ihrer Pfarrgemeinde beschäftigen müssen. Britischer Cosy Crime für gemütliche herbstliche Leseabende!

Der Oktober stand bei mir aber auch im Zeichen der deutsch-deutschen Lektüre:
Mit dem von Kat Menschik wieder ganz großartig illustrierten Band Junge aus West-Berlin mit einer Erzählung von Maxim Leo, der von einer grenzüberschreitenden Liebe und dem Mauerfall im Herbst 1989 erzählt. Ein Buch, das ich in Kürze noch ausführlicher hier auf dem Blog vorstellen werde.
Als sehr lohnend habe ich auch die Lektüre von Steffen Maus Sachbuch „Ungleich vereint“ empfunden, das verdientermaßen auf der Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, Deutschlandfunk und ZDF steht.
Zudem habe ich es endlich geschafft, Anne Rabes „Die Möglichkeit von Glück“ zu lesen, das letztes Jahr (2023) auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. Ein eindringliches Buch, harter Tobak, sehr gut geschrieben – die Autorin (Jahrgang 1986) hat in diesem Roman auch ihre eigene Kindheit und Jugend in Wismar, die auch geprägt war von Gewalt, einfließen lassen und erzählt darüber, was es für sie bedeutete, sich später mit der Geschichte ihrer Familie und der DDR-Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2024 stand Nora Bossongs Roman „Reichskanzlerplatz“, der die Beziehung der späteren Martha Goebbels mit einem jüngeren, homosexuellen Freund ihres Stiefsohns thematisiert. Schnell und flüssig gelesen, lässt es mich stellenweise doch etwas zwiegespalten und ratlos zurück – ohne dass ich es jedoch genau benennen könnte, warum.

Ist das Gerede von Zwangsläufigkeit nicht bloß der Wunsch, nicht verantwortlich zu sein für die Wendungen, die unsere Geschichte nimmt?

(aus Nora Bossong „Reichskanzlerplatz“, S.132)

Viel Neues erfahren und gelernt habe ich hingegen im hochinteressanten Roman Tabakpech von Eva-Martina Weyer, der mich mitgenommen hat ins Odertal und anhand einer generationsübergreifenden Familiengeschichte auch die Historie des Tabakanbaus in dieser Region erzählt. Fein geschrieben und mit spannenden zeitgeschichtlichen Details ein Buch, das ich sehr gerne gelesen habe und bald noch ausführlicher hier auf der Bowle vorstellen werde.

Was bringt der November?

Es steht zu erwarten, dass die Nachrichtenlage auch im November viel Raum einnehmen und Aufmerksamkeit fordern wird. Doch ich bin vor kurzem bei einer Fernsehsendung über den schönen, lateinischen Begriff Otium gestolpert, der in diesem Fall mit den schönen Worten „geistvolle Ruhe“ übersetzt wurde – im Wörterbuch finden sich auch Muße oder Freizeit. Sich auch im Alltag Platz für etwas „Otium“ zu schaffen, sich Zeit zu nehmen, auch einmal innezuhalten und bei sich zu sein, Raum zu lassen für Kreativität und Schönes. Dafür wäre der November mit seinen langen Abenden doch eigentlich eine gute Zeit.

Für den November-Lesekreis liegt hier bei mir schon Marc-Uwe Kling „Views“ bereit. Ein Titel, der sonst wohl mit großer Sicherheit an mir vorbeigegangen wäre – ich bin gespannt.

Zudem stehen ein Theaterausflug nach Regensburg und die 22. Landshuter Literaturtage mit dem Motto „Geht doch! – Bücher, die Mut machen“ auf dem Programm – auch hier habe ich mir bereits etwas ausgesucht.

Bei meiner Lektüre habe ich mir vorgenommen, mich diesen Monat einmal durch die skandinavischen Länder zu schmökern – Skandinovember quasi.

Vermutlich wird also auch dieser November wieder wie im Flug vergehen und hoffentlich auch mit Schönem und etwas „Otium“ gefüllt werden können.
Kommt also gut und wohlbehalten durch den vermeintlich dunklen und nebligen November und schafft Euch helle Momente – in der Natur, mit guten Büchern oder bei schönen kulturellen Erlebnissen!

Die ausführlichen Rezensionen sind jeweils auf den farbig hinterlegten Titeln verlinkt und ein Klick führt direkt zum jeweiligen Beitrag, wo dann auch die entsprechenden bibliographischen Angaben zu finden sind.

Gaumen-Highlight Oktober:
Herbstzeit ist Kürbiszeit und – auch wenn ich dieses Mal (vielleicht vor lauter Hunger?) verpasst habe, zu fotografieren – das würzige Kürbisgulasch mit geräuchertem Paprika war wirklich ein Genuss.

Musikalisches im Oktober:
Eingeprägt haben sich mir diesen Monat zwei klassische Evensong-Stücke von Charles Villiers Stanford „Magnificat and Nunc Dimittis in C, op. 115“.
Und ich habe entdeckt, dass es bei BBC3 im Netz regelmäßig (d.h. wöchentlich) einen Choral Evensong zu hören gibt.

Herbstgefühl

Fetter grüne, du Laub,
Am Rebengeländer
Hier mein Fenster herauf!
Gedrängter quellet,
Zwillingsbeeren, und reifet
Schneller und glänzend voller!
Euch brütet der Mutter Sonne
Scheideblick; euch umsäuselt
Des holden Himmels
Fruchtende Fülle;
Euch kühlet des Mondes
Freundlicher Zauberhauch,
Und euch betauen, ach!
Aus diesen Augen
Der ewig belebenden Liebe
Vollschwellende Tränen.

(Johann Wolfgang von Goethe)

4 Kommentare zu „Oktoberbowle 2024 – Hochnebel und Klangrausch

    1. Danke, Constanze. Ich habe mir hier schon ein Stäpelchen mit skandinavischer Lektüre zusammengestellt und freue mich jetzt sehr darauf, lesend wieder einmal durch die nordischen Länder zu reisen. Ich liebe die skandinavische Literatur – auch ein Grund dafür, dass ich so gerne bei Deinem Blog mitlese – und in der letzten Zeit ist sie aus mir unerfindlichen Gründen bei mir ein wenig zu kurz gekommen. Dir auch einen guten Start in den November und herzliche Grüße! Barbara

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  1. Erntedank an Dich, Barbara, für Deine monatliche Lese an Büchern, die Theater- und Musikstücke, Aufnahmen aus dem goldenen Oktober und schließlich den herbstliebenden Goethe. Wünsche Dir einen beschaulichen November, Bernd

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    1. Vielen herzlichen Dank, Bernd! Schön, dass Du vorbeigeschaut hast.
      Ich wünsche Dir ebenso einen guten und erholsamen November, der hoffentlich Raum lässt für etwas Muße und Ruhe. Viele Grüße nach Nürnberg! Barbara

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