Inseltöchter

Strahlendes Zitronengelb und leuchtend türkises Meerwasser – schon der Buchumschlag weckt sofort mit aller Macht sommerliche Assoziationen. Sonne, Strand, Ferien, Farben, die an südliche Gefilde denken lassen. Um so überraschter war ich zunächst, als ich dann den Schauplatz von Georgina Moores Roman „Die Garnett Girls“ gelesen habe: die Isle of Wight.

Und ja, wenn man sich ein wenig im Netz umsieht und Bilder der Insel betrachtet, finden sich tatsächlich Strandbilder mit türkisem Wasser. Die Isle of Wight ist eine rautenförmige Insel vor der Südküste Englands und zählt zu weiten Teilen – wie ich auf Wikipedia erfahren konnte – zu den besonders geschützten AONB (Areas of Outstanding Natural Beauty). Klingt also nach einer vielversprechenden Kulisse und lässt mich ausnahmsweise zu einem für mich eher ungewohnten Genre greifen.

Georgina Moore erzählt in „Die Garnett Girls“ von Margo Garnett und ihren drei Töchtern. Rachel, Imogen und Sacha sind erwachsen geworden und doch fehlen ihnen immer noch wesentliche Teile des Familienpuzzles. Woran ist die Beziehung ihrer Eltern zerbrochen und warum mussten sie bereits früh ohne den Vater aufwachsen?

„Diese Garnett-Girls. Sehen alle blendend aus und sind auch noch klug. Die Entscheidung fällt schwer, welche ich am besten finde.“

(S.57/58)

Mit dem Familiencottage auf der Insel, die für viele lediglich ein Urlaubsort für wenige Tage ist, verbinden sie zahlreiche Erinnerungen – glückliche und traurige.
Für die Familie ist das abgeschiedene Leben auf der Insel Segen und Fluch zugleich. Sie kann vertrauter Rückzugsort, aber auch beengendes Gefängnis sein.
Jede der Töchter kämpft mit Problemen unterschiedlichster Natur. Vieles davon scheint bereits in der Kindheit begründet zu liegen. Doch zu viel möchte ich hier gar nicht verraten.

„Es stimmte, Margo hatte mehr Falten, Sonnenflecken und Sommersprossen, als ihrem Alter entsprach, aber ihr Gesicht passte zu ihr. Dieses Gesicht liebte das Draußensein und trug die Spuren eines Lebens, das an Stränden und auf Booten geführt wurde.“ (S.200)

Doch es wird viel getrunken in der Familie Garnett und der Alkohol ist omnipräsent. Für mich entwickelte sich dies daher schnell zum roten Faden in Moores Buch und so kann dieses in meinen Augen auch als Studie über Alkoholmissbrauch, Sucht, Abhängigkeit und die Auswirkungen auf Familie und Beziehungen gelesen werden.

„Einen weiteren Abend, an dem sie um drei Uhr früh mit Teetassen durchs leere Haus wanderte. Selbst Bücher, sonst ein Rettungsanker, konnten Geist und Herz nicht beruhigen. Die Wörter schienen auf der Seite hochzuhüpfen, weigerten sich, in lesbaren Zeilen zu verharren.“

(S.261)

„Die Garnett Girls“ ist der Debütroman der britischen Autorin Georgina Moore, die bereits seit zwanzig Jahren in der Verlagsbranche tätig ist und offenbar gleich bei ihrem Erstling das richtige Erfolgsrezept kannte, denn in ihrer Heimat wurde dieser sofort zu einem großen Erfolg und Sunday Times-Bestseller.

Die Autorin malt ihr Bild der Insel und der Hauptfiguren mit dickem, expressiven Pinselstrich. Die ganze Familie wird ordentlich durcheinander gewirbelt – große Emotionen und Gefühlschaos in allen Schattierungen. Sie erspart ihren Charakteren nichts.

Persönlich habe ich – vielleicht auch angesichts der geballten Gefühlsachterbahn und Dramatik – stellenweise ein wenig gefremdelt und mir bei der Lektüre eine gewisse, schützende Distanz zu den Figuren bewahrt. Doch das mag wie bereits erwähnt auch der Tatsache geschuldet sein, dass es für mich ein Ausflug auf eher ungewohntes literarisches Terrain war.

Spannend und interessant war für mich jedoch, wie Moore auch immer wieder Bögen zu Kunst und zur Welt des Theaters schafft. Denn sie lässt ihre Figuren unter anderem in der Schauspielerei und der Dramatik ein Ventil für unterdrückte Gefühle finden.

Und es ist ihr definitiv gelungen, meine Neugier für diese Insel südlich von Southampton zu wecken, die per Fähre bzw. Schiff, aber auch per Hovercraft erreicht werden kann. Für meinen Geschmack hätte sie den Lokalkolorit und das Insel-Flair im Buch durchaus auch gerne noch stärker ausbauen können.

Zweifelsohne ist „Die Garnett Girls“ ein intensives, wuchtiges Buch und wird dem auf dem Umschlag angekündigten „Familiendrama vor atemberaubender Kulisse“ vollkommen gerecht.
Für mich persönlich war „Die Garnett Girls“ jedoch weniger das sonnige Strandbuch für den Liegestuhl, das man sich aufgrund der optischen Aufmachung vielleicht erwarten würde, sondern vielmehr die eindringliche und schmerzhafte Schilderung einer Familie, welche sich durch die zerstörerische Kraft des Alkohols oft sehr nahe am Abgrund bewegt.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Georgina Moore, Die Garnett Girls
Aus dem Englischen von Pauline Kurbasik
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-00630-8

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Georgina Moores „Die Garnett Girls“:

Für den Gaumen (I):
Manche Gerichte erinnern uns an die Kindheit oder Teenager-Zeit. Folgendes gehörte bei mir jedoch nicht dazu und tatsächlich habe ich es bisher auch noch nie gekostet:

„Als Teenagerinnen waren sie ins No. 47 gegangen, um Iced buns zu essen und Freunde zu treffen.“

(S.246)

Ein englisches Rezept für Iced Buns gibt es u.a. auf Bakingwithgranny.

Für den Gaumen (II):
Doch nach dem Süßen klingt auch die herzhafte Variante verlockend:

„Bitte schön, sag Bill, ich habe Blauschimmelquiches gebacken, die mag er doch.“

(S.247)

Die würde ich sicherlich auch mögen…

Zum Weiterhören:
Ein Klassiker von Sister Sledge aus dem Jahr 1979 bringt die Familie zum Tanzen:

„Auf Wunsch von Gabriel wurde „We are family“ gespielt, Sasha zuckte die Schulter in Phils Richtung und folgte ihren Schwestern mit einem Freudenschrei in die Mitte der Tanzfläche. Sie spürte wilde Geister in ihrem Inneren, (…)“

(S.86)

Zum Weiterlesen:
Meine Lektüre von Amy Liptrots Buch „Nachtlichter“ liegt schon einige Jahre zurück und doch kommt es mir sofort in den Sinn, wenn ich in der Literatur auf das Thema Alkoholabhängigkeit stoße. Wie sie ihren Kampf mit der Sucht und ihren Weg zurück ins Leben beschreibt, hat mich tief berührt. Bezeichnenderweise ist es auch in diesem Fall eine Insel (Orkney), die eine zentrale Rolle spielt: Denn auf ihrer schottischen Heimatinsel und in der rauhen Natur findet sie letztlich Heilung und zurück zu sich selbst.

Amy Liptrot, Nachtlichter
Aus dem Englischen von Bettina Münch
btb
ISBN: 978-3-442-71841-2

3 Kommentare zu „Inseltöchter

    1. Dankeschön! Schön, dass das gewürdigt wird. War natürlich Absicht! 😉
      Und zum Glück ist Türkis eine meiner Lieblingsfarben…
      und momentan ist wirklich alles gefragt, was erfrischt.
      Herzliche Grüße aus dem hitzegeplagten Niederbayern!

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