Christian Schnalke hat mit „Die Fälscherin von Venedig“ eine opulente und farbenfrohe Fortsetzung seines „Römischen Fieber“ vorgelegt und erzählt die Geschichte von Franz Wercker spannend weiter. Aus Rom musste der Schriftsteller aus dem ersten Band überstürzt aufbrechen und hat nun den Auftrag, verdeckt als vermeintlicher Kunsthändler in Venedig einen großen Kunstraub aufzuklären.
Venedig, das am 25. März 2021 seinen 1600. Geburtstag gefeiert hat, ist literarisch immer eine Reise wert und auch dieser historische Roman lässt die Lagunenstadt vor den Augen der Leser lebendig werden.
„Wie knüpft man an einen Traum an, fragte er sich. Ob man diese Kunst beherrschen kann? Natürlich, er lächelte. Man nennt sie Lesen: Wenn Du ein Buch wieder aufschlägst, träumst du genau da weiter, wo du zuvor aufgehört hast…“
(S.20)
Da ich inhaltlich nicht zu viel verraten will – und auch potenziellen Lesern, die den ersten Band „Römisches Fieber“ noch nicht kennen, nicht die Spannung nehmen möchte – versuche ich mich kurz zu fassen:
Franz Wercker, der in Rom nur durch großes Glück knapp dem Tod entronnen ist und sich von seiner geliebten Clara trennen musste, die nach Hause ins ferne Weimar abgereist ist, hat sich nun in Venedig mit einer delikaten Angelegenheit herumzuschlagen: Er soll als angeblicher Kunsthändler einen groß angelegten Kunstraub aufdecken. Doch allein seine Fassade als Kunstexperte aufrecht zu erhalten, bereitet ihm einiges Kopfzerbrechen und letztlich stellt sich schnell heraus, dass er ohne Hilfe seinem Auftrag nicht gerecht werden kann.
Denn Venedig und die dortige Gesellschaft sind eigenwillig – man braucht profunde Kenntnisse oder ortskundige Hilfe, um zu recht zu kommen – und schon bald verstrickt Wercker sich in ein komplexes Konstrukt aus Vortäuschung falscher Tatsachen, Lügen und Spionage. Können ihm ein paar Gassenjungen und die junge Malerin Ira – die selbst ein dunkles Geheimnis zu verbergen scheint – helfen? Und welches Spiel spielen die gut betuchte, venezianische Adelige Rafaela und ihr mysteriöser Sohn?
„Wie kann man die Oper nicht kennen? Ihr Deutsche seid doch seltsam! Wir Italiener saugen den Gesang und die Oper mit der Muttermilch auf!“
(S.193/194)
Zwischen dem Opernhaus La Fenice, den Kirchen, den Palazzi und Kanälen gerät Franz Wercker gemeinsam mit seinen neuen Vertrauten schnell wieder selbst in höchste Gefahr.
Die Schilderungen der Stadt, ihrer Bewohner, der Geräusche und Gerüche sind so lebensecht und intensiv, dass man sich wirklich ins Venedig des 19. Jahrhunderts versetzt fühlt. Das ist eine der großen Stärken Christian Schnalke’s, der es aber – als erfahrener und erfolgreicher Drehbuchautor (u.a. von „Die Patriarchin“ oder „Katharina Luther“) – auch versteht, stimmige Dialoge und spannende Szenen zu schreiben.
Mir persönlich hat auch der Wechsel zwischen den Schauplätzen Venedig und Weimar gefallen, wo sich Franz’ Geliebte Clara aufhält und sich mit Herrn von Goethe über die Italiensehnsucht austauscht, die sie seit ihrer Rückkehr nach Deutschland ebenso sehr plagt, wie die Sorge um ihren Franz. Werden die beiden am Ende wieder zu einander finden?
„Die Fälscherin von Venedig“ ist nicht nur ein spannender historischer Roman, sondern auch ein großartiges Porträt der damaligen Zeit und ihrer Künstler, erzählt fast im Vorbeigehen von Gemälden, bildender Kunst und den Schriftstellern dieser Zeit.
„Für mich ist jede einzelne Zeichnung etwas Einmaliges. Nichts gegen Gemälde, aber sind diese Blätter nicht wie Handschriften? Steckt nicht in jedem einzelnen Strich der ganze Mensch?“
(S.207)
Man spürt die Liebe Schnalke’s zur Kunst, zu seinen Figuren und zum Detail und so ist es eine wahre Freude, das Buch zu lesen – man fiebert mit und schließt die Charaktere ins Herz.
Christian Schnalke hat einen überbordenden, fabulierfreudigen und prächtigen historischen Roman geschrieben, der mir große Lesefreude bereitet hat. Ein wunderbarer Schmöker, für den man ausreichend Zeit einplanen sollte, um ihn richtig genießen zu können. Eine Venedigreise auf knapp 500 Seiten, die einen immer mehr in ihren Bann zieht und sich als sehr bereichernd herausstellt.
Eine weitere Besprechung des Werks findet sich bei Bücheratlas.
Buchinformation:
Christian Schnalke, Die Fälscherin von Venedig
Piper
ISBN: 978-3-492-05952-7
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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Die Fälscherin von Venedig“:
Für den Gaumen:
Eine typisch italienische Nachspeise, die im Buch erwähnt wird, ist Panna Cotta – die „gekochte Sahne“. Auf dem von mir sehr geschätzten und gerne empfohlenen Foodblog „Ein Nudelsieb bloggt“ findet man das passende Rezept. Buon appetito!
Zum Weiterschauen und Weiterklicken:
Venedig hat am 25. März 2021 seinen 1600. Geburtstag gefeiert und wird noch das ganze Jahr über mit unterschiedlichen Veranstaltungen dieses Jubiläum würdigen. Auf der offiziellen Website der Stadt gibt es hierzu nähere Informationen, schöne Bilder und Videos.
Zum Weiterlesen (I):
Wer sich noch näher mit der Stadt Venedig beschäftigen möchte, hat die Möglichkeit sich von einem wahren Italienkenner und -liebhaber literarisch durch die Serenissima führen zu lassen. Hanns-Josef Ortheil hat mit „Venedig – Eine Verführung“ der Stadt ein Denkmal gesetzt und nimmt den Leser mit auf einen sinnlichen Bummel durch die Gassen und Kanäle.
Hanns-Josef Ortheil, Venedig – Eine Verführung
insel taschenbuch 4482
ISBN: 978-3-458-36182-4
Zum Weiterlesen (II) oder besser vorher lesen:
Obwohl „Die Fälscherin von Venedig“ auch unabhängig und ohne Vorwissen gelesen werden kann, kann ich es dennoch wirklich empfehlen vorab auch den Vorgängerroman „Römisches Fieber“ zu lesen, welcher die Vorgeschichte von Franz Wercker und seinem Romaufenthalt erzählt. Alle Italienfans und Freunde guter historischer Romane kommen auch da voll auf ihre Kosten und haben so den doppelten Genuss.
Christian Schnalke, Römisches Fieber
Piper
ISBN: 978-3-492-05906-0
3 Kommentare zu „Dunkle Machenschaften in der Serenissima“