„Frau Musica – Musik von, mit und über Frauen aus 900 Jahren“ war das diesjährige Motto der 20. Landshuter Hofmusiktage, einem europäischen Festival für Alte Musik, das nach pandemiebedingter zweijähriger Verspätung endlich stattfinden konnte. Ein wunderbares und wichtiges Motto, das mir einen unvergesslichen und in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Konzertabend bescherte, auf den ich mich mehr als zwei Jahre lang und vollkommen zu Recht sehr gefreut hatte.
Das Vokalsolistenensemble Singer Pur besteht aus einer Frauen- und fünf Männerstimmen, d.h. ein Sopran, drei Tenöre, ein Bariton und ein Bass. 1992 ursprünglich von fünf ehemaligen Regensburger Domspatzen und einer Sängerin gegründet hat sich das Ensemble – dessen Besetzung im Laufe der Zeit immer wieder einmal gewechselt hat – zu einem der führenden und mehrfach preisgekrönten deutschen Vokalensembles entwickelt.
Das enorm vielseitige Programm, das in der als Konzertsaal bestens geeigneten Heilig Kreuzkirche Landshut durch das Ensemble zur Aufführung kam, spannte einen großen, zeitlichen Bogen von Musik aus dem 15. Jahrhundert bis hin zu zeitgenössischer Musik – und legte vor allem Wert auf einen hohen Anteil an Musik „von Frauen“, d.h. der leider im Klassikbetrieb so häufig unterrepräsentierten Komponistinnen. Das Konzert, das so schön mit „Herztöne – Liebe im Klang der Zeit“ betitelt war, bereitete gleich zu Beginn des ersten Teils einen wunderbaren Einstieg, denn schon der Auftakt mit Dominique Phinot’s Renaissance-Werk „Surge, propere amica mea“ breitete einen dichten Klangteppich der sechs Stimmen aus, auf dem man sich sofort gerne von den wunderbaren Harmonien davon tragen ließ.
Die Gedanken kamen zur Ruhe, der Blick streifte durch die renovierte, ehemalige Klosterkirche des Landshuter Franziskanerinnenklosters mit Asamfresken und Wessobrunner Stukkaturen, der mittlerweile als „säkularer“ Kirchenraum, Konzertsaal und Aula des Hans-Carossa-Gymnasiums genutzt wird.
Der getragenere erste Teil des Konzerts „Das Hohelied der Liebe“ setzte Schwerpunkte auf alte Musik mit Werken von Phinot, de Latre, Dufay und Senfl, die durch zeitgenössische Stücke von Joanne Metcalf und Jessica Horsley kontrastiert wurden.
Die Harmonie der Stimmen, der Zusammenklang, die perfekte Intonation und sehr hohe Textverständlichkeit begeisterten das Publikum. Und jeder Musikbegeisterte oder auch jemand, der vielleicht sogar selbst in einem Chor singt, weiß und kann einschätzen, welche Klasse und welch hohes Niveau dieses Repertoire den SängerInnen abverlangt.
Allerhöchsten Respekt nötigte mir auch die Tatsache ab, dass Sarah M. Newman als kurzfristige Einspringerin (für die erkrankte Claudia Reinhard) mit lediglich einer Woche Vorlauf das hoch anspruchsvolle Programm mit einer faszinierenden Souveränität meisterte und sich perfekt in den Klang des eingespielten Ensembles einfügte. Diese Leistung hatte wahrlich einen Extra-Applaus verdient.
Ein wunderbarer, unvergesslicher Konzertabend nach einem sonnigen Maitag, der zum Ende des etwas luftig-leichteren zweiten Teils – die Herren auf der Bühne hatten die Krawatten jetzt auch abgelegt – sehr passend mit zwei genial arrangierten Sting-Titeln „Every Little Thing She Does Is Magic“ und „Fields of Gold“ einen stimmungsvollen Ausklang fand und das Publikum glücklich, beschwingt und freudig in den lauen Sommerabend entließ.
Doch so mancher Gast stoppte davor noch kurz am gut sortierten CD-Stand und nahm wie ich ein paar der musikalischen „Wirbelwinde“ mit nach Hause, denn die neueste CD „Among Whirlwinds“ – ein Projekt, das während der Pandemie entstanden ist – enthält ausschließlich Musik von Komponistinnen. Eines meiner Lieblingslieder darauf ist das Stück „Remember“ der 1979 geborenen slowenischen Komponistin Katarina Pustinek Rakar.
Einer Aufforderung, der ich gerne folge, denn dieses zauberhafte Konzert, das getragen wurde von der großen Freude und dem Herzblut, das Singer Pur in ihre „Herztöne“ legten und es sichtlich genossen, endlich wieder live vor Publikum auftreten zu können, werde ich sicherlich nicht vergessen. Die „Wirbelwinde“ werden ihr übriges tun, wenn sie von Zeit zu Zeit bei mir zu Hause aus den Lautsprechern klingen dürfen.
Gesehen am 12. Mai 2022 in der Heilig Kreuzkirche Landshut
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Wozu inspirierte mich bzw. woran erinnerte mich dieses Konzert:

Zum Weiterhören:
Die aktuelle CD von Singer Pur „Among Whirlwinds – Kompositionen von Frauen für Stimmen“ (erschienen 2021 bei OEHMS Classics – hier geht es zur Homepage) widmet sich ausschließlich der Musik weiblicher Komponistinnen. Viele Stücke, die ich in Landshut live genießen durfte, sind auf der CD vertreten, u.a. Werke von Joanne Metcalf, Hildegard von Bingen, Fanny Hensel, Clara Schumann, alte Musik (u.a. von Cesarine Ricci de Tingoli), aber auch Werke zeitgenössischer Komponistinnen wie Stanislava Stoytcheva oder Katarina Pustinek Rakar, um nur ein paar zu nennen.
Aber auch nordische Klänge aus Island von Anna S. Þorvaldsdóttir oder aus Schweden von Elfrida Andrée sind vertreten. Eine wunderbare klangliche, musikalische Zeitreise durch die Welt der Musik von Frauen – eine längst überfällige Idee und erstklassig umgesetzt.
Zum Weiterklicken oder für einen Konzertbesuch:
Vielleicht kommen Singer Pur demnächst aber ja auch in Eure Nähe – auf der Website der Gruppe findet ihr die nächsten Termine, musikalische Eindrücke und Hörproben, Porträts der Mitglieder und jede Menge weitere Informationen zur Historie und den zahlreichen Aufnahmen, die seit der Gründung 1992 bereits entstanden sind.
Zum Weiterschauen und Weiterklicken:
Schon seit längerem auf meiner Liste steht der preisgekrönte Dokumentarfilm „Komponistinnen“ von Kyra Steckeweh und Tim van Beveren. Dieser beleuchtet neben den Lebensläufen der vier Komponistinnen Mel Bonis (1858-1937), Lili Boulanger (1893-1918), Fanny Hensel (1804-1847) und Emilie Mayer (1812-1883) vor allem auch die Frage, warum auch heute immer noch so wenig Stücke von Komponistinnen in der Klassikszene aufgeführt werden. Hier geht es zur Website des Films: „Komponistinnen“.
Für einen Konzertbesuch oder Städtetrip:
Die Landshuter Hofmusiktage wurden 1982 gegründet und sind eines der ältesten Festivals für Alte Musik in Bayern. In der Regel finden sie alle zwei Jahre statt und sind für Freunde und Freundinnen alter Musik ein beliebter Anlass, die niederbayerische Stadt und das eine oder andere Konzert zu besuchen.
Zum Weiterlesen:
Bereits vor einiger Zeit habe ich Peter Härtlings Buch über das Leben von Fanny Hensel-Mendelssohn mit großem Interesse gelesen, die als Komponistin immer im Schatten ihres berühmten Bruders Felix Mendelssohn-Bartholdy stand.
Auf der Singer Pur-CD „Among Whirlwinds“ ist auch ein Werk von ihr vertreten: „Nacht liegt auf den fremden Wegen“.
Peter Härtling, Liebste Fenchel!:
Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn in Etüden und Intermezzi
dtv
ISBN: 978-3423141956



„In der Musik hat Gott den Menschen die Erinnerung an das verlorene Paradies hinterlassen.“
(Hildegard von Bingen)
Da wäre ich gerne dabei gewesen. Ich liebe „Alte Musik“ 🙂
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Ja, es war wirklich großartig und hätte Dir bestimmt sehr gefallen. Gerade aber auch die Mischung mit zeitgenössischer Musik fand ich besonders reizvoll. „Singer Pur“ sind dieses Jahr wieder fleißig auf Tournee und greifen wieder richtig ins Konzertgeschehen ein, vielleicht hast Du ja mal die Möglichkeit, ein Konzert zu besuchen, es lohnt sich wirklich. Schönes Wochenende und herzliche Grüße!
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Danke Dir 😊 Ganz liebe Grüße zurück!
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Wie schön!
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Ja, es war wirklich sehr schön! 🙂
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