Aprilbowle 2022 – Eustasiusschnee und Feuerzauber

Der April begrüßte uns tatsächlich noch einmal mit Schnee – am 2. April – dem Namenstag des heiligen Eustasius, der lange Zeit als Gründer des bayerischen Kloster Weltenburg angesehen wurde, was mittlerweile jedoch als widerlegt gilt – hatten wir tatsächlich noch einmal eine weiße Winterlandschaft.
Im Laufe des Monats konnten wir dann jedoch den Frühling begrüßen: Osterglocken, Tulpen und Vergissmeinnicht lachen fröhlich aus den Gärten und in den Parks… und heben die Laune in nach wie vor düsteren Zeiten.

Einen fantastischen Feuerzauber durfte ich endlich – mit zwei Jahren pandemiebedingter Verspätung – im Landestheater Niederbayern erleben, denn die Ring-Produktion konnte mit „Die Walküre“ fortgesetzt werden. Eine extrem kurzweilige und sehr unterhaltsame Inszenierung, Musik zum Schwelgen und ein spielfreudiges, gut aufgelegtes Ensemble machten den Abend zu einem ganz besonderen Erlebnis.

Und auch vom Landshuter Schauspielensemble gab es die Premiere einer großartigen Produktion zu feiern mit einem Schauspiel von Thomas Jonigk nach Stefan Zweig’s Roman „Ungeduld des Herzens“, das als Studiostück in der intimen Atmosphäre des Landshuter Salzstadls besonders intensiv zur Geltung kam.

Neu für mich entdeckt habe ich diesen Monat den ZEIT Wochenend-Podcast „Und was machst du am Wochenende?“ und ich habe zwei Folgen gehört, die mir gut gefallen haben: und zwar die mit Axel Hacke, dessen Buch „Ein Haus für viele Sommer“ ich diesen Monat gelesen habe und das ich geliebt habe (mehr dazu später im Text und hier auf der Bowle) und die mit Ulrich Wickert, den ich sowohl als Journalist, aber auch als Krimiautor schätze (da er gerade einen weiteren Krimi fertiggestellt hat, darf ich mich hier wohl auch bald auf Neues aus seiner Feder freuen).

Der Lesemonat April war so vielfältig wie das Wetter draußen vor dem Fenster:
Von Lyrik, über Krimis und Reiseliteratur bis hin zu außergewöhnlichen und feinen Romanen war alles dabei und auch die Schauplätze haben mich erneut weit herumkommen lassen: ein Wallfahrtsort am Niederrhein, die Gaspésie-Halbinsel in Kanada, Helsinki, Hamburg, Sardinien, Montagnola im Tessin, die Insel Elba, französische Klöster, München und New York – all das in einem Monat, das kann nur Literatur. Wer gerne einmal sehen möchte, wohin mich meine bisherigen Kulturbowle-Lektüren schon geführt haben, kann jederzeit mal hier nach sehen: „Die Welt erlesen“.

Wundervolle und geradezu meditative Momente bescherte mir gleich zum Monatsbeginn der feine Lyrikband „Ein Vogelruf trägt Fensterlicht“ von Christine Langer: Ästhetische und sinnliche Gedichte, die erden und zur Ruhe kommen lassen – für mich die ideale Poesie für die Zeit zwischen Tag und Nacht.

Bernadette Schoog’s Roman „Marie kommt heim“ beschreibt die Rückkehr einer Frau in einen niederrheinischen Wallfahrtsort, dem sie vor vielen Jahren aufgrund der Enge den Rücken gekehrt hatte, um dort die Mutter beim Sterben zu begleiten, zu der sie nicht immer das beste Verhältnis hatte: eine Reise in die Vergangenheit und zu den familiären Wurzeln, die so manche, unerwartete Überraschung und Erkenntnis bereithält. Intelligent, fein beobachtet und sehr schön zu lesen.

Ging es in Schoog’s Buch um Mütter und Töchter, so könnte man durchaus eine Parallele zu Roxanne Bouchard’s „Die Korallenbraut“ sehen, das unter anderem auch eine Vater-Sohn-Geschichte erzählt. Aber als Kriminalroman, der auf der kanadischen Gaspésie-Halbinsel spielt und als zweiter Fall von Sergeant Morales erneut vor allem von der intensiven, maritimen Atmosphäre lebt, hatte diese Lektüre doch letztlich einen völlig anderen Charakter.

Absolut außergewöhnlich und in jeder Hinsicht sehr besonders war der Roman „Der Schildkrötenpanzer“ des finnischen Autors Mooses Mentula. Eine abenteuerliche Reise durch Raum und Zeit, in der die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion verschwimmen und so mancher totgeglaubte Erfolgsautor wieder zu neuem Leben erwacht. Ein schräg-skurriles literarisches Roadmovie aus Finnland!

Auf eine Zeitreise in die Vergangenheit schickte mich dann auch Hartmut Höhne’s Kriminalroman „Mord im Gängeviertel“, welcher die Sülzenunruhen in Hamburg 1919 als historischen Rahmen gewählt hat. Ein lehrreicher, für mich informativer und auch unterhaltsamer historischer Krimi, der ein spannendes Kapitel der Hamburger Stadtgeschichte wieder zum Leben erweckt.

Weiterhin in Krimilaune – doch in wärmeren, südlicheren Gefilden – durfte ich dann mit den nächsten beiden Büchern schwelgen:
Der mit großer Spannung erwartete zweite Fall von Gesuino Némus’ Sardinien-Krimireihe „Süße Versuchung“ schenkte mir sonnige und kurzweilige Lesestunden im kleinen Örtchen Telévras, das ich schon aus „Die Theologie des Wildschweins“ kannte. Durch den Zeitsprung in die Gegenwart – der erste Teil spielte im Sommer 1969 – und die neuen Figuren hat dieser Band einen anderen Charakter als der erste Teil und ist doch auf seine Art ebenfalls wieder etwas Besonderes – ein extravagantes, charmantes, sardisches Krimivergnügen!

Eine neue Ermittlerin und den Auftakt zu einer neuen Regio-Krimireihe im schönen Tessin durfte ich mit Mascha Vassena’s „Mord in Montagnola“ kennenlernen. Sympathische, intellektuelle Figuren, eine urige, sonnige und authentische Urlaubsatmosphäre in dem Tessiner Ort, der lange Hermann Hesse’s Wahlheimat war, literarische und kulinarische Anspielungen – für mich ein ideales Sommerbuch für einen Abend auf Balkon oder Terrasse – auch wenn ich ihn temperatur- und witterungsbedingt noch auf der Couch gelesen habe.

Die Italiensehnsucht und das Fernweh hat mich dann endgültig gepackt, als ich das wunderbare neue Buch von Axel Hacke „Ein Haus für viele Sommer“ gelesen habe, in dem er sein Ferienhaus auf der Insel Elba, aber vor allem auch seine Begegnungen mit den Menschen dort, beschreibt. Ein zauberhaftes, lichtdurchflutetes, fröhliches Buch, das glücklich macht und mit Sicherheit einer meiner Lesehöhepunkte in diesem Jahr sein wird. (Eine ausführliche Rezension wird folgen.)

Wer nach etwas Ruhe in unruhigen Zeiten sucht, kann sich – wie ich es diesen Monat getan habe – in die Obhut der Reiseliteratur von Patrick Leigh Fermor begeben: in seinem schmalen Band „Eine Zeit der Stille – Zu Gast in Klöstern“, beschrieb er 1957 seine Erfahrungen, die er bei mehreren Aufenthalten als Gast in (vorwiegend) französischen Klöstern (u.a. einem Trappistenkloster) gemacht hat. Sprachlich sehr schön und besinnlich, so dass man auch als LeserIn die Welt um sich für die Zeit der Lektüre eine Weile vergessen kann.

Die letzten zwei Bücher des Monats standen ganz im Zeichen zweier besonderer Frauenfiguren:
Katharina Adler’s Roman „Iglhaut“, der im Mittelpunkt eine stachlige, eigenwillige Frau hat, die in einem Münchner Hinterhof eine kleine Schreinerwerkstatt betreibt und dort neben ihren eigenen Problemen auch die Sorgen, Nöte und unterschiedlichsten Lebensumstände der anderen Mieter des Hauses hautnah mitbekommt. Ein buntes Kaleidoskop an Erzählsträngen und Figuren, ein facettenreiches Spiegelbild unserer Gesellschaft mit einem ganz eigenen, besonderen Charme.

In jeder Hinsicht außergewöhnlich und besonders ist auch Tante Mame, der Star in Patrick Dennis’ Roman „Darling – Meine verrückte Tante aus New York“ aus dem Jahr 1955, der jetzt durch eine Neuauflage ein Revival für deutschsprachige Leser erfahren könnte. Ein lustiger, humorvoller Roman über eine gewitzte Lebenskünstlerin und Lebedame aus New York, die ihren Neffen und Ziehsohn mehr als einmal in die Bredouille bringt. Ich werde Euch diese spannende Dame bald näher vorstellen.

Was bringt der Mai?
Dieser Monat steht bei mir im Zeichen von kulturellen Nachholterminen und ich hoffe sehr, dass jetzt alles klappt:
Ein Stück im „Kleinen Theater“ bzw. den Landshuter Kammerspielen – „Die Geierwally“ als Ein-Personen-Stück mit Barbara Kratz unter der Regie von Diana Anders.
Nach zweimaliger Verschiebung finden nun hoffentlich endlich auch die ursprünglich für 2020 geplanten 20. Landshuter Hofmusiktage – ein europäisches Festival alter Musik – statt, das dieses Mal unter dem Motto „Frau Musica – Musik von, mit und über Frauen“ steht.
Am Landestheater Niederbayern hoffe ich im zweiten Anlauf auf die heiß ersehnte Premiere des Musicals „Me and my girl“, die wegen Erkrankungen im Ensemble vom März auf Mai verlegt werden musste.

Und auch einen Film habe ich mir wieder notiert: Am Sonntag, den 22. Mai 2022 zeigt ARTE um 20.15 Uhr „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“ – ein Thriller nach wahren Begebenheiten und mit einer Dokumentation im Anschluss.

Das heißt der Mai hat kulturell einiges zu bieten und vielleicht kann auch die „Draußen-Lese-Saison“ endlich eröffnet werden. Denn lektüretechnisch freue ich mich jetzt verstärkt auf sommerliche Literatur und habe schon viel Schönes zum Schmökern bereitgelegt.

Ich wünsche allen einen kulturell und literarisch abwechslungsreichen, wunderbaren, gesunden, freundlichen und friedlichen Mai!

Die ausführlichen Rezensionen sind jeweils auf den farbig hinterlegten Titeln verlinkt und ein Klick führt direkt zum jeweiligen Beitrag, wo dann auch die entsprechenden bibliographischen Angaben zu finden sind.

Gaumen-Highlight April:
Es ist Bärlauch-Zeit! Eine schöne Zubereitungsmöglichkeit sind Bärlauch-Käsespätzle – die bringen Farbe auf den Teller und schmecken wunderbar. Einfach bei der Zubereitung des Spätzleteigs den Bärlauch hinzufügen und pürieren.

Musikalisches im April:
Es gibt ein wunderbares Musikstück des Herbert Pixner Projekts, das mich auch zur Überschrift meiner Aprilbowle (bzw. dem Eustasiusschnee) inspiriert hat und zwar „Antoni Schnee“ – stimmungsvoll zauberhafte Musik aus den Alpen und nur eines der vielen großartigen Stücke dieser Formation.

Leise zieht durch mein Gemüt

Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied.
Kling hinaus ins Weite.

Kling hinaus, bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen.
Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich laß sie grüßen.

(Heinrich Heine)

12 Kommentare zu „Aprilbowle 2022 – Eustasiusschnee und Feuerzauber

  1. Liebe Barbara, ich drücke dir die Daumen, dass es mit den Theaterveranstaltungen diesmal klappt und du viel nachholen kannst! Ich habe sofort deine Filmempfehlung bei Arte notiert, es gibt dort anscheinend auch die Version OmU ‒ Original mit Untertiteln dürfte im Fall eines italienischen Films für uns die richtige Wahl sein. Den Schauspieler Pierfrancesco Favino mögen wir sehr, seine Teilnahme ist eine Qualitätsgarantie.
    Einen sonnigen Mai wünsche ich dir! Ciao Anke

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    1. Liebe Anke, schön, dass ich mal wieder eine Filmempfehlung ausssprechen konnte, von der Du auch in Italien profitieren kannst. Ich bin schon sehr gespannt auf den Film – die Vorschusslorbeeren sind groß… und wenn Du auch noch eine Qualitätsgarantie (für den Schauspieler) aussprechen kannst, freue ich mich um so mehr. 😉 Buona serata und ganz herzliche Grüße! Barbara

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    1. Danke, liebe Anna! Ja, ich freue mich auch: der April war echt vielseitig – nicht nur wegen des Wetters 😉 – und ich bin auch erstaunt und erfreut, welche Bandbreite literarisch dann doch wieder zusammengekommen ist. Dir wünsche ich viel Freude bei der Lektüre von Patrick Leigh Fermor: mich hat vor allem seine schöne Sprache und seine herausragende, punktgenaue Art zu Beschreiben (egal ob Menschen, Gebäude, Stimmungen oder Natur) beeindruckt. Herzliche Grüße und einen guten Start in den Mai! Barbara

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  2. Katharina Adler und vor allem Axel Hacke stehen auch weit oben auf meiner Leseliste. Ich bin gespannt auf Deine Rezension zu „Ein Haus für viele Sommer“ (ein solches hätte ich auch sehr gerne).

    Viele Grüße
    Christoph

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    1. Lieber Christoph, ja so ein Domizil in Italien erträumen sich viele – wenn man das Buch liest, merkt man jedoch auch, dass Eigentum verpflichtet und auch mit Arbeit verbunden ist. 😉 So kann Axel Hacke auch ein Lied von undichten Dächern und zeitintensiven Müllentsorgungsplänen singen. Aber das Buch ist großartig, macht unglaubliche Lust auf einen Italienurlaub (ob nun im Ferienhaus oder im Hotel) und mich hat es einfach nur glücklich gemacht. Die ausführliche Rezension ist fest geplant und folgt hoffentlich in Bälde.
      Herzliche Grüße!
      Barbara

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      1. Man stellt sich das mit dem Ferienhaus wahrscheinlich „romantischer“ vor, als es tatsächlich ist. Nachbarn von mir haben seit vielen Jahren ein kleines Haus auf Sardinien. Früher hatten sie kaum Zeit, sich darum zu kümmern und mit dem Beginn ihres Ruhestands fing die Corona-Pandemie an. Jetzt verbringen sie endlich den ersten kompletten Sommer dort, denken aber dabei schon an die Zukunft. Mit zunehmendem Alter wird das alles ja auch nicht einfacher…

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      2. Das stimmt. Aber Axel Hacke mischt in seinem Buch auch Romantik mit Realismus… daher kann ich Dir das Buch wirklich uneingeschränkt empfehlen. Meine ausführliche Rezension wird bald folgen und sie wird begeistert und schwärmerisch ausfallen – soviel kann ich schon verraten. 😉 Schönes Wochenende und herzliche Grüße!

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  3. Bin gespannt, Barbara. Bei dem Wetter hab ich oft echt das ‚Problem‘, dass es mich eher rauslockt, als zum Lesen zu animieren….Du hast Dir ja was vorgenommen. Wobei zumindest die Tessiner Kommissarin auch bei mir wartet.
    Wünsch viel Vergnügen und ein schönes Wochenende.

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    1. Danke, Nicole! Ja, mal sehen, wie sich der Mai gestalten wird. Vielleicht wird die Leseausbeute da wetterbedingt auch anders ausfallen, wir werden sehen. Der Tessin-Krimi passt aber wie gesagt perfekt für die Lektüre draußen im Liegestuhl… ein leichtes, vergnügliches Sommerbuch! Viel Spaß beim Lesen! Dir wünsche ich auf jeden Fall einen schönen Mai und natürlich ein wunderbares, entspanntes Wochenende! Herzliche Grüße, Barbara

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