Gefährliches Gemälde

NS-Raubkunst, ein verschwundenes Gemälde, ein Toter in einem Hotelzimmer – der erste Fall für den Kunstexperten Lennard Lomberg „Das neunte Gemälde“ von Andreas Storm hat alles, was ein packender Kunstkrimi braucht.

Paris 1943, Bonn 1966 und diverse Orte in der Kunstwelt Europas im Jahr 2016 – der Kriminalroman nimmt den Leser mit auf eine atemlose Reise in die Vergangenheit und die internationale Kunstszene.

Lennard Lomberg ist Experte auf seinem Gebiet: Er hat über NS-Beutekunst promoviert, zwanzig Jahre lang in einem renommierten Londoner Auktionshaus gearbeitet und sich einen Namen gemacht, bevor er als Professor in die alte Bonner Heimat zurückgekehrt ist. Als er daher kontaktiert wird, um bei der Rückgabe eines kubistischen Gemäldes zu unterstützen, das sich wohl zu Unrecht im Besitz einer französischen Stiftung befinden soll, wundert ihn das zunächst nicht. Doch der rätselhafte Auftraggeber wird schon bald tot in einem Hotelzimmer aufgefunden.

Und schnell wird der Fall persönlicher als Lomberg lieb ist, denn sein eigener Vater, der während des zweiten Weltkriegs bei der Wehrmacht diente und später für das BKA und als Generalbundesanwalt der Bundesrepublik in höchster Position gearbeitet hat, scheint in die undurchsichtigen Machenschaften im Zusammenhang mit jenem Bild verstrickt gewesen zu sein.

Daher beginnt er, der bald selbst in den Fokus der Ermittlungen gerät und Besuch von der ambitionierten Kriminalrätin Sina Röhm erhält, auch aus eigenem Interesse in dem brisanten und sich immer mehr zuspitzenden Fall Nachforschungen anzustellen.

„(…) es gibt da draußen irgendwo einen Typen, der einem kunsthistorischen Geheimnis auf die Spur gekommen ist. Ein Geheimnis, das seit langer Zeit bestens gehütet wird. Und das heute für große Aufmerksamkeit sorgen würde, wenn es denn gelüftet würde. Und es gibt dann auch noch ein paar Leute, für die es besser wäre, wenn das Geheimnis auch ein solches bliebe.“

(S.106)

Besonders interessant fand ich die Hintergründe zur Galerie nationale du Jeu de Paume in Paris, die den deutschen Besatzern als Umschlagsort für Raubkunst und die beschlagnahmten Werke aus jüdischem Besitz diente.
Die Idee, die unübersichtlichen Vorgänge während der dunklen Zeit dort zum Ausgangspunkt eines Kriminalfalls werden zu lassen und ein verschwundenes Gemälde ins Zentrum des Romans zu stellen, finde ich großartig.

Der temporeiche und wilde Ritt zwischen verschiedenen Zeitebenen und Handlungsorten erinnert in der Umsetzung aufgrund der beschriebenen Schauplätze und der Figurenzeichnung durchaus an den einen oder anderen James Bond-Film. Zum einen aufgrund der geschilderten Kunstszene und der Welt der Reichen, Schönen und Mächtigen mit viel Hochglanz, teuren Autos und Modemarken – für meinen Geschmack wäre es jedoch nicht unbedingt nötig gewesen, so häufig die Namen von Luxusmarken einzustreuen. Und auch wegen der etwas scherenschnittartigen Frauenfiguren, die meiner Meinung nach wie so manches Bond-Girl ebenso etwas mehr Profil vertragen hätten.

Storm, der langjähriger Geschäftsführer und Partner einer Kommunikationsagentur ist, hat unglaublich viel hineingepackt in seinen Erstling und man spürt, dass er selbst – wie er auch im Nachwort schreibt – „pure Freude“ beim Schreiben dieses Romans hatte. Da ist der geschichtliche Hintergrund während der Besatzungszeit in Paris und der Aspekt des nationalsozialistischen Erbes in der Bundesrepublik während der Sechziger Jahre mit Bonn als Hauptstadt bis hin zum Brexit, der ebenso thematisiert wird. Da ist aber auch das Interesse für Kunst, Gemälde und die Malerei von Picasso, Braque und Derain – gleich der vorangestellte Prolog ist einer Szene aus dem wahren Leben dieser Künstler gewidmet, schafft einen Rahmen für den folgenden Krimi und wird zu einer Schlüsselszene.

All das in Verbindung mit einer weltgewandten – stellenweise leicht versnobten – Hauptfigur, die sich souverän ihren Weg durch die undurchsichtigen Ermittlungen bahnt – auch wenn dabei das eine oder andere unangenehme, dunkle Familiengeheimnis ans Tageslicht kommt.

Diese Fülle an Themen, Handlungssträngen, Figuren und Szenenwechseln erfordert ein wenig Konzentration beim Lesen, aber sorgt durch das Tempo und die Vielseitigkeit auch für die nötige Spannung, die fesselt und über die 400 Seiten hinweg dranbleiben lässt.

Spannend, intelligent konstruiert und rasant erzählt, so dass kunstaffine Krimifans mit etwas Interesse für die deutsche Geschichte sicher ihre Freude daran haben werden.
Andreas Storm hat mit „Das neunte Gemälde“ zweifelsohne einen spektakulären und effektreichen Auftakt zu einer neuen Krimiserie geschaffen, der Potenzial für weitere Fälle bietet. Der nächste Band mit Lennard Lomberg „Die Triade von Madrid“ soll im Sommer 2023 erscheinen.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Andreas Storm, Das neunte Gemälde
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-00388-8

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Das neunte Gemälde“:

Für den Gaumen:
Der Roman springt zwischen verschiedenen Zeitebenen und Schauplätzen. Auch kulinarisch wird ein weiter Bogen gespannt zwischen Lomberg’s Vater, der 1966 im Bonner Kanzlerbungalow mit bodenständigem Bienenstich bewirtet wird und seinem Sohn Lennard, der aufgrund der langen Zeit, die er in England verbracht hat eine besondere Vorliebe für schwarzen Tee einer britischen Marke (die ich jetzt nicht explizit nenne) entwickelt hat, z.B. Ceylon Orange Pekoe.

Für einen Museumsbesuch im Frankreichurlaub:
Im Musée d’Art Moderne de Céret werden mehr als 50 Werke von Picasso, aber auch von Chagall, Miró und zahlreichen weiteren modernen Künstlern gezeigt.
Im Roman ist das Museum im Süden Frankreichs einer der Handlungsschauplätze.

Zum Weiterlesen:
Das Genre Kunstkrimi erfreut sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit. Auch ich habe hier auf der Kulturbowle bereits die Werke von Bernhard Jaumann vorgestellt, der ebenfalls eine Reihe mit Krimis in der Kunstszene gestartet hat. Auftakt dieser Reihe ist „Der Turm der blauen Pferde“:

Bernhard Jaumann, Der Turm der blauen Pferde
Galiani Berlin
ISBN: 978-3-86971-141-6

Ein Kommentar zu „Gefährliches Gemälde

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