Wiener Krimiköstlichkeit

Schon der Auftakt von Constanze Scheibs Krimi-Reihe um die gnä’ Frau Helene Ehrenstein hatte mich überzeugt und um so größer war jetzt die Freude auf den zweiten Fall „Keine schöne Leich“, den ich mir erneut mit großem Genuss habe auf der Zunge zergehen lassen. Ein Wiener Krimischmankerl für alle, die unblutige und gewitzte Krimiunterhaltung und die österreichische Hauptstadt lieben.

Zwischen Schanigarten, Kaffeehaus, Heurigen und zwielichtigen Nachtlokalen ermittelt die gnä’ Frau wieder unterstützt durch ihr Dienstmädchen Marie in ihrem zweiten Fall, der sie nicht nur in die vielseitige Wiener Gastronomie, sondern auch auf den legendären Zentralfriedhof führt.

„Aber das ist noch lange kein Grund, eine Todsünde zu begehen. Noch dazu hier! Ich habe zwei Kriege und zwei Ehemänner überlebt, dagegen ist eine armselige Trauerfeier eine Lappalie!“

(S.51)

Und dort wird ihr schon gleich zu Beginn des Buchs bei der Beerdigung eines weitschichtigen Bekannten der Familie und dem folgenden Leichenschmaus klar, dass ihre Lust am Detektivspielen und ihr krimineller Spürsinn auch in dieser Angelegenheit wieder gefragt sind. Denn nach einem natürlichen Tod sieht das Ganze für sie nicht aus und auch im Umfeld gibt es einige Verdächtige, die durchaus Motive gehabt hätten, den älteren Herren ins Jenseits zu befördern. Und lange bevor auch nur irgend ein Kieberer Verdacht schöpft, ist die gnä’ Frau, die über ihre ganz eigenen, unkonventionellen Methoden verfügt, die Menschen zum Sprechen zu bringen, schon wieder mittendrin im kriminellen Geschehen.

„Was hast g’sagt?“, krächzte ihr Mann neben ihr.
„Ich hab g’sagt, dass es komisch ist, dass du plötzlich immer gut hören kannst, wenn Frauen mit tiefem Dekolleté mit dir reden.“

(S.105)

Und so erfährt die Leserschaft nicht nur, was ein Pompfüneberer oder ein G’frastsackl ist, sondern kommt an der Seite von Helene Ehrenstein und ihrer Marie auch an schöne Orte in Wien und Umgebung: in den Schanigarten des Hotel Sacher neben der Oper, ins Kunsthistorische Museum oder in ein stimmungsvolles Heurigenlokal in Sievering.

„Vielleicht solltest du dich nicht in Dinge einmischen, mit denen du dich nicht auskennst, Helene.“, sagte ihr Schwiegervater. „Lies lieber deine kleinen Bücher, das strengt dein hübsches Köpfchen nicht so an.“ Frau Ehrenstein hätte ihm jetzt am liebsten wie José Ferrer in der Schlussszene von ‚Die Caine war ihr Schicksal‘ zuerst freundlich zugeprostet und dann aus dem Handgelenk den Brandy ins Gesicht geschüttet.“

(S.148)

Scheibs Krimi ist eine wahre Wundertüte – oder sollte ich besser Stanitzel schreiben – voller musikalischer, filmischer und kulinarischer Zuckerl und Querbezüge und somit genau nach meinem Kulturbowlen-Geschmack. Eine inspirierende, lustige und gut gelaunte, ein wenig wild-schräge Mischung mit viel Siebziger Jahre-Zeitgeist, einer gewissen zeitlosen k. u. k.-Seligkeit und ganz viel Wiener Schmäh und Lokalkolorit. Zudem – als Sahnehäubchen auf der Torte – verfeinert mit einer großen Portion Humor, die mich zum Schmunzeln und zum Lachen bringt.

„Sein Vater sprach das Wort aus, als würde er jemandem dabei zusehen, wie er Trüffel auf eine Käsekrainer rieb. Ihm war klar, dass es theoretisch möglich war, doch er begriff nicht, warum das jemand machen sollte.“

(S.147)

Wenn man genau liest, kann man zwischendrin auch ein paar leisere, nachdenklichere Töne heraushören – denn 1972, das Jahr in dem „Keine schöne Leich“ spielt, beschäftigt unter anderem das Münchner Olympia-Attentat die Öffentlichkeit und man erfährt am Rande auch ein wenig über die ungarische Bevölkerung, die 1956 und 1957 nach Österreich geflüchtet war.

Für Wien-Fans und Freunde von amüsanten, witzigen und satirischen Krimis, die sich selbst nicht zu ernst nehmen und über sich selbst lachen können, ist diese Reihe um die gnä’ Frau zweifellos eine grandiose Wahl. Man spürt bei jeder Zeile, wie viel Vergnügen die Autorin wohl selbst beim Schreiben hatte. Schräge, liebenswürdige Figuren, skurrile Situationen und „saftige G’schichtln“ (S.99) im herzallerliebsten Wiener Dialekt (keine Angst! Für ungeübte gibt es ein Glossar am Ende des Buchs). Ein Buch, das in jeder Hinsicht ein wirkungsvolles Heilmittel gegen „marode Laune“ (S.7) ist.

Ein Krimi wie ein Stückerl Sachertorte mit Schlagobers – einfach herrlich, zum Reinlegen, viel zu schnell verschlungen und ein köstlicher Genuss mit dem sofortigen Verlangen nach mehr. Bleibt zu hoffen, dass Constanze Scheib die gnä’ Frau noch auf weitere Ermittlungen schicken und es eine Fortsetzung geben wird. Ich wäre auf jeden Fall wieder mit dabei, denn das sind unterhaltsame, stimmungsaufhellende Krimis ganz nach meinem Geschmack.

Mit diesem Buch habe ich einen weiteren Punkt meiner 22 für 2022erfüllt – Punkt Nummer 5) auf der Liste: Ich möchte einen Kriminalroman lesen. „Keine schöne Leich“ war leichtfüßige, unblutige Krimiunterhaltung vom Feinsten, die mich mit Charme, Witz und Esprit sehr gut unterhalten hat.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Oktopus (bei Kampa) Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Constanze Scheib, Keine schöne Leich
Oktopus
ISBN: 978 3 311 30027 4

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Constanze Scheibs „Keine schöne Leich“:

Für den Gaumen:
Die Autorin entführt auch kulinarisch ins Wien der Siebziger Jahre – so gibt es zum Beispiel russische Eier, jedoch auch viele Gerichte, die heute immer noch zu den absoluten Klassikern zählen und die aus den Wiener Kaffeehäusern nicht wegzudenken sind, wie zum Beispiel die Malakofftorte (auf Claudias Blog MyClaudStories gibt es ein Rezept).
Doch es bleibt abwechslungsreich: Beim Heurigen gibt es Wachauer Weckerl (hier gibt es auf dem Plötzblog ein Rezept zum Nachbacken für zu Hause) und im wilden Nachtleben einen Singapore Sling.

Zum Weiterhören (I):
Auf dem Ehrensteinschen Plattenteller dreht sich dieses Mal ein Lou Reed Album: Über den Song erfahren wir nichts, aber vielleicht ist es ja „Walk on the Wild Side“, der genau im Jahr 1972 herauskam, in welchem auch „Keine schöne Leich“ spielt.

Zum Weiterhören (II):
Beim Sieveringer Heurigen darf natürlich die Schrammelmusi und so mancher unvermeidlicher Heurigen-Schlager nicht fehlen. Da erklingt dann „Es wird ein Wein sein, und wir wer’n nimmer sein“ oder „Mei Naserl is so rot, weil i so blau bin“.

Zum Weiterschauen oder für einen Museumsbesuch:
Helene führen ihre Ermittlungen dieses Mal auch ins Kunsthistorische Museum, wo sie sich vor allem die beiden Gemälde Allegorie der Eitelkeitund Allegorie der Vergänglichkeit des Delfter Künstlers Leonhard Bramer eingehend betrachtet.

Zum Weiterschauen:
Constanze Scheib schreibt auf ihrer eigenen Website von sich selbst, dass sie eine Schwäche – vor allem auch für ältere – Filme hat: So ist es wenig verwunderlich, dass auch ihre Hauptfiguren Helene und Marie diese Liebe zu Film und Kino teilen. Da wird dann schon gerne mal „Arsen und Spitzenhäubchen“ oder „Sherlock Holmes und die Frau in Grün“ geschaut.

Zum Weiterlesen bzw. vorher lesen:
Wer den ersten Band der Reihe um die gnä’ Frau und ihr Dienstmädchen Marie noch nicht kennt, der sollte auf jeden Fall vorher zu „Der Würger von Hietzing“ greifen, den ich letzten Herbst hier auf der Kulturbowle vorgestellt habe. Es lohnt sich, hier auch chronologisch in der richtigen Reihenfolge zu lesen bzw. am Anfang zu beginnen:

Constanze Scheib, Der Würger von Hietzing
Oktopus
ISBN: 978 3 311 30014 4

17 Kommentare zu „Wiener Krimiköstlichkeit

    1. Danke. Das freut mich, dass ich ein wenig gute Laune auch durch meine Rezension transportieren konnte. Etwas Stimmungsaufhellung können wir schließlich alle gebrauchen. Herzliche Feierabendgrüße!

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      1. Keine Frage, das Buch muss her und steht ohnehin schon länger auf der Wunschliste. Mal sehen, ob ich mich bis zur Taschenbuchausgabe gedulden kann. Danke für die Besprechung. Sonnige Wochenendgrüße! Anna von buchpost

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      2. Gern geschehen, Anna. Ja, ich mochte diesen zweiten Teil wirklich sehr. Wenn einen ein Buch einfach mal aus dem Alltag reißen, sofort in gute Laune versetzen und ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann, dann finde ich das gerade in diesen Zeiten einfach wunderbar. Und ein Faible für Wien habe ich natürlich auch… 😉 Ich wünsche Dir auch ein wunderbares, goldenes Herbstwochenende und sende ganz herzliche Grüße! Barbara

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    1. Sehr schön. Ich freue mich, wenn ich sogar aus so berufenem Mund bzw. von einem waschechten Wiener eine so positive Rückmeldung bekomme. Und es stimmt: humorvolle Krimis und österreichische AutorInnen, das geht hervorragend zusammen und es gibt weitere lesenswerte Beispiele. Herzliche (und ein wenig sehnsuchtsvolle) Grüße aus Niederbayern ins schöne Wien!

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    1. Dankeschön! Wenn ich mit meinem Beitrag ein wenig gute Laune verbreiten konnte, dann war es mir ein großes Vergnügen und geteilte Freude ist ja bekanntlich doppelte Freude… Schöne Abendgrüße!

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    1. Dankeschön, Bettina! Ja, das Buch hat mich wirklich in gute Laune versetzt – vermutlich merkt man das dann auch beim Schreiben der Rezension – und mir sehr vergnügliche Lesestunden beschert. Herzliche Grüße, Barbara

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    1. Das freut mich sehr, wenn ich Dir Lust auf das Buch gemacht habe. Ich finde, dass die Fortsetzung auf jeden Fall dem ersten Band das Wasser reichen kann. Ich hatte definitiv wieder sehr viel Spaß bei der Lektüre… viel Spaß beim Lesen und herzliche Grüße! Barbara

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  1. Ich bedanke mich herzlich, dass es meine Malakofftorte in deinen Rezensions-Beitrag geschafft hat 🙏🏻 Krimis sind erst seit einem Jahr meine neue (Hör)buch-Leidenschafft, vor allem wenn ich lange Strecken im Auto unterwegs bin. Und da liebe ich österreichische Autoren. Wenn ich also von Constanze Scheib ein Hörbuch finde, werde ich ihr gerne mein Ohr leihen.

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