Am 10. Februar 2023 würde Bertolt Brecht seinen 125. Geburtstag feiern und solche Jahrestage laden stets dazu ein, wieder einmal einen besonderen Fokus auf Leben und Werk eines Künstlers zu legen. Auch die bekannte Autorin Unda Hörner hat dieses Ereignis zum Anlass genommen, ein Buch zu schreiben, in dem sie allerdings vor allem den Frauen in Brechts Leben verstärkte Aufmerksamkeit zukommen lässt: „Brecht und die Frauen – Gefährtinnen, Geliebte, gute Geister“.
Und gerade der Untertitel trifft es in meinen Augen besonders gut, denn Hörner arbeitet heraus, welche Rollen, Funktionen und Aufgaben die zahlreichen Frauen in Brechts Lebenstheater spielten und übernahmen. Und schnell wird klar – die Grenzen waren hier oft fließend: amouröse, erotische Eskapaden, Arbeitsbeziehungen, Freundschaften – bei Brecht ging dies häufig Hand in Hand.
„Brechts Frauen sind das Gegenbild zur klassischen Muse, die vielleicht Geliebte ist, aber stets jenseits des Arbeitsprozesses bleibt. Brechts Werk ist weiblich.“
(S.127)
Die Autorin führt ihre Leserschaft chronologisch durch die verschlungenen Liebes- und Lebenspfade Brechts und beschreibt – unterstützt durch aussagekräftige und bezeichnende Anekdoten – die wichtigsten Beziehungen und prägendsten Frauen im Leben des Künstlers, ohne die sein Werk nicht denkbar wäre.
Beginnend bei seiner ersten, großen Jugendliebe Paula Banholzer (mit Spitznamen Bi) in Augsburg, die 1919 Brechts erstes und uneheliches Kind auf die Welt brachte und der er noch 1953 das zauberhafte Gedicht „Gleichklang“ widmen wird, erzählt Hörner, welchen Einfluss die jeweiligen Frauen auf Brecht und sein Schaffen hatten. Im Vergleich zu anderen Damen gelingt es Banholzer jedoch, sich Brechts Sog zu entziehen und später selbstbewusst ihr eigenes Leben zu leben, nachdem sie – wie später auch alle Nachfolgerinnen – feststellen muss, dass es ihr „Bidi“ mit der Treue nicht so genau nimmt und es einen monogamen, exklusiven Brecht nicht gibt und niemals geben wird. Bleiben werden jugendlich-stürmische Liebesbriefe, in welchen er sie unter anderem als „Futter meiner Bandwurmsätze, Du Sphinx meines Mondscheinnachtskahnfahrtentraumwahnsinns“ (S.13) bezeichnet.
Bereits während seiner Beziehung zu Banholzer verliebt sich Brecht in die Schauspielerin Marianne Zoff, die ebenfalls von ihm schwanger wird und die er 1922 heiratet. Die Ehe hält selbst auf dem Papier nur bis 1927 – später wird Zoff den berühmten Schauspieler Theo Lingen heiraten – und wird schnell überschattet, da Brecht bereits 1923 die Schauspielkollegin Helene Weigel kennenlernt.
Herrlich, wie Hörner das Kennenlernen der beiden schildert, als sie ihm, um einem Freund einen Gefallen zu tun, unbekannterweise eine Übernachtungsmöglichkeit gewährt.
„Anders als Paula Banholzer oder Marianne Zoff gelingt es der Weigel, Brecht als den zu sehen und zu lieben, der er ist – ein von nur wenig Skrupeln geplagter Mann, der die antibürgerliche Lebensweise gleichsetzt mit dem Recht, allen Frauen zur gleichen Zeit treu und untreu zu sein (…)“
(S.29)
Die gebürtige Wienerin und legendäre „Mutter Courage“, die zwei Kinder von Brecht bekommt und schließlich 1929 seine zweite Ehefrau wird, kann wohl rückblickend als sein Lebensmensch gesehen werden. Sie hält trotz zahlreicher Kränkungen und Nackenschläge stets zu ihm und wird als Witwe die Hüterin seines Vermächtnisses.
„Helene Weigel macht sich nach wie vor keine Illusionen darüber, dass sich die Lebensführung ihres Mannes durch eine Unterschrift auf der Heiratsurkunde ändern wird.“
(S.46)
Gerade die Schilderungen, wie Weigel das Privatleben, den Haushalt und die Fluchten nach Dänemark, Schweden und in die USA organisiert und stets den gesellschaftlich ungewöhnlichen Brecht-Laden zusammenhält, finde ich besonders gelungen.
Auch die treue Mitarbeiterin und Geliebte Margarete Steffin ordnete ihr Leben und Schaffen Brecht unter, bis sie schließlich im Alter von nur 33 Jahren ihrer Tuberkuloseerkrankung erlag.
Eigene Kapitel erhalten zudem sowohl Elisabeth Hauptmann, die entscheidend am Entstehen der Dreigroschenoper mitwirkte und bei welcher trotz anfänglicher amouröser Eskapaden am Ende vor allem eine Arbeitsfreundschaft mit Brecht entstand, als auch die Dänin Ruth Berlau, die er 1933 im Exil kennenlernte.
„Du wirst ihn nicht ändern, das ist wohl die Weisheit, die Helene Weigel ein Leben lang aufrecht hält an seiner Seite. Gelitten hat sie darunter freilich auch.“
(S.132)
Geburten, Fehlgeburten, Schwangerschaftsabbrüche, Ehen, Affären, Eifersuchtsszenen – Brechts Liebesleben ist turbulent und schwer zu überblicken und doch gelingt es Hörner sehr gut, hier einen einordnenden, sortierenden Überblick zu geben.
Besonders interessant empfand ich bei der Lektüre auch stets die Querbezüge zu Brechts Werken und den großen Anteil, den die Frauen an seinem Œuvre hatten. Dass sie gerade nicht nur als Muse fungierten, sondern oft aktiv mitarbeiteten, z.B. wird Margarete Steffin auch in „Leben des Galilei“ (in der mir vorliegenden Suhrkampausgabe) explizit als Mitarbeiterin genannt.
Und auch die zeitliche Einordnung und die Schaffung des Kontexts zu Ereignissen wie der Bücherverbrennung im Jahr 1933 und ähnlichen einschneidenden historischen Ereignissen, die sich – wie z.B. der Reichstagsbrand im Arturo Ui – ja ebenfalls in Brechts Werk niedergeschlagen haben, ist gut gelungen.
Der kompakte Band mit knapp 140 Seiten erhebt selbstverständlich nicht den Anspruch, die Geschichte bzw. die Lebensgeschichten der Frauen und ihre Beziehung zu Brecht im Detail und in aller Tiefe zu beleuchten, vielmehr ist es ein kleines, feines Buch, das ein Schlaglicht auf die wichtigen Frauen in Brechts Leben wirft und einen kurzweiligen, ersten Überblick geben kann. Ein Buch das unterhält, inspiriert und Lust macht auf mehr – mit einem Literaturverzeichnis am Ende, das nicht nur Quellenverzeichnis ist, sondern auch zum weiteren Schmökern anregt.
Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag ebersbach & simon, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.
Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Unda Hörner, Brecht und die Frauen
ebersbach & simon
ISBN: 978-3-86915-275-2
***
Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Unda Hörners „Brecht und die Frauen“:
Für den Gaumen:
Helene Weigel fiel oft die Aufgabe zu, für viele Leute zu kochen:
„Zu Weihnachten backt sie traditionell den berühmten Stollen“
(S.104)
Zum Weiterhören:
Im Buch nimmt auch die Entstehungsgeschichte der „Dreigroschenoper“ und der große Anteil von Elisabeth Hauptmann am Werk ein eigenes Kapitel ein. Die Musik von Kurt Weill ist seit der Uraufführung am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm unsterblich geworden und hat im wahrsten Sinne des Wortes die Welt erobert, wie zum Beispiel „Die Moritat von Mackie Messer“, die sicherlich jeder in unzähligen Versionen kennt.
Zum Weiterschauen:
2019 war die von mir sehr geschätzte Adele Neuhauser als Helene Weigel im Fernsehzweiteiler „Brecht“ von Heinrich Breloer zu erleben – eine grandiose Besetzung und ein hochinteressantes Filmprojekt, das ich allen, die es vielleicht damals nicht gesehen haben, wirklich empfehlen kann, sobald sich wieder einmal die Gelegenheit dazu bietet.
Zum Weiterlesen (I):
Natürlich weckt die Lektüre dieses Buchs auch die Lust und Neugier, sich wieder einmal mit Bertolt Brechts Werk zu beschäftigen. Anlässlich des 125. Geburtstags stehen seine Werke auch wieder verstärkt – und sind in der Regel ja ohnehin regelmäßig präsent – auf den Spielplänen der deutschsprachigen Theater. Das Landestheater Niederbayern spielt aktuell „Leben des Galilei“ – und es könnte kaum passender zum heutigen Beitrag sein – interessanterweise mit einer Frau in der Hauptrolle. Grund genug für mich, das Stück vorab noch zu lesen, um mich auf den Theaterabend vorzubereiten:
Bertolt Brecht, Leben des Galilei
edition suhrkamp
ISBN: 978-3-518-10001-1
Zum Weiterlesen (II):
Viele kennen Unda Hörner vermutlich bereits durch ihre großartige, zeitgeschichtliche Serie über Frauen in Kunst und Kultur in den Jahren 1919, 1929 und 1939. Den bisher letzten Band der Reihe „1939 – Exil der Frauen“ habe ich hier auch bereits auf der Kulturbowle vorgestellt und kann ihn wärmstens empfehlen:
Unda Hörner, 1939 – Exil der Frauen
ebersbach & simon
ISBN: 978-3-86915-268-4
Zum Weiterlesen (III):
Ich bin mittlerweile zu einem Fan der blue notes-Reihe von ebersbach & simon geworden. Die schön gestalteten Bücher in Halbleinenbindung sind nicht nur Schmuckstücke im Buchregal und haben ihren Namen inspiriert von den besonderen Zwischentönen im Jazz erhalten, sondern schenken stets auch anregende, inspirierende und kurzweilige, blaue Stunden zwischendurch. Hier auf meiner Bowle habe ich zum Beispiel schon Unda Hörners schönen Band über die Insel Hiddensee vorgestellt:
Unda Hörner, Auf nach Hiddensee! Die Bohème macht Urlaub
ebersbach & simon
ISBN: 9783934703605
Ich bin ja seit meiner Kindheit ein Brecht-Fan. Ins Schwanken kam meine Begeisterung als ich gelesen hatte, dass er Texte von einer Freundin als seine eigenen ausgegeben hat. Stimmt das? Habe Sie das was dazu gefunden?
LikeGefällt 1 Person
Ich muss zugeben, dass ich keine Brecht-Expertin bin – im Buch wird beschrieben, dass Brechts Arbeit oft Werkstattcharakter hatte und er oft sehr eng mit seinen Mitarbeiterinnen zusammengearbeitet hat. In einigen Werken wird die Mitarbeit explizit namentlich aufgeführt. Es gibt jedoch zweifelsohne auch kritische Artikel zu Brechts Einstellung bzgl. des Urheberrechts, u.a. beim Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunkkultur.de/geschichte-des-literarischen-diebstahls-100.html
oder der Welt: https://www.welt.de/print-welt/article572846/Mann-und-Brecht-klauten-meisterhaft.html
LikeGefällt 2 Personen
Vielen Dank! Ich lass‘ mir meinen Brecht eh nicht nehmen 🙂 Interessiert mich nur, da es mehrere bekannte Namen gibt, die sich mit fremden Federn geschmueckt haben.
LikeGefällt 1 Person
🙂 Ich bin vor allem auch sehr gespannt auf den bald anstehenden Theaterabend, denn Brecht muss man einfach live auf der Bühne erleben.
LikeGefällt 1 Person
Ich hatte das große Glück, die Zeit der Kellertheater in Wien miterleben zu duerfen. 🙂 Ja, Brecht gehoert auf die Buehne. Ich habe uebrigens einige seiner „Geschichten von Herrn K.“ ins Chinesische uebersetzt 🙂 Muss 1980 gewesen sein….
LikeGefällt 1 Person
Schon alleine das Wort „Kellertheater“ klingt spannend und setzt sofort das Kopfkino in Gang… beneidenswert. Bei Brecht muss ich mich aber eindeutig ans deutsche Original halten, da ich des Chinesischen leider nicht mächtig bin. Danke für die interessanten Erinnerungen!
LikeGefällt 1 Person
Danke für den Tipp und die schöne Besprechung. Mich an die Persona herangetraut, habe ich bislang nicht. Mir reicht eigentlich sein Werk – wahrscheinlich habe ich mich aufgehört für ihn als Mitmensch zu interessieren, als ich von ihm ein Zitat hörte, wo er mit Anfang zwanzig sein Jahrtausendwerk preist 🙂 … aber vielleicht wäre das Buch ja ein guter Anfang! Weiterhin hoffentlich ein schönes Wochenende!
LikeGefällt 1 Person
Danke, Alexander. 🙂 Das Schöne an diesem Buch ist ja gerade auch, dass Unda Hörner wirklich die Frauen in den Mittelpunkt stellt und somit auch die Wichtigkeit und ihren Stellenwert geraderückt bzw. klar macht, welch großen Anteil sie an Brechts Werk und Erfolg hatten. Wie gesagt, kann es mit knapp 140 Seiten ohnehin nur einen ersten Eindruck bzw. ein grundsätzliches Stimmungsbild vermitteln, aber mir hat die Lektüre Spaß gemacht. Dir wünsche ich auch ein wunderbares Wochenende mit hoffentlich interessanter Lektüre und sende herzliche Grüße!
LikeLike
Schönen Theater-Abend
und herzlichen Dank
LikeGefällt 1 Person
Dankeschön, Bernd.
Ich bin schon sehr neugierig darauf, denn die ersten Bilder und der Videotrailer auf der Homepage des Landestheaters sehen schon sehr vielversprechend aus. Herzliche Grüße!
LikeGefällt 1 Person