Sternenzauber im Theater

Am vergangenen Wochenende durfte ich eine Theatersternstunde im wahrsten Sinne des Wortes erleben, denn Bertolt Brechts Werk „Leben des Galilei“ ließ nicht nur den Himmel des Landshuter Theaterzelts im Sternenlicht erstrahlen, sondern auch die Inszenierung und geschlossene Ensembleleistung auf der Bühne war ein richtiges Theaterglanzlicht – für mich die bisher ergreifendste und schönste Produktion des Landestheater Niederbayerns in der Spielzeit 22/23.

Daher möchte ich heute zum einen wieder einmal meine Theaterbegeisterung hier teilen und in die Welt tragen, zum anderen schreibe ich diesen Beitrag aber auch einfach für mich selbst: Um zu versuchen, einen ganz besonderen Abend und einen wundervollen Theatermoment für die Ewigkeit festzuhalten – gleichsam durch das in Worte fassen und das Beschreiben meiner Eindrücke und Emotionen dem flüchtigen Erlebnis einer Theateraufführung einen stabileren Raum in meiner Erinnerung zu geben. Denn was man schreibt, bleibt und kann so die eigenen Erinnerungen für die Zukunft intensiver, farbiger und lebendiger erhalten.

Ich hatte das Stück vor dem Theaterbesuch gelesen, aber die eindrucks- und stimmungsvolle Umsetzung auf der Bühne, das gesprochene und gesungene Wort und die großartigen schauspielerischen Leistungen der Beteiligten machen vieles verständlicher, packen das Publikum viel stärker und treffen unmittelbar ins Herz, kurz: sind um ein vielfaches intensiver als es eine reine Textlektüre je sein kann.

Galilei: (…) Ich glaube an den Menschen, und das heißt, ich glaube an seine Vernunft! Ohne diesen Glauben würde ich nicht die Kraft haben, am Morgen aus meinem Bett aufzustehen.

(S.34)

Zum Inhalt möchte ich mich kurz fassen: Galileo Galilei kommt durch seine wissenschaftliche Forschungstätigkeit zu der Erkenntnis, dass die Erde nicht im Zentrum des Universums steht, sondern sich um die Sonne dreht. Eine Lehre, die in den Augen der Kirche Ketzerei ist. Als Galilei die Folterinstrumente der Inquisition gezeigt werden, widerruft er – zum großen Entsetzen seines treuen Schülers Andrea Sarti (in Landshut dargestellt durch Stefan Merten) – seine Thesen und zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Das Brechtsche Stück erfordert viel Personal auf der Bühne – es wimmelt von Kardinälen, Klerikern und Würdenträgern – und ist somit ein großes Ensemblestück, in welchem auch in Nebenrollen geglänzt werden kann. Herrlich zum Beispiel Reinhard Peers Auftritt als kindlicher Cosmo de Medici auf seinem „kleinen Wagen“ oder Joachim Vollrath als Papst in vollem Ornat.

Auch der für Brecht typische Chor ist durch Ensemblemitglieder und Statisten vertreten: es wird im Chor gesprochen und gesungen. Denn auch die Musik darf in einem Stück von Brecht natürlich nicht fehlen – in diesem Falle von Hanns Eisler interpretiert durch Daniel Zacher am Akkordeon und durch den Gesang der Darsteller und Darstellerinnen. Und auch weitere Elemente, wie z.B. große Pappmachéköpfe oder Verfremdungseffekte, lassen die Inszenierung zu einem typischen Brecht-Theatererlebnis werden.

Eine tiefe Verbeugung und großer Respekt gebührt jedoch vor allem der Hauptdarstellerin des Abends: Antonia Reidel. Ihre Interpretation des Galilei, ihre Bühnenpräsenz, ihre Ausstrahlung und ihr facettenreiches Spiel lässt die Figur leuchten, schillern, vibrieren, resignieren, inspirieren, verzweifeln. Eine unfassbare Energieleistung und eine schauspielerische Wandlungsfähigkeit, die das ganze Gefühlsspektrum in Mimik, Gestik und der Klangfarbe der Stimme auf der Bühne lebendig werden lässt. Chapeau!

Mit der Entscheidung, die Rolle des Galilei mit einer Frau und vor allem mit dieser Frau zu besetzen, lag der Regisseur Wolfgang Maria Bauer wirklich goldrichtig.
Antonia Reidel, die bereits seit 1996 Ensemblemitglied des Landestheater Niederbayerns ist, darf und kann in dieser Rolle so richtig glänzen.
Der Gedanke Bauers, der auch im Programmheft formuliert wird, dass es dem Stück zusätzliche Dramatik verleiht, wenn das Weltbild und die Glaubenssätze der Kirche und des Patriarchats durch eine Frau erschüttert werden, leuchtet ein und ist stimmig umgesetzt.

Ein großes Lob gebührt auch der Ausstattung und den Kostümen von Aylin Kaip, die durch Goldschattierungen in den sternförmigen Gewändern des Ensembles, durch einfache astronomische Formen bzw. Ringe in Kombination mit eindrucksvollen Lichteffekten der Beleuchtungs- und Bühnentechnik wirklich zauberhafte, geradezu magische Bilder auf der Bühne entstehen lässt, die sich einbrennen.

„Galilei: Ich sage Ihnen: Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher“

(S.81)

Es sind solche Sätze voller Wucht und Zeitlosigkeit, die den Atem rauben. Wie können Worte, die vor über 80 Jahren formuliert wurden (in Landshut wird übrigens die Berliner Fassung von 1955/56 gespielt, die immerhin auch schon über 65 Jahre alt ist) so treffend für unsere heutige Zeit sein?

„Andrea laut: Unglücklich das Land, das keine Helden hat! (…)
Galilei: Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

(S.113/114)

Es war faszinierend und wunderbar zu erleben, welche Aktualität das Stück auch heute noch hat und mit welcher Begeisterung und welch lange anhaltendem Applaus das Publikum in einem erfreulicherweise sehr gut gefüllten bzw. ausverkauften Theaterzelt auf die Aufführung reagierte.

Nach dem Stück arbeitet es in einem weiter und man sitzt auch zu Hause noch still, staunend und dankbar einfach nur da, lässt das Erlebte sacken. Auch wenn Brecht es dem Publikum verbietet, „romantisch zu glotzen“, hat dieser Theaterabend dennoch etwas Berührendes und Beseelendes.

Und wenn es bei mir nicht schon längst passiert wäre, wäre diese Inszenierung zweifelsohne Grund genug gewesen, dem Theater endgültig zu verfallen.

Eine Inszenierung gleich einem leuchtenden Stern am Theaterhimmel, den man unbedingt gesehen haben sollte, falls sich die Möglichkeit bietet.

Gesehen am 05. Februar 2023 im Landestheater Niederbayern (Theaterzelt Landshut)

Leben des Galilei“ ist in dieser Spielzeit noch an einigen Terminen in Landshut und Passau zu sehen. Genaue Daten und weitere Details findet man jederzeit auf der Homepage des Landestheater Niederbayern. Zudem findet ihr dort auch schöne Fotos und einen feinen, kurzen Videotrailer der Aufführung, wenn Ihr Euch ein Bild machen wollt.

Buchinformation:
Bertolt Brecht, Leben des Galilei
edition suhrkamp
ISBN: 978-3-518-10001-1

***

Wozu inspirierte mich bzw. woran erinnerte mich „Leben des Galilei“:

Für den Gaumen:
Galilei weiß Speis und Trank zu schätzen, sei es „ein ordentliches Stück Lammfleisch“ (S.40) oder ein guter Tropfen: „Der Hang ist steil und steinig, die Traube fast blau. Ich liebe diesen Wein.“ (S.87)

Und so konstatiert der Papst im Stück über Galilei:

„Zu einem alten Wein oder einem neuen Gedanken könnte er nicht nein sagen.“

(S.108)

Zum Weiterhören:
In der Landshuter Inszenierung wird die Musik von Hanns Eisler neben dem Gesang des Ensembles vor allem durch die Akkordeonklänge von Daniel Zacher interpretiert. Zwischendurch dürfen so z.B. auch einmal Tangoklänge die Szenen expressiv untermalen.

Zum Weiterlesen:
Vor kurzem habe ich Unda Hörners neues Buch über „Brecht und die Frauen“ hier auf dem Blog vorgestellt, das eine interessante Einstimmung auf den Theaterabend war und mir Brechts Lebensgeschichte und vor allem sein Verhältnis zu Frauen noch einmal näher gebracht hat:

Unda Hörner, Brecht und die Frauen
ebersbach & simon
ISBN: 978-3-86915-275-2

15 Kommentare zu „Sternenzauber im Theater

    1. Dankeschön, das freut mich, wenn der (subjektive) Beitrag gefällt. Wie gesagt, habe ich dieses Mal auch wirklich sehr stark für mich selbst geschrieben, um diesen schönen, flüchtigen Moment möglichst lange festzuhalten. Herzliche Grüße! Barbara

      Gefällt 1 Person

  1. Die Vorstellung klingt wirklich hervorragend. Ich habe Brechts „Leben des Galilei“ vor Jahren am Schauspiel Frankfurt gesehen und war auch sehr angetan — obwohl die Titelfigur in dem Fall von einem Mann gespielt wurde.

    Gefällt 1 Person

    1. Dankeschön. Ja, wie man vermutlich unschwer merkt, war ich „hin und weg“ von diesem Theatererlebnis – eine wirklich würdige und schöne Inszenierung zum 125. Geburtstag Brechts am morgigen 10. Februar. Und erfreulicherweise auch sehr gut besucht.
      Herzliche Grüße, Barbara

      Gefällt 1 Person

  2. Die Zitate passen wirklich unglaublich gut in die heutige Zeit.
    Es ist immer schön zu lesen und ansteckend, wie Du Deine Begeisterung über Gelesenes oder Erlebtes in Deinen Beiträgen ausdrückst.
    Auch meine Artikel im Blog sind gut für meine Erinnerung. Ein schöner Nebeneffekt: dass ich sie mit anderen teilen kann.
    Herzliche Grüße, Bettina

    Gefällt 2 Personen

    1. Danke, Bettina. Das freut mich sehr. Und es ist wirklich schön, wenn man die Freude über ein schönes Erlebnis teilen und es zugleich für sich selbst in Worte fassen und verarbeiten kann. Der Theaterbesuch und das Stück hallen immer noch nach. Herzliche Grüße aus dem frostig-kalten Niederbayern! Barbara

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  3. Liebe Barbara,
    hoffe, dass es im frostigen Niederbayern nicht allzu kalt und vielmehr temperiert war im Theaterzelt. BR2 hatte kürzlich einen Beitrag zu den Erneuerungen, Renovierungen und Sanierungen der Theaterhäuser mit den vielfältigen Herausforderungen und Problemen.
    Für Deine leidenschaftliche Schilderung der Aufführung mit den erlesenen Zitaten vielen Dank. Brechts Theater ist klasse!
    Was die Astronomie betrifft, mag ich gerne Galileis Zeitgenossen Nicolaus Copernicus beitragen, dessen Buch „De revolutionibus orbium coelestium“ – „Über die Kreisbewegungen der Weltkörper“ – 1543 in Nürnberg gedruckt worden war.
    Herzliche Grüße nach Landshut
    Bernd

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    1. Danke, lieber Bernd.
      Ja, wir sehnen uns in Landshut alle sehr nach einer guten Lösung für unser Theater, nach einem festen Haus im Herzen der Stadt. Leider zieht sich das jetzt schon viele Jahre hin und scheint eher, um Michael Endes großartiges Buch zu zitieren, eine „unendliche Geschichte“ zu sein. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, dass sich „doch noch etwas bewegt“.
      Vielen Dank auch für die astronomische Ergänzung mit Bezug zu Deiner Heimatstadt.
      Herzliche Grüße, Barbara

      Gefällt 1 Person

  4. Faszinierend aktuell. Vielleicht sollte ich es mal wieder lesen, das erste Mal war während der Schulzeit, da war es zwar eine der angesehensten Lektüren, aber die Nuancen konnten wir in der achten Klasse wohl doch noch nicht so würdigen. Irgendwo muss es noch im Regal schlummern (und sah vor 40 Jahren schon genauso aus).
    Danke für den schönen Bericht.
    Liebe Grüße
    Anja

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    1. Ja, das Stück ist wirklich zeitlos – genau wie das Layout der Suhrkamp-Klassiker. 🙂
      Danke Anja, für die schöne Rückmeldung und viel Freude bei der erneuten Lektüre – ich bin mir sicher, dass man völlig neue Aspekte entdecken wird… schon allein deshalb, weil man es im Kontext der aktuellen Situation mit anderen Augen liest. Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende! Barbara

      Gefällt 1 Person

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