Hockneys Paradies

Wie inspirierend Kunst sein kann und welche Neugier und welchen Wissensdurst ein Ausstellungsbesuch auslösen kann, konnte ich letzten Monat am eigenen Leib erfahren. Denn urplötzlich war ich im David Hockney-Fieber und wollte unbedingt mehr über den 1937 in Großbritannien geborenen Künstler erfahren.

Hochinteressant war daher vor allem die Lektüre des Buches „Frühling wird es sicher wieder“, das er gemeinsam mit seinem langjährigen Freund Martin Gayford verfasst hat, und das sowohl die Entstehung der Werke und des iPad-Frieses erzählt, die aktuell in „A Year in Normandy“ zu sehen sind und zudem tiefe Einblicke in Leben, Werk und Sichtweise des Künstlers gibt.

„Tatsächlich habe ich beschlossen, 2019 in der Normandie die Ankunft des Frühlings zu malen. Die Blütenfülle ist dort größer, man bekommt Äpfel-, Birnen- und Kirschblüten zu sehen, dazu Schlehdorn und Weißdorn. Darauf freue ich mich wirklich.“

(aus Hockney/Gayford „Frühling wird es sicher wieder“, S.6)

In Gesprächen, Briefen, E-Mails, SMS und Notizen, die im Buch zitiert werden und enthalten sind, tauschen sich die beiden aus und man bekommt tiefe Einblicke in Hockneys Art zu arbeiten, erfährt was ihn inspiriert. So wird sein Werk auch in Abbildungen in Bezug zu Werken anderer Künstler gesetzt, die ihn inspiriert haben.

Man ist vom ersten Moment an dabei, als er in Begleitung seiner Assistenten seine neue Wirkungsstätte „La Grande Cour“ in der Normandie entdeckt und bezieht.

„Ich glaube, ich habe ein wahres Paradies entdeckt. Im Moment ist dieser Ort perfekt für mich. Ich interessiere mich kaum für das, was andere Leute machen, sondern nur für meine eigene Arbeit. Ich glaube, ich stehe an der Schwelle zu etwas, da ergibt sich gerade eine andere Art des Zeichnens, und hier kann ich mich darauf einlassen. Das könnte ich nirgendwo sonst: nicht in London, Paris oder New York. Dazu muss man an einem Ort wie diesem sein.“

(aus Hockney/Gayford „Frühling wird es sicher wieder“, S. 36)

Der Künstler, der durch seine Vielseitigkeit besticht und bereits Buntglasfenster für die Westminster Abbey ebenso wie zahlreiche Opernbühnenbilder an renommiertesten Häusern (wie der New Yorker Met) gestaltet hat, aber vor allem durch seine Gemälde und Zeichnungen bekannt ist, entdeckt in Nordfrankreich sein persönliches neues Paradies, das ihn erneut zu völlig neuen Werken inspiriert.

„Anders gesagt, Hockney benutzt sehr neuartige Methoden, um einige der ewigen Themen der Kunst anzupacken: Bäume und Sonnenuntergänge, Felder und Sonnenaufgänge.“

(aus Martin Gayford „A Bigger Message“, S.8)

Es sind die Natur und die Abgeschiedenheit, die seine Kreativität geradezu zu befeuern scheinen. Im Buch wird auch geschildert, wie es zur Idee des 90 Meter langen iPad-Frieses kam, der unter anderem vom Teppich von Bayeux und asiatischen Werken inspiriert wurde.

„Die Chinesen sind sehr gut, was das Thema Kunst angeht. Ein Sprichwort von ihnen, das ich sehr liebe, lautet: Malen ist die Kunst des Alters, was bedeutet, dass die Lebenserfahrung, das Malen und der Blick auf die Welt reicher werden, wenn man älter wird.“

(aus Martin Gayford „A Bigger Message“, S.81)

Es ist auch die Zeit der Corona-Pandemie, die er in der Normandie verbringt. Er nutzt sie, um dort die Jahreszeiten zu malen. Es ist zauberhaft, wie er von Bäumen, Blüten und Sonnenuntergängen schwärmen kann.

„Hockneys Begeisterung ist ansteckend. Sie reißt nicht nur seine Freunde, Kunsthändler und Assistenten mit, sondern auch weite Teile der kunstinteressierten Öffentlichkeit.“

(aus Hockney/Gayford „Frühling wird es sicher wieder“, S.10/11)

Mich hat bereits in der Ausstellung, die unter anderem auch ein Video mit dem Künstler und die Entstehung der Werke zeigt, fasziniert, mit welcher Wachheit, welcher Aufgeschlossenheit gegenüber neuer Technik und Kunstformen und mit welcher Begeisterungsfähigkeit der weit über 80-Jährige dem Leben und der Welt begegnet.
Dieser Tatendrang und die unbändige Freude an Schönem, an der Natur, an der Inspiration, die Neugier, die Lebensfreude und Positivität haben mich nachhaltig beeindruckt.

„Doch wie Walter Gropius glaubt auch Hockney, dass es ohne Lust keine Kunst gibt. Er missbilligt die puritanische Haltung der Kunstwelt zur Sinnenfreude ebenso wie die Großspurigkeit der Engländer.“

(aus Hockney/Gayford „Frühling wird es sicher wieder“, S.68)

Seine Liebe zu Musik und Oper, seine Ansichten zur Kunst und Kunstgeschichte, seine Sicht auf Picasso, Bruegel, Klimt, Matisse und Co, all das habe ich mit Genuss regelrecht verschlungen und aufgesaugt wie ein Schwamm. Man bekommt einen Eindruck, wie Kunst entsteht und das Wort „farbenfroh“ bekommt eine neue Bedeutungsebene.

Die Lektüre von „Frühling wird es sicher wieder“ und dem bereits 2011 erschienen „A Bigger Message: Gespräche mit David Hockney“ habe ich selbst als ungeheuer bereichernd und inspirierend empfunden, doch meine Neugier ist ebenfalls noch lange nicht gestillt. Es gibt sicherlich noch vieles mehr von und über David Hockney zu entdecken – ich werde dran bleiben.

Buchinformationen:
David Hockney und Martin Gayford, Frühling wird es sicher wieder
David Hockney in der Normandie
Übersetzung aus dem Englischen von Dominik Fehrmann
Prestel
ISBN: 978-3-7913-7949-4

Martin Gayford, A Bigger Message
Gespräche mit David Hockney
Aus dem Englischen von Benjamin Schwarz
Piet Meyer Verlag
ISBN: 978-3-905799-18-7

***

Wozu inspirierten bzw. woran erinnerten mich die beiden Hockney-Bücher:

Für den Gaumen (I):
Bei seinem Besuch in der Normandie wird Autor Martin Gayford mit „französischen Spezialitäten“ (S.53) bewirtet:

„Es gibt ungepulte Riesenkrabben, eine große Scheibe Paté, ein üppiges Stück Schinken, Brot und Butter sowie eine Flasche Wein.“

(aus Hockney/Gayford „Frühling wird es sicher wieder“, S.53)

Für den Gaumen (II):
Und auch bei Martin Gayfords früherem Besuch im Atelier in England gab es landestypische Küche:

„Dann essen wir im Atelier zu Mittag, Fish ’n‘ Chips (…).“

(aus Martin Gayford „A Bigger Message“, S.89)

Für einen Ausstellungs- oder Museumsbesuch:
Auslöser für meine Hockney-Lektüre war eine wunderbare Ausstellung im Museum Würth 2 in Künzelsau, die mich sehr fasziniert hat: David Hockney. A Year in Normandy im Dialog mit Werken der Sammlung Würth, die noch bis zum 3. September 2023 zu sehen ist (der Eintritt ist frei).

Und auch in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall war aktuell neben vielem anderen Hockney zu sehen.

Die „A Year in Normandy“-Ausstellung ist aktuell im übrigen auch in Großbritannien in Salts Mill in Bradford (Yorkshire) noch bis zum 29. Oktober 2023 zu sehen. Einen schönen Blogbeitrag hierzu gibt es auf dem Fabfourblog.

Zum Weiterschauen und Weiterlesen (I):
Einen wunderbaren optischen Überblick in schöner Aufmachung bietet die Taschen-Ausgabe „David Hockney – Eine Chronologie“, in der seine wichtigste Werke in chronologischer Reihenfolge bis 2016 abgebildet und beschrieben sind. Die neuesten Normandie-Bilder sind darin noch nicht enthalten.

David Hockney – Eine Chronologie
Herausgegeben von David Hockney und Hans Werner Holzwarth
mit Jean-Pierre Gonçalves de Lima
Text und Übersetzung: Lutz Eitel
Taschen Verlag
ISBN: 978-3-8365-8650-4

Zum Weiterlesen (II):
Und da ich definitiv noch mehr Lust auf David Hockney habe, habe ich mir auch Catherine Cussets Romanbiografie „Hockneys Leben“ gegönnt, die jetzt hier auf einem Lektürestapel auf ihren Einsatz wartet:

Catherine Cusset, Hockneys Leben
Aus dem Französischen von Maja Ueberle-Pfaff
Oktaven
Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus GmbH
ISBN: 978-3-7725-3014-2

11 Kommentare zu „Hockneys Paradies

    1. Liebe Nina!
      Das stimmt. Manchmal packt es einen. Schön, dass Kunst das kann.
      Ma muss nur offen und neugierig sein. Ich bin immer wieder aufs Neue begeistert.
      Herzliche Grüße und ein schönes Sommerwochenende! Barbara

      Gefällt 1 Person

  1. Wir sind auch Hockney-Fans und haben deswegen Salts-Mill besucht.

    Salts Mill


    Dort kannst du nicht nur sein großes Bild aus der Normandie bewundern, sondern auch viele seiner neueren digitalen Werke. Wir sind dann auch zu den Orten gefahren, die Hockney in seiner Umgebung von Bradford (Saltaire) malte.
    Das Buch von Hockney und Gayford finden wir grundlegend für die Betrachtung von Kunst.
    Alles Gute vom kleinen Dorf am großen Meer
    The Fab Four of Cley
    🙂 🙂 🙂 🙂

    Gefällt 1 Person

    1. SORRY, mea culpa, mea maxima culpa – ich sah erst jetzt, dass du uns lieber Weise in deinem Blogbeitrag erwähnt hast. Herzlichen Dank 🙏🙏 auch für diese tolle Post zu Hockney.
      The Fab Four of Cley
      🙂 🙂 🙂 🙂

      Gefällt 1 Person

      1. Alles gut. Kein Grund sich zu entschuldigen. Es war mir ein Vergnügen, auch Euren Beitrag zu verlinken, so dass Hockney-Fans noch weiterschmökern können. Sehr gern geschehen! Herzliche Grüße ins kleine Dorf am großen Meer!

        Like

Hinterlasse einen Kommentar