Was für ein Auf und Ab! Wer wechselhaftes Wetter und Sommer wie Winter im Abstand von wenigen Tagen mag, der hatte an diesem April vermutlich seine wahre Freude. Denn von geradezu sommerlichen Biergartentemperaturen jenseits der 25 Grad-Marke bis hin zu Schneefall, einstelligen Tagestemperaturen und nächtlichen Minusgraden war alles mit dabei.
Im positivsten Sinne über die Bühne gewirbelt wurde auch in der deutschen Erstaufführung der Operette von Joseph Beer aus dem Jahr 1934 „Der Prinz von Schiras“ im Theater Regensburg. Es war ein wahrer Genuss, diese bislang unbekannte Operette mit viel Glanz, Glamour, Gesang und Tanz zu erleben. Wer noch die Möglichkeit hat, eine Karte für die verbleibenden Aufführungen zu ergattern: es lohnt sich!
In Landshut wurde wieder einmal an einem ungewöhnlichen Ort Theater gespielt und zwar im Neuen Plenarsaal der Stadt, in dem normalerweise die Stadtratssitzungen abgehalten werden. In dieser besonderen Location gab es das Schauspielprojekt der Landshuter Klimabühne von George Orwells Klassiker „Farm der Tiere“ unter der Regie von Thomas Ecker zu sehen. Orwells Roman erschien bereits 1945 und ist doch leider aktueller denn je – ein denkwürdiger Theaterabend!
Und auch im Landestheater Niederbayern ging es für mich klassisch – und mit einem weiteren Programmpunkt zum allgegenwärtigen Kafka-Jubiläum – weiter: „Der Prozess“ in der Fassung von Peter Weiss nach dem Roman von Franz Kafka. Schwere Kost – doch großartig umgesetzt und inszeniert vergingen die 90 Minuten wie im Flug und hallten doch auch noch um so länger nach.
Und auch filmisch gab es Berichtenswertes im April:
Im TV bzw. auf ARTE wurde der sehenswerte Film „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ über die Entführung von Jan Philipp Reemtsma ausgestrahlt, der auf dem Roman dessen Sohnes Johann Scheerer basiert und noch bis zum 11.05.2024 in der ARTE Mediathek abrufbar ist.
Und ich habe es tatsächlich ins Kino geschafft, um den italienischen Erfolgsfilm des letzten Jahres 2023 „Morgen ist auch noch ein Tag“ von Paula Cortellesi zu sehen, der einfach nur großartig ist! Wer es nicht glauben kann, dass ein Schwarz-Weiß-Film, der häusliche Gewalt gegen Frauen im Rom des Jahres 1946 thematisiert, auch heutzutage zum Kassenschlager werden kann, sollte unbedingt ins Kino gehen, um zu sehen warum. Ganz, ganz große Empfehlung!
In meinen Lektüren war unter anderem ein Frankreich-Schwerpunkt zu erkennen:
So war es wieder einmal Zeit für den von mir geschätzten Georges Simenon mit zwei Romanen um den pfeifenrauchenden Kultermittler aus Paris: „Maigrets Jugendfreund“ und „Mein Freund Maigret“. Von Zeit zu Zeit lese ich das wirklich gerne – schön, dass es noch so viele Bände zu entdecken gibt.
In die großen Fußstapfen des großen Kommissars tritt ja nun schon auch eine ganze Weile bzw. einige Bände lang, Commissaire Lacroix von Alex Lépic (alias Alexander Oetker). Eine Reihe, die ich von Anfang an verfolgt habe und die ich nicht mehr missen möchte. Auch „Lacroix und die Frau in der letzten Metro“ war wieder feine Krimiunterhaltung mit dem gewissen kulinarischen Etwas, Pariser Flair und dem richtigen Hauch von „Savoir vivre“. Kleine Kostprobe gefällig?
„Hier gab es die eine Boulangerie, den einen Weinladen, die eine Fleischerei, den einen Fischhändler und den einen Gemüsehändler, Alain hieß er, und er war sogar ein Freund von Lacroix. Und die Bewohner des Viertels, ob jung oder alt, frequentierten diese Läden und machten dort ihre täglichen Besorgungen, saßen danach noch auf einen café in einer der vielen Bars und schwatzten über die Neuigkeiten ihres Viertels. Es war tatsächlich wie in einem kleinen Dorf auf dem Land, nur eben umgeben von dreißig Millionen Touristen jährlich.“
(aus Alex Lépic „Lacroix und die Frau in der letzten Metro“, S.76)
Claire Léosts Roman „Der Sommer, in dem alles begann“ hingegen entführte mich in die Bretagne und erzählt eine spannende Geschichte über drei Frauen aus drei verschiedenen Generationen, deren Schicksalsfäden des Lebens sich nach und nach immer mehr verweben. Subtile Spannung in einer ursprünglichen und rauen Landschaft, die sich immer mehr entfaltet.
Ins Frankreich des 16. Jahrhundert ging es mit Nils Minkmars historischem Roman „Montaignes Katze“. Eine neue und unerwartete Sichtweise auf den Philosophen Michel de Montaigne, der 1584 in einem Land voller Unruhen gemeinsam mit seiner Frau Françoise und dem jungen Schreiber Nicolas eine besondere Mission bestehen muss.
„Philosophieren lernen heißt sterben lernen, ja, ja. Nun kommt mal zur Besinnung. Ihr habt sicher noch zehn gute Jahre, einen Auftrag, ein Schloss, ein Bürgermeisteramt, ein Buch, eine Tochter und nicht zu vergessen eine Ehefrau…“
(aus Nils Minkmar „Montaignes Katze“, S.176)
Die französische Autorin Amanda Sthers hat ihren Roman „Caffé Sospeso“ jedoch in Italien bzw. genau genommen in einer Bar in Neapel angesiedelt. Doch auch der dort gestrandete Karikaturist, der als stiller Beobachter – in sieben Episoden über vierzig Jahre hinweg – das pralle und wahre Leben der Stammgäste um ihn herum schildert, hat eine feine Beobachtungsgabe und philosophische Qualitäten. Sehr atmosphärisch, man hört die Kaffeemaschine zischen, die Tassen auf den Untersetzern klappern und sieht die Besucher wild gestikulierend im Gespräch…
Und ich blieb in Italien und reiste literarisch zurück ins Jahr 1906, in dem ein für damalige Verhältnisse gerade unerhörter und mutiger Roman von Sibilla Aleramo erschien: „Eine Frau“. Jetzt kann man in einer frischen deutschen Übersetzung nachlesen, wie klarsichtig und messerscharf sie damals bereits die Stellung der Frau in der Gesellschaft, Probleme und Ungerechtigkeiten analysierte. Faszinierend und leider in vielen Aspekten immer noch aktuell.
Über Narben der Erinnerung schreibt Kirstin Rubra in ihrem Debütroman „Keloid – Vom Überleben und Lieben“. Was passiert, wenn eine junge deutsche Medizinstudentin in Amerika auf den Vater ihres jüdischen Freundes trifft, der einst bei der Befreiung des KZ Dachaus beteiligt war … in Kürze werde ich das Buch ausführlicher hier vorstellen.
Vor allem sprachlich hochinteressant und eine außergewöhnliche Leseerfahrung war Alexandre Lecoultres „Peter und so weiter“ – in einem bunten Sprachengemisch, das die Dialekte und Sprachen der Schweiz schweizerdeutsch, französisch, italienisch usw. ineinander fließen lässt, hat die Übersetzerin Ruth Gantert den Charakter des ursprünglich französisch-basierten Buches hervorragend auf eine deutsche Basis umgesetzt. Und dieser Peter, der in einem Schweizer Dorf als Spüler in einem Lokal sein einfaches und unaufgeregtes Leben lebt – ohne sich von anderen all zu viel aus der Ruhe bringen zu lassen – und sein eigenes Ding macht, ist eine Hauptfigur, die beim Lesen ans Herz wächst. Überraschend anders, überraschend schön!
Höhere Erwartungen bzw. etwas mehr erhofft hatte ich mir hingegen persönlich von Stephan Schäfers Roman „25 letzte Sommer“. Wichtige und richtige Erkenntnisse, doch so manche Szene bzw. der hochtourige Spitzenmanager und Workaholic, der auf den Landwirt und Kartoffelbauern trifft und daraufhin seine Lebensweise hinterfragt, wirkte für mich stellenweise etwas zu aufgesetzt und leider für meinen Geschmack nicht authentisch genug. Der Funke ist bei mir nicht übergesprungen, obwohl ich den Titel und die Idee bzw. den Gedanken dahinter durchaus reizvoll finde.
Wenn es neue Krimi-Kost aus dem Tessin von Mascha Vassena gibt, bin ich gerne mit dabei. Im nun bereits dritten Fall für Moira Rusconi „Schatten über Monte Carasso“ verschwindet aus dem Wellnesshotel, in dem Papa Ambrogio zur Kur weilt, nicht nur eine Patientin spurlos, sondern es gibt auch sonst einiges zu ermitteln und zu klären. Unterhaltsam mit der Extraprise Urlaubsflair!
Wer Patrick Süskind vor allem aufgrund seines größten Beststellers„Das Parfum“ kennt, den mag das kleine Büchlein bzw. die Novelle „Die Geschichte von Herrn Sommer“ vermutlich überraschen. Für mich haben auch die feinen Illustrationen von Sempé, den ich sehr verehre, den Ausschlag gegeben, mir das Werk jetzt mal näher anzuschauen. Etwas Kurzes für Zwischendurch, wenn es auch mal ein paar Seiten weniger sein dürfen.
Und auch die Lesekreislektüre für den Mai habe ich schon frühzeitig im April gelesen: die Kombination der beiden schmalen Bände von Cees Nooteboom „Die folgende Geschichte“ und Jon Fosses „Morgen und Abend“ bieten sicherlich Stoff für eine spannende Diskussion.
Was bringt der Mai?
Im Landestheater Niederbayern bin ich sehr neugierig auf eine Operette, die ich noch nie live gesehen habe und die auch nicht so häufig auf Spielplänen steht: „Der Mikado“ von Gilbert und Sullivan.
Und als Fernsehtipp habe ich mir mal den Film „Ein verborgenes Leben“ mit August Diehl und Valerie Pachner am 20. Mai 2024 um 20.15 Uhr auf ARTE notiert.
Zudem freue mich auf frischen Wind, neue Eindrücke, eine Rückkehr des Frühlings und mehr Draußenzeit. Genießt den Mai mit Spargel und ersten Erdbeeren, mehr Zeit in der Natur, inspirierender Kunst und Kultur, wohlklingender Musik und natürlich mit feinen Lektüren! Kurzum: macht ihn zu Eurem persönlichen Wonnemonat!
Die ausführlichen Rezensionen sind jeweils auf den farbig hinterlegten Titeln verlinkt und ein Klick führt direkt zum jeweiligen Beitrag, wo dann auch die entsprechenden bibliographischen Angaben zu finden sind.
Gaumen-Highlight April:
Urlaubsgefühle gab es bei Cappuccino und Cornetto an einem der Sommertage dieses Aprils – ein Sonnenscheinmoment voller Lebensfreude und ein kleines Stückchen Italien in Niederbayern.


Musikalisches im April:
Und auch mein musikalisches Highlight diesen Monat kommt aus Italien, denn der Soundtrack von „Morgen ist auch noch ein Tag“ ist selbst schon einen Kinobesuch wert, auch wenn es leider keine CD bzw. kein Album zu geben scheint. Doch die Playlist, die hier auf Wikipedia zu finden ist, ist absolut hörenswert und lässt uneingeschränkt Italiensehnsucht aufkommen – ganz egal, ob es nun Lucio Dallas „La sera dei miracoli“, Fabio Concatos „M’innamoro davvero“, „Aprite le finestre“ von Fiorella Bini oder „A bocca chiusa“ von Daniele Silvestri ist.











Frühlingsankunft
Nach diesen trüben Tagen
wie ist so hell das Feld.
Zerrissne Wolken tragen
die Trauer aus der Welt.Und Keim und Knospe mühet
sich an das Licht hervor
und manche Blume blühet
zum Himmel still empor.Ja, auch sogar die Eichen
und Reben werden grün.
O Herz, das sei dein Zeichen
werde froh und kühn!(Joseph von Eichendorff)
Ein wunderbares Gedicht! Vielen Dank dafür!
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Sehr gerne! Es freut mich, wenn es gefällt!
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Irgendetwas ist für mich auch immer dabei. Ich mag deine alle Sinne ansprechenden Beiträge sehr!
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Vielen lieben Dank für das schöne Kompliment! Es freut mich, wenn meine Bowle verschiedene Sinne anspricht, denn dann ist mein Ziel erreicht.
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Kulturbowle – diese Bezeichnung passt zu diesem famosen Blog wirklich perfekt. In den Film „Morgen ist auch noch ein Tag“, werde ich heute noch gehen (letzte Möglichkeit, der läuft diese Woche zum letzten Mal im Bielefelder Lichtwerk) und das Buch „Eine Frau“ von Sibilla Aleramo steht auch bereits auf dem Plan. Meine Freundin will es auch unbedingt lesen. Mal ein großes Dankeschön für die stets lesens- oder schauenswerten Empfehlungen.
Liebe Grüße von Amélie
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Vielen herzlichen Dank für diese wunderbare Rückmeldung, Amélie, die mich sehr freut. Ich hoffe, Du wirst den Film genau so mögen wie ich. Ja, ich kenne das Phänomen nur zu gut, dass man sich bei guten Filmen oft sputen muss, um sie noch im Kino sehen zu können. Einen schönen Kinoabend und herzliche Grüße! Barbara
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Die folgende Geschichte habe ich auch gerade wieder gelesen. Für Nooteboom habe ich eine Schwäche. 25 letzte Sommer liegen auch hier, ich bin aber etwas müde von den Bestsellern. Danke für deine aufregenden, inspirierenden Berichte. Einen schönen Start in die Woche wünsche ich!!!
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Danke, Alexander. Ohne den Lesekreis wäre ich auf diesen Nooteboom wohl nicht aufmerksam geworden, aber die Lektüre hat sich gelohnt. Die Diskussion bzw. der Austausch dazu steht noch aus, da freue ich mich sehr darauf. Mit den 25 letzten Sommern bin ich persönlich leider nicht recht warm geworden bzw. vermutlich waren meine Erwartungen einfach zu hoch. Herzliche Grüße und Dir ebenfalls eine gute Woche!
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Eine schöne Frühlingsankunft zitierst und bebilderst Du, liebe Barbara, rückblickend auf den April mit seinen Wetterwendungen. Zwischen die farbenfrohen Blüten schmuggelst Du ein Foto-Rätsel, vielleicht die Kuppel eines Theatersaales?
Den Montaigne mag ich sehr gerne, soweit ich ihn aus den Essais kenne. Das macht mich doch neugierig auf seine Katze!
Gute Maienzeit und herzliche Grüße, Bernd
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Danke, lieber Bernd.
Ja, das Fotorätsel lässt sich lösen, wenn man im Beitrag liest, welches Theater ich (außerhalb meiner Heimatstadt) im April besucht habe. 🙂
Und auch die Katze ist in Minkmars Roman übrigens gut versteckt, aber zu finden. 😉
Dir wünsche ich einen ebenso wunderbaren und friedlichen Mai und sende herzliche Grüße nach Nürnberg! Barbara
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