Dass Triest reichlich Stoff für historische Kriminalromane bietet, stellt Autor Günter Neuwirth seit einigen Jahren mit seiner Krimireihe um Inspector Bruno Zabini unter Beweis. Das glanzvolle K.-u.K.-Flair und der kulturelle Schmelztiegel der geschäftigen Hafenstadt bieten auch im fünften Band „Wettlauf in Triest“ erneut den illustren Rahmen für Ermittlungen zwischen Pferderennbahn und Rotlichtmilieu.
Bruno Zabini bekommt es diesmal mit einer wahrlich gefährlichen Mélange aus zwielichtigen Wetten und Prostitution bzw. mit dubiosen Buchmachern und gewalttätigen Zuhältern zu tun. Es gibt eine weibliche Leiche, das große Derby im „Ippodromo die Montebello“ steht kurz bevor, die Lage ist mehr als unübersichtlich und so führen ihn die Mordermittlungen schnell ins undurchsichtige Geflecht triestinischer Groß- und Kleinkriminellen sowie düstere Ecken der Stadt.
Wir schreiben das Jahr 1908 und Triest ist Teil der Habsburger-Monarchie.
1908 ist das Jahr, in welchem Gustav Klimt sein wohl berühmtestes Werk „Der Kuss“ schafft, Gustav Mahler neuer Dirigent an der Metropolitan Opera in New York wird und Simone de Beauvoir sowie Herbert von Karajan geboren werden.
Neuwirths Krimis sind auch immer ein Schaufenster bzw. eine Zeitkapsel der damaligen, aktuellen bzw. neuen technologischen Entwicklungen. Denn sein neugieriger und jedweder Innovation gegenüber aufgeschlossener Ermittler Zabini ist stets auf der Höhe der Zeit. So liest man auch von Technik, welche die Welt veränderte: von Telegrammen, Fernschreibern, Nähmaschinen oder Mikroskopen.
„Das Telegramm ist recht detailliert, weil ich sehr spezifische Informationen benötige, aber mit dem Fernschreiber geht das ja flott.“
(S.281)
Die Reihe lebt überdies vom zeitgeschichtlichen Lokalkolorit und der Atmosphäre, welche die Ära der Donaumonarchie in Triest lebendig werden lässt. Die traditionellen Kaffeehäuser, das Adelsmilieu, die quirlige Stimmung am Hafen, an dem reger Handel getrieben wird und Waren aus aller Welt umgeschlagen werden.
„Triest glich keiner anderen Stadt in der Monarchie. Nirgendwo sonst konnte man aus der Tür eines Kaffeehauses hinausstolpern, um sogleich in das nächste hineinzupurzeln. Wien war berühmt für seine Kaffeehäuser, aber Triest legendär.“
(S.92)
Zudem hat Neuwirth mit Bruno Zabini eine unkonventionelle Hauptfigur geschaffen, die sich in kein gesellschaftliches Korsett pressen lässt und gerne mit starken Frauen umgibt. Den Hafen der Ehe wusste er bisher gekonnt zu umschiffen und auch seine Beziehung zur verwitweten Baronin Luise Callenhoff bietet reichlich Stoff für ein lebhaftes Stadtgespräch.
„Natürlich entsprach diese wilde Ehe einer adeligen Witwe und eines bürgerlichen Junggesellen nicht den üblichen Anstandsregeln der Stadt und würde für Getratsche sorgen, aber da diese Partnerschaft gegen keine Gesetze verstieß, würde man sie auch nicht verhindern können. Bruno hatte in seinen Kreisen ohnedies den Ruf, ein geradezu intellektueller Freigeist und liederlicher Herzensbrecher zu sein (…)“
(S.70/71)
Seine ehemalige Geliebte Fedora hingegen, die mittlerweile in Künstlerkreisen verkehrt und für das Theater Politeama Rossetti Kostüme schneidert, muss plötzlich um ihre Kinder bangen und sieht sich und ihr kleines Familienglück bedroht. Doch auch hier scheint plötzlich Hilfe von unerwarteter Seite zu kommen…
„Man durfte auch als älterer Herr manchmal von den schönen Dingen des Lebens träumen. Das war doch nicht verboten.“
(S.141)
Der österreichische Autor, der selbst nicht nur ausgebildeter Ingenieur ist, sondern auch Philosophie und Germanistik studiert hat, legt viel Wert auf die Schilderung und Einordnung des zeitgeschichtlichen Hintergrunds. So erfährt die Leserschaft auch von der politisch aufgeheizten Stimmung sowie den unterschiedlichen Strömungen in der Bevölkerung. So habe ich dieses Mal zum Beispiel mehr über den italienischen Irredentismus erfahren und meine Neugier war geweckt, um gleich mal ein wenig weiter zu recherchieren (siehe hierzu: Wikipedia).
Geschichte lebendig zu machen, in gesellschaftliche Milieus abzutauchen und all das auf unterhaltsame Weise mit einem Kriminalfall zu verbinden, das ist Neuwirths Metier. Und so ist „Wettlauf in Triest“ ein gelungener, historischer Kriminalroman, bei dem man selbst einen Gang herunterschalten und entspannt verfolgen kann, wie sich gesellschaftliche und technologische Entwicklungen im Triest des frühen 20. Jahrhunderts beschleunigen und das Tempo der Veränderungen zunehmend rasanter wird.
Und so bleibt nun gespannt abzuwarten, welche Seite Triests, welche technischen Neuerungen und welches Milieu Neuwirth seiner Leserschaft in einer etwaigen Fortsetzung der Reihe vorstellen wird…
Ich bedanke mich sehr herzlich beim Gmeiner Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.
Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Günter Neuwirth, Wettlauf in Triest
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-0812-0
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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Wettlauf in Triest“:
Für den Gaumen:
Auch kulinarisch wurde Triest durch die Donaumonarchie beeinflusst, so durften in Kaffeehäusern und Haushalten natürlich auch die beliebten Süßspeisen nicht fehlen:
„Am Nachmittag backe ich Strudel di mele.“
(S.249)
Zum Weiterschauen:
Schöne Bilder, interessante Einblicke und einen feinen Eindruck in die Vielseitigkeit der italienischen Hafenstadt Triest gibt die 43-minütige Dokumentation „Triest – Stadt der vielen Namen“, die noch bis zum 31.08.2025 in der 3Sat-Mediathek abrufbar ist.
Zum Weiterlesen bzw. vorher lesen:
Wer Zabini, Luise und Fedora nicht kennt und sich gerne chronologisch der Reihe nach auf die Reise nach Triest begeben möchte. Auf meiner Bowle habe ich bislang alle Bände der Krimireihe vorgestellt: Den Auftakt bildete „Dampfer ab Triest“, gefolgt von Teil 2 „Caffè in Triest“, Teil 3 „Sturm über Triest“ und Teil 4 „Südbahn nach Triest“.
Günter Neuwirth, Dampfer ab Triest
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-2800-5
Günter Neuwirth, Caffè in Triest
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-0111-4
Günter Neuwirth, Sturm über Triest
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-0418-4
Günter Neuwirth, Südbahn nach Triest
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-0630-0
Ein Kommentar zu „Temporeiches Triest“