Ein schneidender Wind bläst durch das Triest des Jahres 1907. Günter Neuwirth lässt in „Sturm über Triest“ Inspector Bruno Zabini in seinem dritten Fall in einem wahren Krieg der Agenten ermitteln, der ihm alles abverlangt. Denn die Welt gerät zunehmend aus den Fugen und er muss verhindern, dass geheime Pläne in die falschen Hände geraten.
Denn als ein Schiffbauingenieur, während der Scirocco unerbittlich über die Stadt fegt, von einem Güterzug überrollt wird, fällt es schwer, an einen Unfall zu glauben. Zumal dieser doch im Besitz wertvoller Unterlagen war, die nicht mehr auffindbar sind und die an unterschiedlichsten Stellen große Begehrlichkeiten wecken.
Die Lage ist alles andere als übersichtlich und ständig greifen neue Akteure ins Geschehen ein oder verschwinden unter mysteriösen Umständen spurlos.
„Der vermaledeite Wind trägt den Sand Tausend Meilen über den Himmel, und just heute Nacht fällt der Dreck aus den Wolken.“
(S.9)
Auch im Privatleben Brunos geht es immer noch stürmisch zu. Seine Affäre mit der verheirateten Fedora ist publik geworden. Es gelingt ihm jedoch, seine damit einhergehende Suspendierung wieder aufzuheben, so dass er wieder im Polizeidienst arbeiten kann. Und da gerade ein regelrechter Krieg der Geheimdienste in der Stadt zu entbrennen scheint, ist seine Erfahrung, sein Spürsinn und sein diplomatisches Geschick auch dringend gefragt.
Während Fedora nach ihrer Scheidung beginnt, am Theater zu arbeiten und ihren Söhnen nicht mehr die volle Aufmerksamkeit widmen kann, kämpft Luise darum, sich endlich um ihren Sohn, der ihr bisher von der Schwiegermutter vorenthalten wurde, kümmern zu dürfen.
Brunos ohnehin schon komplexe Work-Life-Balance – oder sollte man es in seinem Fall vielleicht treffenderweise Work-Love-Balance bezeichnen – gerät zunehmend in Schieflage und als dann auch noch eine mysteriöse und höchst attraktive russische Gräfin ins Visier der Ermittlungen gerät, könnte man sich mit einem gewissen Augenzwinkern schon fast an James Bond erinnert fühlen – wenn es den denn 1907 schon gegeben hätte.
„Konventionen sind meiner Meinung nach ein sehr gutes Fundament der gesellschaftlichen Ordnung, doch der Freiheit des Geistes und manch neuer Idee sollte man sich niemals verschließen.“
(S.205)
Auch wenn der eine oder andere Dialog für heutige Ohren eventuell ein wenig antiquiert anmutet, liest sich der Agentenkrimi sehr flüssig und schnell, zumal sich die Ereignisse immer mehr zuspitzen und überschlagen. Für Spannung und Überraschungen ist gesorgt. Da heißt es für den Leser auf Zack zu bleiben, um den verblüffenden Wendungen und den turbulenten Geschehnissen zu folgen. Um die Namen und Akteure im Blick zu behalten, ist dem Roman dankenswerter wieder ein hilfreiches Personenverzeichnis vorangestellt.
„Ich versuche, nicht wahrzuhaben, dass wir in einer Welt des Irrsinns leben, ich versuche, mich mit viel Arbeit, guter Musik und interessanten Romanen zu beschäftigen. Es ist außerhalb meiner geistigen Möglichkeiten, mir vorzustellen, was das für ein Krieg werden soll, in dem solche Waffen eingesetzt werden.“
(S.268)
Der Roman arbeitet viele Aspekte und Gedanken auf, die gerade heute leider aktueller anmuten denn je. Zweifelsohne hat das momentane Zeitgeschehen auch Günter Neuwirths neuestes Werk beeinflusst und ihm eine besondere Prägung gegeben: da geht es um Rüstung, Waffensysteme, Kriegsvorbereitungen, Geheimdienste und Verrat.
„Wie es scheint, ist es unser Schicksal, dass Gespräche zwischen uns zu mehr Fragen als zu Antworten führen.“
(S.311)
Doch es geht auch um Pazifismus und den unbedingten Willen Zabinis, die Ruhe, die Ordnung und den Frieden in seiner geliebten Heimatstadt Triest wieder herzustellen.
Besondere Freude machen mir bei der Lektüre immer die atmosphärischen Beschreibungen der florierenden Handelsstadt und des k.u.k-Flairs, die der Autor sehr stimmig und lebendig transportiert. So bekommt die Leserschaft einen profunden Eindruck der damaligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, z.B. der Stellung der Frau zur damaligen Zeit, aber auch von kulinarischen Moden und kulturellen Einflüssen.
„Er hatte sich von Anfang an in Triest wohlgefühlt, man spürte überall den mediterranen Einfluss in Kultur, Gesellschaft und Lebensgefühl.“
(S.297)
Bereits zum dritten Mal habe ich mich daher gerne in die bewährten Hände von Günter Neuwirth begeben und die literarische Reise ins Triest der Donaumonarchie angetreten, die ich wieder sehr genossen habe. Gerade die geglückte und beglückende Verbindung aus interessanten, historischen Hintergründen, fesselndem Kriminalfall und spannenden Figuren, machen den Reiz dieser Reihe aus.
Ein Sturm, den man sich daher gerne um die Ohren pfeifen lässt und der gemütlich im Lesesessel zum herrlich unterhaltsamen Schmökererlebnis wird.
Ich bedanke mich sehr herzlich beim Gmeiner Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.
Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Günter Neuwirth, Sturm über Triest
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-0418-4
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Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Sturm über Triest“:
Für den Gaumen:
Während in Agentenkreisen ein opulentes Menü gespeist wird – „Rindssuppe mit Schöberl, (…) Tafelspitz mit Schnittlauchsoße und Apfelkren und als Dessert wurde Topfenstrudel gereicht“ (S.82) – bekommt Bruno nach dem Dienst bei Fedora Hausmannskost: Polenta cipollata (S.187).
Bei den Damen beliebt: Maraschino (S.292) – ein Kirschlikör aus Maraskakirschen.
Zum Weiterhören:
Ein Bekannter Zabinis übt gerade eine Sonate von Brahms auf der Geige – leider erfährt man nicht welche, nur dass sie wohl anspruchsvoll zu spielen ist.
Zum Weiterlesen (I):
1889 veröffentliche Bertha von Suttner ihren pazifistischen Roman „Die Waffen nieder“. 1905 erhielt sie als erste Frau den Friedensnobelpreis.
Auch in Neuwirths Roman engagiert sich eine Freundin Luises in der Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde.
Bertha von Suttner, Die Waffen nieder
Petersberg Verlag
ISBN: 978-3755300403
Zum Weiterlesen (II) bzw. vorher lesen:
Zabini, Luise und Fedora sind spannende, charakterstarke Figuren, bei welchen es sich lohnt, die Entwicklung mit zu verfolgen, daher ist es empfehlenswert – wenn auch kein Muss – die Krimis in der richtigen Reihenfolge zu lesen. Auf meiner Bowle habe ich bislang alle Bände vorgestellt – also gerne nochmal nachlesen:
Den Auftakt bildete „Dampfer ab Triest“, gefolgt von Teil 2 „Caffè in Triest“.
Günter Neuwirth, Dampfer ab Triest
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-2800-5
Günter Neuwirth, Caffè in Triest
Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-0111-4
Liebe Barbara,
danke für die geteilte Lektüre, die trefflichen und zeitgemäßen Zitate.
Mit Erinnerung an Bertha von Suttner.
Friedliche und frühlingliche Grüße
Bernd
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Gern geschehen, Bernd.
Ich habe vor einiger Zeit eine Fernsehproduktion über Bertha von Suttner mit Birgit Minichmayr, Sebastian Koch und Philipp Hochmair gesehen („Eine Liebe für den Frieden“) . Allerdings habe ich es dennoch bisher noch nicht geschafft, „Die Waffen nieder“ zu lesen.
Herzliche und friedliche Grüße aus dem heute frühlingsverregneten Landshut!
Barbara
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