Wegbereiter im Dunkel

Thomas Mullen’s „Darktown“ stand schon eine ganze Weile auf meiner Liste der Bücher, die ich lesen möchte, und im Januar war dann die richtige Zeit gekommen. Eine Reihe, die schon seit langem in Bloggerkreisen und auf dem Buchmarkt große Aufmerksamkeit genießt und schon häufig besprochen wurde. Jetzt kann ich dies für den ersten Band auch selbst beurteilen: zu Recht.

Denn die Grundidee des Autors, Rassismus in Kriminalromanen zu thematisieren, somit einer breiteren Öffentlichkeitsschicht zugänglich zu machen und hierfür den geschichtlichen Hintergrund bzw. die wahre Geschichte der ersten farbigen Polizisten im Police Department Atlanta’s zu verarbeiten, ist brilliant und auch hervorragend umgesetzt.

„Dieselben Stadträte, die endlich Dienstmarken an Negroes ausgegeben hatten, konnten sich immer noch keine Welt vorstellen, in der farbige Polizisten neben weißen saßen oder mit ihnen gemeinsam aßen, duschten, sich in denselben Umkleidekabinen umzogen oder dieselben Klos benutzten.“

(S.68)

Atlanta 1948 – „Darktown“ ist der Teil der Stadt, in welchem hauptsächlich farbige Bewohner leben. Und genau dort kommen auch die ersten farbigen Polizisten zum Einsatz – in einer Einheit des Police Departments, die neu gegründet wurde – ein Pilotprojekt. Lucius Boggs und Tommy Smith gehören zu dieser Gruppe von Wegbereitern und sind Teil dieser „besonderen“ Einheit. Noch traumatisiert durch die Erlebnisse im zweiten Weltkrieg bahnen sich die beiden ihren Weg durch das Viertel und die menschlichen Abgründe, auf welche sie stoßen.

Offener Rassismus durch weiße Kollegen und Mitmenschen gehört zu ihrem Alltag. Schikanen jeglicher Art, verbale und körperliche Gewalt und die Behinderung ihrer Arbeit sind an der Tagesordnung. Tagtäglich kämpfen sie um Akzeptanz, Respekt und Anerkennung und erfahren selbst von farbigen Mitbürgern häufig nur Skepsis und Ablehnung ihrer Arbeit.

„Das war alles, was Officer Lucius Boggs für seine farbigen Mitbürger tun konnte, sie in die nächste Hölle schicken.“

(S.144)

Nicht mit den selben Befugnissen und Rechten ihrer Kollegen ausgestattet, müssen sie teils hilflos mit ansehen, wie sich der offene Rassismus auch in Polizeigewalt der weißen Kollegen gegenüber ihren farbigen Mitmenschen Bahn bricht.

Als eine junge farbige Frau tot aufgefunden wird, die sie kurz vorher noch in der Begleitung eines weißen Mannes gesehen hatten, wird schnell klar, dass auf breiter Front wenig Interesse an der Aufklärung des Falls und der Wahrheit besteht. Schnell werden Aussagen angezweifelt, Berichte umgeschrieben und Hilfe verweigert, um sie in ihrer Arbeit zu behindern. Doch dieses Verbrechen lässt sie nicht los und so wird auf eigene Faust und unter großer Gefahr ermittelt.

Und plötzlich erfahren sie überraschend Unterstützung von einer Seite, von welcher sie diese nicht erwartet hätten, denn auch ein weißer Kollege ist zunehmend angewidert vom offenen Rassismus und den Gewalttaten seines Ermittlungspartners.

Die großen Stärken des Romans sind für mich die detaillierte Schilderung der geschichtlichen Hintergründe und die unmittelbaren, schmerzlichen und direkten Beschreibungen der Situationen, in welchen Boggs und Smith Diskriminierung, Ausgrenzung und Hass aufgrund ihrer Hautfarbe erfahren und erleiden müssen. Mullen macht unmissverständlich klar, dass von Chancengleichheit und Gleichberechtigung keine Rede sein kann. Dem Leser die Einschränkungen und die Ungleichbehandlung klar zu machen und ihn mit jeder Seite mehr und mehr verstehen zu lassen, wie sich dies konkret in alltäglichen Situationen stets aufs Neue bemerkbar macht, das ist für mich die große Leistung des Autors. Es sind keine subtilen, kleinen Nicklichkeiten, welche Boggs und Smith widerfahren, das sind himmelschreiende Ungerechtigkeiten und unmenschliche physische und psychische Gewalt.

Leser verstehen nach der Lektüre etwas mehr über Rassismus, die Geschichte der farbigen Bürger der USA, den Ku-Klux-Klan, gesellschaftliche Verwerfungen und aufgeheizte, politische Debatten. Ein wichtiges und opulentes Buch und ein gelungener Auftakt einer Krimireihe, die Thomas Mullen mit „Weisses Feuer“ und „Lange Nacht“ zu einer Trilogie ausgebaut hat.

Meine Empfehlung ist, sich für das Buch Zeit zu nehmen, es in Ruhe und wenn möglich in längeren Stücken zu lesen. Denn die knapp 480 Seiten brauchen etwas Konzentration und Muße, damit man etwas davon hat. In Häppchen von 20 oder 30 Seiten kann sich der notwendige Lesefluss und Spannungsbogen nicht so recht aufbauen.

Zudem sollte man sich wappnen für unangenehme Wahrheiten, große Ungerechtigkeiten und menschliche Abgründe: „Darktown“ ist ein Buch, das beim Lesen schmerzt und jeden, der sich auf diesen nahezu klassischen Polizeiroman mit historischem Hintergrund einlässt, zwingt, sich mit dem brisanten und leider immer noch brandaktuellen Thema Rassismus auseinander zu setzen.

Weitere Besprechungen finden sich unter anderem auch bei Kaffeehaussitzer, Buchbube, Buch-Haltung und dem Blog der Schurken.

Buchinformation:
Thomas Mullen, Darktown
Übersetzung: Berni Mayer
Dumont
ISBN: 978-3-8321-8353-0

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich „Darktown“:

Zum Weiterhören:
Während der Lektüre hatte sich bei mir ein regelrechter innerer Ohrwurm festgesetzt: „Son of a preacher man“ – im Original aus dem Jahr 1968 von Dusty Springfield – also viel später als das Jahr 1948, in welchem der Roman „Darktown“ spielt. Aber nachdem eine der Hauptfiguren der Sohn eines Predigers ist und dies auch immer wieder thematisiert wird, hatte ich auf einmal diesen Song im Kopf.

„Ich bin der Sohn eines Pastors. Ich selbst bin keiner.“
„Na Gott sei Dank. Ich mag Männer mit ein bisschen Dreck an den Sohlen. Der Abrieb des Lebens ist so viel interessanter als der Glanz der Ewigkeit, sag ich mir immer.“

(S.340)

Zum Weiterlesen:
Thomas Mullen hat mit „Weisses Feuer“ und „Lange Nacht“ seine Darktown-Trilogie vervollständigt. Wer also nach „Darktown“ wissen möchte, wie es mit den Kollegen des Police Departments weitergeht, der kann die Lektüre nahtlos fortsetzen.

Thomas Mullen, Weisses Feuer
Übersetzung: Berni Mayer
Dumont
ISBN: 978-3-8321-8395-0

Thomas Mullen, Lange Nacht
Übersetzung: Berni Mayer
Dumont
ISBN: 978-3-8321-8143-7

18 Kommentare zu „Wegbereiter im Dunkel

    1. Danke! Ich hatte vorher schon nachgesehen, ob ich vielleicht dieses Mal auf die Crimealley verlinken kann, aber das muss dann wohl in diesem Fall noch ein wenig warten. 😉 Herzliche Grüße und schönes Wochenende!

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      1. Zu viele Novitäten, zu wenig Zeit. 😀 – Das wird tatsächlich noch etwas dauern, fürchte ich. Aber ich bin schon sehr gespannt auf deinen Beitrag zu den weiteren zwei Bänden!
        Herzliche Grüße zurück!

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      2. Ja, ich denke, das könnte auch bei mir vermutlich noch etwas dauern, bis ich zu Teil 2 und 3 greifen werde. Jetzt lasse ich den ersten Teil erst einmal sacken – die Auswahl an verlockender Lektüre ist einfach sehr, sehr groß…

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  1. Liebe Barbara, danke für Deine Rezension. Rassismus ist ein grosses Thema, mit dem man sich ausführlich befassen sollte, denn jeder ist und verhält sich rassistisch, mehr als man ahnt und denkt, wir haben bei mir im Job regelmässig Antirassismus-Workshops und das hat mir sehr viel gebracht, u.a. dass die korrekte Bezeichnung eben – auch im Deutschen – „people of color“ ist, es gibt hierzu kein dt Pendant. „Farbig“ ist es eben nicht, sondern diskriminierend. Ich empfehle Dir „exit RACISM“ von Ogette Tupoka. Wir müssen alle noch viel lernen und noch viel sensibler werden, was die Themen Rassismus, Diskriminierung, Diversity anbelangt. Aber es lohnt sich für eine bessere gleichberechtigte Zukunft! Herzlichst aus Zürich. A.

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    1. Danke für Deinen sehr wertvollen Hinweis! Das Thema hatte mich beim Schreiben der Rezension beschäftigt, aber ich hatte dann versucht, mich bei der Rezension am Klappentext des Dumont-Verlags, sowie dem Roman und der gewählten Übersetzung von Berni Mayer (und somit auch des Lektorats) zu orientieren. Sollte ich damit unbewusst rassistisch formuliert haben, war das in keinster Weise beabsichtigt. Danke auch für den weiterführenden Lektüretip! Ich bin völlig Deiner Meinung, dass es sich hier für uns alle lohnt, dazu zu lernen. Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag!

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      1. Ich hoffe, Du hast das jetzt nicht falsch verstanden! Mir ging es eben auch lange Zeit so, dass man denkt, irgendwas ist korrekt, dabei ist dem nicht so, aber der Workshop hat mir bei vielen Dingen, vor allem im Alltags- und vor allem im strukturellen Rassismus die Augen geöffnet und ich hoffe dadurch etwas sensibler für diese Dinge geworden zu sein. Dennoch sage ich auch öfters Dinge, wo ich denke, ups, das war rassistisch, wir sind einfach grossenteils so sozialisiert. Da hilft einfach nur eines – dranbleiben und auch andere darauf hinweisen. Ich glaube, wenn wir das alle wichtig und ernst nehmen, ist das ein guter Weg. Noch einen schönen Restsonntag und guten Wochenstart wünscht Dir A.

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  2. Heute habe ich endlich „Weißes Feuer“ im Buchladen abgeholt. Eigentlich wollte ich das damals direkt nach dem ersten Teil lesen, aber irgendwie war doch immer ein anderes Buch verlockender. Jetzt ist aber seine Zeit gekommen. 😉

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    1. Dann wünsche ich viel Freude und Spannung bei der Lektüre. Ich werde wohl noch ein wenig warten mit der Fortsetzung, denn das mit den anderen verlockenden Büchern kenne ich ebenfalls bestens. 😉 Witzigerweise war ich heute auch im Buchladen und da bin ich (unter anderem) an der neuen Taschenbuchausgabe von Alex Beer „Das schwarze Band“ nicht vorbeigekommen (obwohl auch der dritte Band „Der dunkle Bote“ noch auf dem „Stapel der ungelesenen Verlockungen“ liegt). Wenn ich mich richtig erinnere ja eine Krimi-Reihe, die Du auch gerne liest.

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      1. Oh, das gibts schon als Taschenbuch? Da muss ich dann auch bald zugreifen. Den vierten Teil aus Wien möchte ich nämlich unbedingt lesen, ehe ich mich der Nürnberg-Reihe widme.

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      2. Jetzt habe ich mir den vierten Teil auch gekauft und entdeckt, dass im September Band 5 erscheint. Da kommt man ja kaum noch hinterher. 😊

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