Sehnsucht nach dem Meer? Roxanne Bouchard’s neuer Kriminalroman und zweiter Fall für Sergeant Morales „Die Korallenbraut“ entführt erneut auf die kanadische Gaspésie-Halbinsel und versprüht eine gehörige, unwiderstehliche Brise maritimes Flair. Ein tiefgründiger Krimischmöker, bei dem vieles unter der Oberfläche brodelt.
„Es gibt Familien, die hassen sich schon so lange gegenseitig, dass man denken könnte, dass sie das zusammenschweißt. Da ist dein Vater auf einen schönen Korb voller Krebse gestoßen.“
(S.158)
Die Fischerei ist ein hartes, bitter umkämpftes Geschäft. Fangquoten, die zunehmende Überfischung des Meeres, die Klimaveränderungen – der Wettbewerb ist gnadenlos und viele kanadische Fischer – oft in x-ter Generation, kämpfen verzweifelt um ihre Existenz und um ihr familiäres Erbe.
Frauen, die sich in dieser ursprünglichen, harten und sehr rauen Männerwelt behaupten wollen, werden grundsätzlich erst einmal misstrauisch beäugt. Das gilt für Angel Roberts, die als einzige Frau in der Region das knochenharte Gewerbe des Hummerfangs betreibt, und deren Kutter nun führungslos, verlassen treibend auf dem Meer gefunden wird – von ihr selbst fehlt zunächst jede Spur.
Das gilt aber auch für die Fischereiaufseherin Simone, die zunächst nur widerwillig die Ermittlungen von Sergeant Morales und die Suche nach dem Opfer unterstützt.
Doch der Reihe nach:
Angel Roberts und ihr Mann sind mittlerweile seit zehn Jahren verheiratet und pflegen eine ungewöhnliche Tradition: An ihrem Hochzeitstag schlüpfen beide wieder in Brautkleid und Hochzeitsanzug und feiern ihr Ehejubiläum bei einem guten Essen im Restaurant. Doch in diesem Jahr fühlt Angel sich nicht wohl und lässt sich vorzeitig nach Hause bringen. Ihr Mann jedoch ist in Feierlaune und zieht alleine noch einmal um die Häuser. Am nächsten Morgen ist ihr Kutter, Angel und ihr Brautkleid verschwunden. Ein Verbrechen? Ein Unfall? Selbstmord?
Joaquín Morales begibt sich auf die Suche nach der Hummerfischerin und beginnt zu ermitteln. Doch auch sein Privatleben ist gerade alles andere als unkompliziert: seine Ehefrau macht keine Anstalten, ihm in die Gaspésie zu folgen, dafür taucht sein Sohn Sébastien bei ihm auf mit einem großen Rucksack voller Sorgen und Beziehungsproblemen im Gepäck. Und zu allem Übel liegt auch noch der gute Freund des Sergeants – der lebenskluge, weise Fischereiveteran Cyrille – im Sterben.
Die Ermittlungen gestalten sich schwierig – die Einwohner reagieren immer noch schweigsam und zurückhaltend auf den frisch zugezogenen Polizisten mit mexikanischen Wurzeln. Und auch die wenigen Frauen in dieser männerdominierten Welt der Fischerei sorgen für Komplikationen – ob es nun die mysteriöse Yogalehrerin Kimo ist, die den verheirateten Sébastien becirct oder aber die toughe, starrköpfige Fischereiaufseherin Simone, die Morales bei der Aufklärung des Falles dazwischenfunkt.
Nach und nach zieht sich das Netz familiärer und feindschaftlicher Beziehungen im kleinen Fischerort immer mehr zu – und es wird klar, dass dieses Geflecht aus Hass und Missgunst deutlich enger gewoben ist als zunächst angenommen.
„Die Gaspésie forderte ihn nicht nur durch ihre Langsamkeit heraus, sondern auch durch die schmerzhafte Erfahrung von Nähe. Hier musste man die Leute genau kennen, ihnen nahe sein, um einen Fall zu lösen.“
(S.53)
Das gilt nicht nur für den Ermittler Joaquín Morales, sondern auch die Autorin Roxanne Bouchard ist ihren Figuren ganz nahe. Die wunderbaren Charaktere – oft ein wenig schrullig, eigensinnig, aber meist auch sehr sympathisch – tragen diesen Krimi. Sie sind das Herzstück des Romans oder um im sprachlichen Bild zu bleiben: die Perle in der Muschel.
Eine weitere große Stärke Bouchard’s ist es, die Naturgewalten, die Kraft des Meeres und das Raue der Natur so unmittelbar und intensiv zu schildern, dass man den Salzgeruch regelrecht in der Nase hat, die Gischtkronen auf den Wellen tanzen sieht und gedanklich stets aufs Wasser und die Weite des Ozeans blickt.
Sprachlich ist das wunderbar zu lesen, daher möchte ich hier auch explizit hervorheben, dass der Übersetzer Frank Weigand wirklich eine sehr schöne, stimmige Sprachmelodie für die poetische Sprache der Autorin gefunden hat.
„Cyrille Bernard hat einmal zu mir gesagt, dass die Vergangenheit aus getrockneten, hart gewordenen Erinnerungen besteht, die jemand auf den Küchentresen gelegt hat. Dass diese Augenblicke, verdünnt im salzigen Wasser des Kummers, manchmal wieder an die Oberfläche des Gedächtnisses steigen und dabei alles um sich herum zerreißen.“
(S.410)
Die Autorin hat erneut nicht nur einen Krimi geschrieben, sondern literarisch neben der Aufklärung des Falles noch zahlreiche, weitere große, menschliche Themen in das Buch gepackt. Sie schreibt über Familien, das Scheitern von Beziehungen, darüber, wie Eltern ihre Kinder prägen, über das Abschiednehmen von geliebten Menschen und über die Suche nach der eigenen Identität. Viele elementare Fragen, die das Meer zwischen den Ermittlungen auch immer wieder an Land spült. Daher ist „Die Korallenbraut“ weit mehr als „nur ein weiterer Kriminalroman mit regionaler Atmosphäre“ – es ist Literatur über das Leben.
„Die Korallenbraut“ ist ein ruhiger, langsamer Kriminalroman mit schönen, poetischen Momenten. Er entwickelt sich behutsam und ist nicht geprägt von atemloser Spannung, sondern vielmehr von interessanten Figuren und der maritimen Atmosphäre, die nahezu jede Zeile atmet.
Wenn man sich Zeit nimmt und darauf einlässt, spürt man die Meeresbrise, hört das Kreischen der Seevögel und die anbrandenden Wellen – einfach einmal die Nase in den Wind halten und tief einatmen! Mehr Meer geht literarisch wohl kaum.
„Draußen vor dem Fenster erstreckte sich der nächtliche Horizont, das Meer verstreute die leuchtenden Scherben des Mondes, die trügerisch auf seiner Oberfläche funkelten.“
(S.460)
Ich bedanke mich sehr herzlich beim Atrium Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.
Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.
Buchinformation:
Roxanne Bouchard, Die Korallenbraut
Aus dem Québec-Französischen von Frank Weigand
Atrium Verlag
ISBN: 978-3-85535-118-3
***
Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Roxanne Bouchard’s „Die Korallenbraut“:
Für den Gaumen (I):
Kulinarisch spürt man natürlich auch die Nähe zum Meer: So gibt es zum Beispiel ein „Clubsandwich mit Hummer“ und dazu Weißwein.
„Sie strichen Butter und Mayonnaise auf das Brot, legten Tomatenscheiben darauf, fügten Speck und Hummerfleisch hinzu. Sie klappten die Sandwiches zu und schnitten sie in der Mitte durch.“
(S.120)
Für den Gaumen (II):
Aber auch die mexikanischen Wurzeln von Sergeant Morales hinterlassen kulinarische Spuren, denn es wird ausführlich geschildert, wie seine Großmutter ihre Tortillas zubereitet hat. Bei dieser warmherzigen, liebevollen Schilderung läuft einem das Wasser im Mund zusammen.
Für etwas Bewegung:
An einer der für mich schönsten Szenen des Romans tanzen Morales und sein Sohn Sébastien gemeinsam und überhaupt wird viel getanzt in diesem Buch: vor allem Salsa. Wie wär’s damit, mal wieder das Tanzbein zu schwingen?
Zum Weiterhören:
Und hier ist der Soundtrack dazu.: In „Die Korallenbraut“ ist mehrfach von der Sängerin Celia Cruz (1925 – 2003) die Rede, die als „Queen of Salsa“ gilt. In Kuba geboren und später in die USA ausgewandert, machte die Frau mit einer tiefen Alt-Stimme den Salsa vor allem in den 60er und 70er Jahren populär. (Quelle: Wikipedia)
Einfach mal reinhören, das hebt sofort die Laune. Zum Beispiel: „La Vida Es Un Carnival“.
Zum Weiterlesen bzw. vorher lesen:
Im letzten Jahr habe ich den ersten Band der Reihe und Sergeant Morales hier auf der Kulturbowle vorgestellt. Schon „Der dunkle Sog des Meeres“ hatte mich vor allem aufgrund seiner maritimen Atmosphäre und der sympathischen Figuren fasziniert. Man kann „Die Korallenbraut“ auch ohne Vorkenntnisse lesen, aber der erste Band, der mittlerweile auch als Taschenbuch erschienen ist, lohnt sich ebenfalls:
Ein Kommentar zu „Maritime Männerwirtschaft“