Kärntner Weiberwirtschaft

In dieser Rezension geht es um eine Kärntner „Weiberwirtschaft“ und dies ist in diesem Fall explizit nicht despektierlich oder abwertend gemeint. Vielmehr beschreibt Silvia Pistotnig in ihrem neuen Roman „Die Wirtinnen“ eine Art gastronomischer Frauenpower über drei Generationen hinweg.

Doch es geht nicht nur um einen bewirtschafteten Landgasthof, sondern vor allem um drei Frauen aus drei Generationen, drei besondere Begabungen, drei geplatzte Träume und drei Lebensschicksale, die untrennbar miteinander, aber auch mit dem gastronomischen Familienbetrieb verbunden sind.

„Dabei hatte sie sich den Krieg wirklich gut gehalten und die Hoffnung nicht aufgegeben, gemeinsam mit Johanna hatte sie sogar die Gaststube hergerichtet, alles hatten sie allein gemacht, die Frauen, und gehofft und gewartet, dass er zurückkam.“

(S.171)

Die Geschichte beginnt mit Johanna, die in den 30er Jahren und während des heraufziehenden Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs heranwächst und schon früh ihre Frau in der Gastwirtschaft der Familie stehen muss. Bereits als junges Mädchen ist sie vom Klang der Kirchenorgel und der Macht der Musik fasziniert.

„Johanna wollte neben dem Organisten sitzen, dem Franz, so nannten sie ihn im Dorf. Seinen Nachnamen kannte sie nicht, den brauchte hier keiner. Sie wollte sehen, was seine Finger taten, wie er solche Töne, solch eine Musik zaubern konnte. Ihre Entscheidung stand fest. Dafür würde sie zwar ein paar Tetschn kassieren, aber das würde sie ohnehin.“

(S.8)

Zwar kann sie vom Kirchenmusiker das Orgelspiel erlernen, doch der Krieg, die Familie, der harte Arbeitsalltag und weitere Schicksalsschläge verhindern, dass sie sich der Musik widmen kann.

Ihre Tochter Marianne hingegen ist von klein auf fasziniert von Zahlen und der Mathematik. Das Schönste für sie ist es, zu rechnen. Sie ist begabt und bildungshungrig, doch in der Schule wird sie mit rüden Methoden von der Links- zur Rechtshänderin umerzogen. Zwang, und vorgegebene Muster bestimmen ihr Leben und auch der Gasthof ist ein Erbe, das verpflichtet und belastet – wenig Raum für eigene Interessen lässt. Ihre Familie und ihre Ehe leidet darunter ebenso wie sie selbst.

Und auch Tochter Gertrud, die viel lieber Geri als Trudi gerufen werden würde, hat es nicht leicht. Auch sie hilft bereits früh im Gasthof aus und kämpft sich in den Neunzigern Jahren durch die Achterbahnfahrt der pubertären Gefühle – erste Küsse, turbulente Grunge-Parties und hoffnungslose Rebellion. Dabei würde sie am liebsten einfach nur Fußball spielen, doch das ist in dieser Zeit noch ein exklusiver Sport für Jungs.

„Ich schau wieder aus dem Fenster. Eine Wolke hat sich ein Stück bewegt. Das Leben ist Stillstand. Ich würd jetzt voll gern Fußball spielen.“

(S.215)

Drei Frauen, drei unterschiedliche Zeiten, drei Leidenschaften, die nicht gelebt werden können und jede steckt in den Einschränkungen ihrer jeweiligen Generation, aber auch dem engen Geschirr des Familienbetriebs fest. Und um sehr frei nach Tolstoi zu zitieren, jede Frau „ist unglücklich auf ihre Weise.“

Ich mag Österreich, ich mag gut erzählte Familiengeschichten, ich mag bodenständige, traditionelle Gasthäuser, ich mag das Erdige, Verwurzelte, Ungeschönte, ungeschminkt Ehrliche – und all das bekommt man in Silvia Pistotnigs Generationenroman. Das Leben der Frauen wird nicht aufgehübscht oder romantisiert – es ist, wie es ist, mit allen Höhen, Tiefen oder faulen Kompromissen, die das Leben den Menschen manchmal abverlangt.

Der Roman, der klar macht, dass im Leben vieles anders kommt als geplant, ist authentisch, lebensecht und trotz aller Widrigkeiten voll zupackendem Pragmatismus. Es ist traurig zu lesen, wie sich Träume zerschlagen, die Realität die Frauen einholt und die zeitlichen und familiären Umstände sie so manches Mal in ihrer Schaffenskraft und Selbstverwirklichung ausbremsen. Und doch ist da auch viel Tatkraft, Widerstandsfähigkeit und eine Gabe, dem Leben in den entscheidenden Momenten die Stirn zu bieten und dem Schicksal zu trotzen.

„ ‚Traurig sein können wir später‘, brummte sie und verschwand wieder in der Gaststube.“

(S.306)

Ein wenig gewöhnen musste ich mich an die flapsige und stark vereinfachende Jugendsprache, in welcher die Kapitel aus Trudis – pardon, Geris – Sicht meist erzählt sind. Da habe ich mich persönlich in der etwas gewählteren, gepflegteren Stilistik, welche die Autorin für die Kapitel aus Johannas Sicht verwendet, mehr zu Hause gefühlt. Doch Pistotnig hat so auch jeder der Frauen ihren eigenen Klang, ihren eigenen Wortschatz und ihren eigenen sprachlichen Ausdruck verliehen.

Der Kärntner Lokalkolorit und ein wenig auch Wiener Flair, sowie die sprachlichen Anklänge im Dialekt geben dem Roman Farbe, Stimmung und Strahlkraft.
„Die Wirtinnen“ ist bereits der vierte Roman der gebürtigen Kärntnerin und heute in Wien lebenden Autorin und es ist eine süffige Lektüre, die sich sehr schön und mit Genuss wegschmökern lässt. Ob für den nächsten Österreichurlaub oder als kurzer kulinarisch-literarischer Zwischenstopp für Zwischendurch, Fans von gut erzählten, generationsübergreifenden Familiengeschichten – insbesondere mit Frauen im Mittelpunkt – sind – wie in einem gemütlichen Gasthof – mit diesem Roman gut bedient.

Österreich ist dieses Jahr unter dem Motto „Meaoiswiamia“ das Gastland der Leipziger Buchmesse (27. bis 30. April 2023) und dort kann sicherlich die große, literarische Vielfalt unseres Nachbarlandes gebührend präsentiert und bewundert werden.

Für mich war dieser literarische Ausflug nach Kärnten auf jeden Fall eine Bereicherung, die ich nicht missen möchte. Dass ich ohnehin eine Schwäche für österreichische Literatur habe, wird treuen Leserinnen und Lesern meiner Kulturbowle sicher nicht entgangen sein und ist zudem auch unschwer an der nicht unerheblichen Anzahl an Titel im Österreich-Bereich meiner Kategorie „Die Welt erlesen“ zu erkennen.

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Verlag Elster & Salis, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Silvia Pistotnig, Die Wirtinnen
Elster & Salis
ISBN: 978-3-03930-046-4

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Silvia Pistotnigs „Die Wirtinnen“:

Für den Gaumen:
Im beschriebenen Wirtshaus gibt es natürlich traditionelle Klassiker: Schweinsbraten, Schnitzel – wenn Reste verwertet werden müssen – auch Reisfleisch oder:

„Die Oma steht in der Küche und macht Grammelknödel.“

(S.217)

Ein Rezept hierzu gibt es zum Beispiel bei Wagners Kulinarium.

Zum Weiterhören:
Die Musik spielt für Großmutter Johanna eine sehr wichtige Rolle und bleibt ihre lebenslange, heimliche Liebe. Ganz verzaubert ist sie von Mendelssohns Klavierkonzert in D-Moll – das Stück wird für sie zum Schlüsselerlebnis und wird ihr Leben entscheidend verändern.
Für Enkelin Gertrud ist dann in den Neunzigern eher Grunge angesagt.

Zum Weiterlesen:
Vor kurzem habe ich hier auf dem Blog Karin Kalisas Roman „Bergsalz“ vorgestellt – auch hier geht es um starke Frauen, eine gastronomische Revolution in einem kleinen, beschaulichen Ort – kulinarische Frauenpower der anderen Art:

Karin Kalisa, Bergsalz
Droemer
ISBN: 978-3-426-28208-3

Ein Kommentar zu „Kärntner Weiberwirtschaft

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