Sardische Sonnenstrahlen im Gesicht

Schon der Titel „Die Frömmigkeit der Schafe“ springt auf seine außergewöhnliche Art ähnlich ins Auge wie damals der erste Band „Die Theologie des Wildschweins“ – da kann sich nur ein neuer, lichtdurchfluteter Sardinien-Krimi von Gesuino Némus alias Matteo Locci dahinter verbergen. Und auch die sonnenstrahlende Umschlaggestaltung ist wieder ein absoluter Hingucker, der sofort Urlaubs- und Sommerstimmung aufkommen und das Leserherz leuchten lässt.

„Schafe in Menschengestalt erkennt man auf den ersten Blick. Sie blöken, grasen, käuen wieder und laufen kopflos herum. Ihr einziger Lebenszweck besteht darin, im April gut genährt und mit wohlschmeckendem zartem Fleisch zur Schlachtbank geführt zu werden.“

(S.60)

Als der ehemalige Dorflehrer, der schon seit vielen Jahren pensioniert ist, tot aufgefunden wird, gibt ein von ihm hinterlassenes Manuskript mit dem Titel „Die Frömmigkeit der Schafe“ einige Rätsel auf, die seinen Tod und so manches Ereignis der Dorfgeschichte in anderem Licht erscheinen lassen.

Brigadiere Tigássu muss sich nun nicht nur durch die immer unleserlicher geschriebenen Seiten quälen, die einer gnadenlosen, zynischen Abrechnung mit den Dorfbewohnern des kleinen Örtchen Telévras gleichkommt, sondern muss auch herausfinden, warum der pensionierte Lehrer so konsequent von allen gemieden und aus der Gemeinschaft ausgegrenzt wurde. Ein Schaf, das nicht Teil der Herde war oder sein durfte? Hat es vielleicht etwas mit der vor fünfzig Jahren verschwundenen Hirtentochter Mariàca Tidòngia zu tun?

Und als ob die verwirrenden Ermittlungen nicht schon schweißtreibend genug wären, herrscht auf der Insel an diesen Junitagen eine brütende Hitze und das Dorf ist im Aufruhr, da der gerade neu angekommene Priester der Gemeinde zu unkonventionellen Methoden greift, um die Dorfkirche bei den Gottesdiensten gefüllt zu bekommen.

„Wenn man von Geburt an hinter einem Tresen steht, ist das so, als wäre man als Carabiniere auf die Welt gekommen. Man begreift eine ganze Menge, und zwar auch ohne Worte und ohne Fragen.“

(S.53)

Dreh- und Angelpunkt sind die Dorfkirche und die Bar von Samuele, in welcher nach dem Flipperkasten nun leider auch die Juke Box das Zeitliche gesegnet hat – auch hier ist nach Abhalten einer Trauerfeier – für die Juke Box wohlgemerkt – guter Rat teuer: doch vielleicht naht ja Rettung von unerwarteter Seite?

„Wenn man um vier Uhr an einem Sommernachmittag Samueles Bar betritt, die Kleidung im Armeelook so frisch und sauber, dass sie fast aussieht wie neu, den Schal à la Oscar Wilde um den Hals gebunden, frisch rasiert und mit einem After Shave, das sogar den Pecorino übertönt, die Schuhe auf Hochglanz gewienert und mit blendend weißen Zähnen, weil man in Narghilè beim Zahnarzt war, na, dann … stimmt was nicht.“

(S.133/134)

Zur Handlung möchte ich auch gar nicht zu viel verraten, zumal es viel spannender, unterhaltsamer und genussreicher ist, dies einfach selbst zu lesen.
Denn auch dieses Mal gibt es wieder den einen oder anderen unerwarteten Twist in der Handlung und eine gewisse Doppelbödigkeit: Némus spielt mit verschiedenen Zeitebenen und zeichnet ein Bild des vergangenen und aktuellen Sardiniens und seiner Bewohner im abgelegenen Bergdorf.
So erhält der Leser einen anderen Blick auf die beliebte Urlaubsinsel – fernab der türkisblauen Strände und der Postkartenidylle. Matteo Locci, der selbst in einem kleinen sardischen Dorf namens Jerzu geboren ist, weiß zweifelsohne wovon er schreibt, auch wenn er mittlerweile in Mailand lebt.

Der besondere Charme des Krimis, der vor allem auf den liebenswert schrägen Charakteren und der unkonventionellen Art zu erzählen beruht, macht die Lektüre erneut zu einem Erlebnis. Die Leserschaft darf an der Weisheit des eigenwilligen und durchaus speziellen Gesuino Némus teilhaben.
Ein kleiner Kurzurlaub vom Alltag, eine ordentliche Dosis mediterranes Lebensgefühl, viel Licht und gute Laune, so dass man am Ende schon wieder Vorfreude auf den nächsten literarischen Ausflug nach Telévras verspürt.
Gut zu wissen, dass im italienischen Original bereits fünf Bände der Reihe vorliegen. Da gibt es also noch mindestens zwei, auf die man sich freuen darf.

„Die Frömmigkeit der Schafe“ wärmt und gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf den Sommer. Eine Lektüre, die einen nicht nur die sardischen Sonnenstrahlen spüren lässt, sondern auch ein zufriedenes und amüsiertes Lächeln aufs Gesicht zaubert. Sommer, Sonne, Sardinien – schrullige Figuren, Schafe und eine Portion Krimi – eine Mischung, die wirklich gute Laune macht! Ein Krimi zum Reinlegen, wie in einen bequemen Liegestuhl – Sonne im Gemüt und der Sommer kann kommen!

Ich bedanke mich sehr herzlich beim Eisele Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Auf meine Meinung und Rezension des Buches hatte dies keinen Einfluss.

Beim Klick auf den Titel gibt es nähere Informationen zum Buch auf der Seite des Verlags.

Buchinformation:
Gesuino Némus, Die Frömmigkeit der Schafe
Aus dem Italienischen von Sylvia Spatz
Eisele Verlag
ISBN: 978-3-96161-154-6

***

Wozu inspirierte bzw. woran erinnerte mich Gesuino Némus’ „Die Frömmigkeit der Schafe“:

Für den Gaumen:
Kulinarisch gibt es auch im dritten Band wieder einmal Neues zu entdecken, so zum Beispiel „Crostini mit Lab vom Zicklein“ (S.83) oder aber „sa frégula, kleine Kügelchen aus Hartweizen, die im Ofen geröstet und dann langsam in einer Fischbrühe – kleine Tintenfische, Miesmuscheln, kleine Kalmare, Mollusken, Moschuskraken, Venusmuscheln, frische Datteltomaten, kleine getrocknete Tomaten, Knoblauch, Lauch, Peperoni, Olivenöl, Basilikum und Salz – gegart werden.“ (S.168/169)

Zum Weiterhören:
Was die Jukebox in der Bar so alles hergibt? Da ist für jeden etwas dabei:

„Die Erwachsenen hörten Satisfaction, Stairway to Heaven und Wish you were here. Die Jugendlichen Jambalaya, Crocodile Rock und Like a Rolling Stone.“

(S.46)

Zum Weiterlesen bzw. vorher lesen:
Selbstverständlich möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass es sich lohnt, vorab die beiden ersten Bände der Reihe von und mit Gesuino Némus zu lesen, die ich ebenfalls bereits hier auf der Kulturbowle vorgestellt habe: Im ersten Fall Die Theologie des Wildschweins gibt es eine Zeitreise ins Jahr der ersten Mondlandung und im zweiten Fall eine Süße Versuchung“, der man guten Gewissens nachgeben sollte:

Gesuino Némus, Die Theologie des Wildschweins
Aus dem Italienischen von Sylvia Spatz
Eisele
ISBN: 978-3-8251-5213-0

Gesuino Némus, Süße Versuchung
Aus dem Italienischen von Juliane Nachtigal
Eisele Verlag
ISBN: 978-3-96161-132-4

5 Kommentare zu „Sardische Sonnenstrahlen im Gesicht

    1. Schön, das freut mich! Dann wünsche ich ganz viel Vergnügen bei der Lektüre und eine schöne Zeit auf Sardinien 1969! Ich bin gespannt, wie es Dir gefällt, zumal die Reihe wirklich eine erfrischende und unkonventionelle Ausnahme im weiten Feld der Regionalkrimis darstellen. Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende!

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    1. Das freut mich, Nina. Gern geschehen.
      Dann kannst Du Dich ja noch auf Band 2 und 3 freuen. Ich finde die Reihe wirklich erfrischend anders. Viel Freude beim Lesen und herzliche Sonntagsgrüße! Barbara

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