Wettertechnisch hätte der März auch schon ein April sein können, denn es gab so manche Kapriolen zu bestaunen: Regenbogen, Hagel, dichtes Schneegestöber, sonnig-warme Tage, Sturm und Wind, Graupel, Regen in allen Variationen – Petrus hat diesen Monat wahrlich sein ganzes Repertoire aufgefahren. Herrlich anzusehen war das alljährliche Knospenwunder: all die grünen Spitzen, die ihren Weg ans Licht gefunden haben und die zauberhaften Blüten, die den Frühling einläuten und daher diesen Monat auch meine Fotoimpressionen prägen.
Der März war aber auch ein großartiger Theatermonat:
Angefangen beim teuflisch guten Musical „The black rider“ von Tom Waits, William Burroughs und Robert Wilson, das im Landestheater Niederbayern von einem bestens gelaunten Schauspielensemble auf die Bühne gezaubert wurde – mit einer grandiosen Ursula Erb als Stelzfuß im roten Teufelsanzug und einer bühnen- und lichttechnisch magischen Inszenierung. Eine schöne Idee von Regisseur Johannes Reitmeier, die Handlung – die auf der des „Freischütz“ basiert – in einen Theaterfundus zu verlegen, in dem ein Gast versehentlich nachts eingesperrt wird und dann sein blaues bzw. teuflisches Wunder erlebt. Tolle Musik, phänomenale Bilder – ein echtes Theaterhighlight!
Ein ganz besonderes Erlebnis war auch die Händel-Oper „Rinaldo“ in einer Inszenierung von Kopie van Rensburg, die gleichsam im „Split-Screen“-Verfahren auf die Bühne gebracht wurde – auf der unteren Hälfte agierten die Sängerinnen und Sänger live vor einem Bluescreen und Kameras, im oberen Bereich wurde das Ganze vor unterschiedlichsten Settings und Hintergründen projiziert und so zum visuellen Gesamtkunstwerk (wer mehr wissen will, findet Fotos auf der Website des Landestheater Niederbayern). Die moderne Technik ermöglichte so, von einer großen Schlacht der Kreuzritter, über einen Wirbelsturm bis zur Unterwasserwelt die ereignisreiche Handlung auf unterhaltsame und sehr kurzweilige Weise auf die Bühne zu bringen. Und musikalisch war es ohnehin ein Genuss!
Das Theater Konrad brachte mit „Kurz vor null“ ein Stück von Agatha Christie auf die Bühne – großes Ensemble, tolle Kostüme, mit viel Liebe und Engagement in Szene gesetzt und ein spannender und unterhaltsamer Theaterabend mit einem Krimi der „Queen of Crime“.
Im Fernsehen habe ich diesen Monat den Film „Nahschuss“ mit Lars Eidinger und David Striesow auf ARTE gesehen (noch bis zum 08.04.23 in der ARTE Mediathek verfügbar), der die Todesstrafe in der DDR thematisiert, sehr gut gemacht und hochinteressant ist, der jedoch auch absolut unter die Haut geht und für den man in stabiler Verfassung sein sollte.
Und ich habe mir einen absoluten Film-Klassiker aus dem Jahr 1949 angesehen: „Der dritte Mann“ nach dem Roman von Graham Greene. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den vorher jemals komplett gesehen hatte, war aber durch die zeitlosen und eindrücklichen Schwarz-Weiß-Impressionen des zerstörten Nachkriegs-Wiens auf jeden Fall erneut fasziniert. Kult, den man kennen sollte.
Eine Zeitreise ins Italien während der aufgeheizten Zeit der späten Siebziger habe ich mit der 6-teiligen Serie „Und draußen die Nacht“ von Regisseur Marco Bellocchio gemacht, die aktuell auf der ARTE Mediathek (noch bis zum 12.07.23) zu sehen ist. In sechs Folgen wird aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven die Entführung und Ermordung des Parteivorsitzenden Aldo Moro im Jahr 1978 geschildert. Für mich waren dies aufschlussreiche und hochinteressante Geschichtsstunden der anderen Art, die mir einen ersten Zugang zu einem einschneidenden Ereignis der italienischen Zeitgeschichte erschlossen haben.
Und auch die Monatslektüre im März ist sehr vielseitig und abwechslungsreich ausgefallen:
Auf ungewohntes Terrain – und zwar in die Gamerszene der USA während der Neunziger und Zweitausender Jahre – habe ich mich mit Gabrielle Zevins „Morgen, morgen und wieder morgen“ begeben. Ein wuchtiges, kraftvolles Buch über eine ganz besondere Freundschaft, das wahrlich so viel mehr ist als ein Roman über Computerspiele und daher auch für Nicht-Gamer viel zu bieten hat.
Für den Lesekreis habe ich zum zweiten Mal den inspirierenden Roman „Tschudi“ von Mariam Kühsel-Hussaini gelesen, den ich bereits 2020 hier auf der Bowle vorgestellt habe und der wieder viel Lust auf Museumsbesuche, Kunst und Gemälde und auch die Stadt Berlin gemacht hat. Ein vielschichtiges, hochinteressantes Buch, über das sich auch vortrefflich diskutieren ließ.
Die Fortsetzung der Kunst-Krimi-Reihe von Bernhard Jaumann um die Detektei Schleewitz war für mich nach den gelungenen ersten beiden Fällen natürlich eine erfreuliche und mit Spannung erwartete Pflichtlektüre: „Banksy und der blinde Fleck“ wird mir jetzt jedoch nicht nur wegen der fesselnden Jagd durch die Münchner Streetartszene auf den Spuren von rätselhaften Ratten-Graffitis in Erinnerung bleiben, sondern auch wegen der zauberhaften wahren Geschichte, die jetzt für mich damit verbunden ist und die man auf dem Blog Olas Universe nachlesen kann. Da hat meine niederbayerische Kulturbowle doch tatsächlich einen kleinen Beitrag geleistet, dieses Buch in den Buchladen der Lister Tonnenhalle auf Sylt zu bringen und gleich auch noch zu weiteren Kunstwerken inspiriert – welche Freude!
Von München ging es weiter in die Wiener Kaffeehäuser und die Pariser Bohème mit Ditha Brickwells opulentem Roman „Engeltreiber“. Die Perlenfädlerin Genoveva erzählt nicht nur ihre Lebensgeschichte, sondern lässt auch die österreichische Geschichte, die Welt der Künstler und die Wiener Kaffeehauskultur lebendig werden – fabulierfreudig, überbordend – ein Roman, der einen die Welt um sich herum vergessen lässt.
Nach „Alte Sorten“, „Der große Sommer“ und „Das Diamantenmädchen“ war ich sehr gespannt auf Ewald Arenz’ neuen Roman „Die Liebe an miesen Tagen“, in dem der Autor eine gefühlvolle Geschichte über die große Liebe mit Hindernissen erzählt. Mehr sei an dieser Stelle zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verraten.
Ein sehr wirkungsvolles Mittel gegen etwaigen Regenblues und um etwas Sonne und Urlaubsgefühl in den Alltag zu holen war definitiv der dritte Sardinien-Krimi von Gesuino Némus „Die Frömmigkeit der Schafe“. Witzig, schräg, unkonventionell, mit Sonnenschein im Gemüt – ein amüsantes Krimi-Vergnügen für den Liegestuhl oder den Lesesessel für alle, die sich einen literarischen Kurzurlaub vom Alltag in Sardinien gönnen möchten.
Ende des Monats ging es noch Richtung Norden und zwar in die schöne Hansestadt Lübeck im Jahr 1947. Anette L. Dressler erzählt in „Brockesstraße Beletage“ die Geschichte zweier starker Frauen, deren Wege sich auf besondere Weise kreuzen. Denn Frieda, die aus Masuren fliehen musste, wird bei der Lübecker Witwe Alma zwangseinquartiert. Der Autorin gelingt eine stimmige Verbindung aus interessantem, zeitgeschichtlichem Hintergrund und einer berührenden Geschichte zweier Witwen, die sich nach dem Krieg ein neues Leben aufbauen. In Kürze werde ich hier auf dem Blog ausführlicher darüber berichten.
Was bringt der April?
Der April bietet für mich ein regelrechtes Kultur- und Theaterfeuerwerk – meine Neugier und Vorfreude ist groß:
Das Landshuter Theater Nikola spielt die – auch durch den Kinofilm bekannt gewordene – Komödie „Der Vorname“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière. Auf dieses Abendessen, das aus dem Ruder gerät, bin ich schon sehr gespannt. Es verspricht turbulent zu werden!
Im Landestheater Niederbayern darf ich mich auf drei Produktionen freuen, die unterschiedlicher kaum sein könnten:
Die swingend-beschwingende Rat-Pack-Revue „Coleman’s Twelve“ mit viel Glamour, großer Bigband und Songs von Frank Sinatra, Sammy Davis Jr. und Dean Martin wird bestimmt für gute Laune sorgen.
Ernst und nachdenklich wird es mit Juli Zehs Schauspiel „Corpus Delicti“ und auch das große Finale des niederbayerischen Ringzyklus feiert Ende April mit der „Götterdämmerung“ noch seine Premiere in Landshut.
Zudem darf ich mich auf eine Lesung der besonderen Art freuen:
Adele Neuhauser wird begleitet von Edi Nulz – der Band ihres Sohnes – aus Stephen Frys „Mythos“ lesen. Das Buch habe ich bereits hier auf der Bowle vorgestellt. Jetzt bin ich sehr, sehr neugierig, wie die von mir sehr geschätzte Schauspielerin dies auf die Bühne bringen wird.
Als Fernsehtipp habe ich mir für den April den Karfreitag, d.h. den 07.04.23 um 20.15 Uhr rot im Kalender markiert, denn „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ auf ARTE mit Tom Schilling in der Titelrolle ist für mich als großen Kästner-Fan natürlich ein Pflichttermin.
Darüber hinaus freue ich mich auf blühende Obstbäume, auf Ostern, auf den Frühling mit schönen Spaziergängen und hoffe auf milde Tage mit Muße, Kreativität, Kultur und guten Büchern.
Der Lesekreis beschert mir auch im April erneut eine Wiederholungslektüre und zwar von Thomas Hettches „Pfaueninsel“. Den Roman hatte ich 2014 gelesen und mochte ihn sehr, daher bin ich gespannt, ob er mich wieder auf die gleiche Weise begeistern wird und wie er bei den MitleserInnen ankommt.
Literarisch wird es für mich im April zudem sicher maritim, denn ich werde mich unter anderem nach Triest und an die Ostsee begeben. So viel steht fest… alles weitere wird sich (auf meinen Buchstapeln) finden.
Ich wünsche allen zauberhafte Frühlingstage und einen blühenden, bunten und abwechslungsreichen April! Startet gesund ins Frühjahr und bleibt neugierig und zuversichtlich!
Die ausführlichen Rezensionen sind jeweils auf den farbig hinterlegten Titeln verlinkt und ein Klick führt direkt zum jeweiligen Beitrag, wo dann auch die entsprechenden bibliographischen Angaben zu finden sind.

Gaumen-Highlight März:
Eine neue Backkreation hat Einzug in den Kulturbowle-Haushalt gefunden: Salzstangerl (nein, nicht die dünnen Knabberstangen aus der Packung!) vom burgenländischen YouTube-Kanal „Polsen kocht pannonisch“.
Musikalisches im März:
Neben den wunderbaren, unsterblichen Arien aus Händels „Rinaldo“ wie „Lascia ch’io pianga“, „Cara sposa, amante cara“ und „Venti, turbini, prestate“, die mir wohlbekannt sind, die ich aber zum ersten Mal live im Theater genießen durfte, habe ich diesen Monat auch wieder für mich Neues von einer weiblichen Komponistin entdeckt, so zum Beispiel „Dances in the Canebrakes: No. 3, Silk Hat and Walking Cane“ von Florence Price, das mit seiner verspielten Leichtigkeit perfekt in den Frühling passt.












Frühlingszuruf.
Barthold Heinrich Brockes (1680 – 1747)
Nun sich die Knospen aus den Zweigen drängen,
blühende Kräfte morsche Bande sprengen,
wohin du siehst, wacht alles fröhlich auf -:
Nun sei in deiner Seele rein und heiter,
Erzengel rechts und links dir als Begleiter,
nimm in den Morgen fröhlich deinen Lauf!
Die Schwingen streifen dich an beiden Seiten,
um dich der Engel Atem im Geleiten,
wie muß dein Schritt jetzt frei und kräftig sein!
Schreit‘ aus und glaube: Dir erklang das Werde!
Schick‘ deine Blicke aus: Die ganze Erde
blüht dir ans Herz: Was schön ist, das ist dein!
Denn der ist König über alle Dinge,
und den berührt der Engel goldene Schwinge,
der seine Blicke so aussenden kann,
daß sie wie Adler Beute heimwärts tragen,
und dem die Morgenstunde leuchtend sagen:
Du Mensch mit hellen Augen, nimm uns an!
Wie schön, hier von „Tschudi“ zu lesen. Ich bespreche den Roman in diesem Monat auch mit meinen Literaturkreisen. 100 Jahre nach der Impressionistenausstellung in Berlin gab es 1996 eine Ausstellung mit dem Titel „Manet bis van Gogh: Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne“. Der Ausstellungskatalog ist antiquarisch noch erhältlich und eine wunderbare Ergänzung zur Lektüre.
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Dankeschön, Susanne – auch für den weiterführenden Tipp!
Der Roman ist sehr inspirierend, macht Lust auf Kunst und bietet auf jeden Fall genug Stoff, um sich in einem Literaturkreis darüber auszutauschen. Viel Freude bei Deinen Literaturkreisen und einen schönen Sonntag!
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Rinaldo mag ich ganz besonders gern 🙂 Liebe Grüße und einen schönen Sonntag!
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Da haben wir etwas gemeinsam. Wunderschöne Musik. Und ich habe – wenn ich mich richtig erinnere – die Oper zum ersten Mal komplett live gesehen. War wirklich zauberhaft! Ganz herzliche Grüße zurück nach München und einen wunderbaren Sonntagabend!
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